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Tag 23
Оглавление16. Juli 2013
Manfred Götzl, Richter. Horst-Thomas S., 49, Kriminaloberkommissar beim BKA in Meckenheim. Er hat den Angeklagten Holger Gerlach vernommen. Er sagte auch an den Tagen 24 und 25 aus.
(Da Holger Gerlach vor Gericht, anders als im Ermittlungsverfahren, keine Fragen beantworten will, werden nach und nach die Beamten als Zeugen gehört, die ihn vernommen haben. BKA-Mann S. betritt den Saal. Es geht zunächst um eine Vernehmung am 25. November 2011 in der JVA Köln-Ossendorf.)
Horst-Thomas S. Herr Gerlach hat mit sich gekämpft. Es flossen auch ein paar Tränen. Er sagte, er sei schon 1998 von Herrn Wohlleben angesprochen worden und habe 3000 D-Mark gespendet für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Er sagte, er habe einen Reisepass für die drei nachgemacht und sich für das Foto die Haare abgeschnitten und einen Schnauzer wachsen lassen. Eine AOK-Karte und seine ADAC-Karte habe er ihnen ebenfalls gegeben und 2005 auch seinen Führerschein. 2011 habe er ihnen das letzte Mal seinen Reisepass übergeben. Auch von dem Transport der Waffe hat er uns erzählt, und dass Zschäpe ihn bei der Übergabe am Bahnhof erwartet habe. Er sei aber wütend gewesen und habe gesagt, so einen Scheiß wolle er nicht mehr machen, man solle sich nicht anmaßen, mit fünf Mann die Welt retten zu können. Er sagte, er solle mit dem Neonazi Thorsten Heise Kontakt aufnehmen, wegen einer Flucht der drei ins Ausland. (Heise ist ein NPD-Politiker aus Niedersachsen.) Er sagte, das sei ihm zu groß gewesen, er hat es dann aber doch gemacht. Gerlach sagte zunächst auch, er habe die 3000 D-Mark nicht wieder bekommen. Später korrigierte er sich: Er hat sie doch wieder bekommen und zusätzlich noch 10000 D-Mark, die er für die drei verwahren sollte.
Er sagte, er fühlte sich den dreien freundschaftlich verbunden. Von Wohlleben hat er eine Handynummer bekommen, um Kontakt zu den dreien zu halten. Er habe die weggeworfen und könne sich nicht mehr daran erinnern. Die Freundschaft mit Wohlleben sei nach dem Waffentransport zerbrochen.
Wenn er für eine Hilfsleistung Geld bekommen hat, habe es ihm immer Frau Zschäpe gegeben. Er meinte, die drei hätten ihm das Gefühl gegeben, dass er etwas Supertolles für sie getan habe. Zum Treffen im Jahr 2005 erzählte er, die drei seien vor der Tür in Hannover gestanden, alle seien hocherfreut gewesen, man hatte sich so lange nicht gesehen. Er habe ihnen gesagt, dass er aus der Szene ausgestiegen sei. Sie hätten ihm daraufhin den Eindruck vermittelt, dass er kein Verräter sei. Für sie sei es okay, dass er mit der Szene gebrochen habe, und er habe das Gefühl gehabt, die drei seien selbst auch ausgestiegen. Er hatte regelmäßig telefonisch Kontakt, ein bis drei Mal im Jahr über die Handynummer. Er sei bereit gewesen, sie weiter zu unterstützen, obwohl er mit der Übergabe des Reisepasses und des Geldes bereits an seine Schmerzgrenze gelangt sei. Sie hätten sich immer Donnerstagnachmittag getroffen, weil da seine Lebensgefährtin arbeitete. Und er fuhr immer wieder mit ihnen in Urlaub, nach Usedom, Flensburg, Lübeck, in den Jahren 2000, 2002 und 2004, sie nannten das Systemchecks.
Gerlach erzählte außerdem, André Kapke und Ralf Wohlleben hätten den Kontakt gehalten zu dem Trio und Konzerte zu ihrer Unterstützung veranstaltet. Die drei seien positiv überrascht gewesen, weil Leute sie unterstützten, die sie gar nicht kannten. Frau Zschäpe habe ihm aber auch erzählt, dass André Kapke bis 1999 Geld gesammelt, aber nicht alles an die drei übergeben habe. Es habe da Unstimmigkeiten gegeben. Wohlleben habe bis 2000 Geld gesammelt für die drei.
Seinen 30. Geburtstag hat Holger Gerlach im Braunen Haus in Jena gefeiert. Da hat er Wohlleben nochmal angesprochen auf die drei. Wohlleben habe gesagt, er habe die Schnauze voll von denen. Er wolle Karriere bei der NPD machen, da stand ihm die Unterstützung der drei im Weg.
Während Herr Gerlach das alles erzählte, sagte er auch: Ich habe Angst um meine Frau. Aber wir konnten ihn dahingehend beruhigen.
Wir haben nachgefragt wegen der Waffenübergabe. Er sagte, er habe die Waffe in einem Beutel transportiert. Auf der Fahrt habe er gefühlt, was das ist. Er sagte: Ich wollte gar nicht wissen, was drin war. Das war ja für uns der Hinweis, dass er mit Sicherheit wusste, was drin war. Er fuhr damit in die Polenzstraße nach Zwickau. Im Wohnzimmer der drei, in der Polenzstraße in Zwickau, angekommen, habe er gesagt, ich habe da was für euch. Einer der Uwes habe die Waffe durchgeladen. Daraufhin habe er gesagt, er wolle mit Waffen nichts zu tun haben. Es war ihm wichtig, uns mitzuteilen, dass er die Waffenübergabe ungern gemacht hat. Er sagte uns: Ich habe den Beutel übergeben und gesagt: Nie wieder. Ich will damit nichts zu tun haben. So einen Scheiß mach nicht noch mal, das ist das letzte Mal. Er habe mehrmals mit Wohlleben über die Waffe geredet, der sagte: Es ist besser, wenn du nicht weißt, wofür die die Waffe brauchen. Frag nicht weiter nach. Das allerdings müsste für Gerlach ja ein Zeichen gewesen sein, dass das nicht so harmlos gewesen ist, was er da gemacht hat. Wir haben natürlich nachgefragt, weil es für uns unglaubwürdig klang, dass die Waffe einfach in der Tasche steckte. Aber er blieb dabei, er habe nicht gewusst, dass er eine Waffe transportiert. Wohlleben sei bei der Übergabe im Schlafzimmer verschwunden und habe ihm den Beutel in die Tasche gesteckt. Die Tasche stand wohl schon im Flur und Herr Wohlleben hat den Beutel da reingepackt.
Ich war über die Situation bei der Vernehmung am 1. Dezember 2011 nicht so glücklich: Zum einen fand das Gespräch in der JVA statt, wir waren durch eine Scheibe getrennt. Und ich musste ihm mitteilen, dass aufgrund seiner Aussage die Anklage gegen ihn um Beihilfe zum Mord erweitert wurde.
Götzl Wer war bei der Übergabe der Waffe zugegen?
Horst-Thomas S. Bei der Übergabe waren alle drei zugegen, Herr Mundlos, Herr Böhnhardt und Frau Zschäpe. Herr Gerlach sagte übrigens, er sei nur einmal in ihrer Wohnung gewesen. Wir konnten das einfach nicht glauben, aber er blieb dabei.
Götzl Was hat er über seine Kontakte zu Herrn Heise erzählt?
Horst-Thomas S. Er hat mit ihm Kontakt aufgenommen, um die Flucht der drei ins Ausland zu organisieren. Er hat ihn dreimal getroffen und dabei auch eine Telefonnummer mit südafrikanischer Vorwahl bekommen. Er sagte, sie hätten die Möglichkeit gehabt, auf einer Farm unterzukommen. Die drei hätten das aber verworfen.
Götzl Gab es in der Szene Diskussionen über Gewalt?
Horst-Thomas S. Es gab immer wieder Diskussionen, ob man sich bewaffnen solle oder nicht. Gerlach meinte, zwei seien dagegen gewesen, die anderen dafür.
Götzl Wer waren die zwei?
Horst-Thomas S. Gerlach sagte, Wohlleben und er.
Götzl Wer hat da alles diskutiert?
Horst-Thomas S. Leute vom Nationalen Widerstand Jena und vom Thüringer Heimatschutz. Also Wohlleben, Tino Brandt, André Kapke … Insgesamt wohl zehn Leute. Gerlach sagte, die anderen waren die großen Bestimmer, er habe nur mitgemacht. Wir dachten uns aber, er sei da doch ein wenig näher dabei gewesen.
Götzl Wurden da auch irgendwelche Aktionen geplant?
Horst-Thomas S. Es gab wohl ein Vortasten, vor solchen Aktionen. Es wurde eher theoretisch gefragt: Wie steht ihr dazu? Aber nicht konkret die Frage, wer macht mit. Die drei waren laut Gerlach diejenigen, die mehr machen wollten, er und Wohlleben hätten gebremst.
Götzl Hat er sich zur Rolle von Frau Zschäpe geäußert?
Horst-Thomas S. Sie war bei allen Diskussionen dabei. Und sie hatte die Finanzen im Griff.
Gerlach sagte, dass er 10 000 Mark von Zschäpe gekriegt habe, als Depot. Auch Wohlleben habe 10 000 Mark bekommen. Später hätten sich die drei beschwert, sie seien von Ralf enttäuscht gewesen, weil er sich nicht mehr gekümmert habe. Sie hätten ihn gebeten, mit Wohlleben Kontakt aufzunehmen, weil er auch noch 10 000 Mark hätte. Er habe geantwortet: Lasst mich mit dem Scheiß in Ruhe. Das war circa 2002 oder 2003.
Gerlach erzählte, er sei einmal angerufen worden, Beate Zschäpe gehe es sehr schlecht, sie müsse dringend zum Arzt. Da habe er einer Bekannten eine AOK-Karte abgeschwatzt. Später habe er erfahren, Beate Zschäpe sei nun glücklich, sie habe eine Freundin, mit der könne sie über Frauensachen reden. Die Freundin habe zwei Kinder. Gerlach sagte auch, es sei so gewesen, als wenn Frau Zschäpe zwei Ehemänner gehabt hätte. Das sei nicht immer so gewesen, es habe auch mal Streit gegeben und Mundlos habe zum Messer gegriffen. Er habe dann eine Zeit lang allein gelebt. Aber angesichts der Fluchtsituation seien sie wieder zusammengezogen. Sie hätten dann ein sehr harmonisches Verhältnis zueinander gehabt.
Gerlach erzählte weiter, dass er auch mal auf Usedom mit den dreien war. Es gab Restaurantbesuche und einen Rundflug, Zschäpe habe bezahlt. Er durfte übrigens damals sein Handy nicht mitnehmen und musste die drei mit Gerry, Max und Liese ansprechen.
Gerlach hat Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied der drei dargestellt, alle Entscheidungen seien immer in ihrem Beisein getroffen worden. Sie sei durchsetzungsstark gewesen, kein Typ, der sich unterordnen würde. Und gewaltbereit: Gerlach erzählte von einem Vorfall im Bus. Frau Zschäpe habe einer Punkerin eine reingehauen, weil die blöd geguckt habe.
Schließlich erzählte uns Herr Gerlach noch, Herr Starke sei ihre erste Anlaufstation gewesen und habe auch Sprengstoff besorgt. (Die Rede ist von Thomas Starke, Ex-Geliebter von Beate Zschäpe und Aktivist der rechtsextremen Vereinigung »Blood & Honour«.) Die drei seien allerdings enttäuscht gewesen, dass er sie nicht bei sich untergebracht hat. Mundlos und Starke hätten sich schon länger gekannt, sie seien bei verschiedenen Gelegenheiten mit 88er-Logo aufmarschiert auf den Bomberjacken. Einmal seien sie auch in eine Schlägerei verwickelt gewesen, Starke sei daraufhin eingefahren, Mundlos nicht.
Götzl Gibt es noch Anmerkungen zur Aussage von Herrn Gerlach?
Horst-Thomas S. Holger Gerlachs Aussage hat uns extrem weitergebracht, er war kooperativ. Er hat Herrn Schultz, den Besitzer des Madley-Ladens, identifiziert, der daraufhin zugegeben hat, dass er die Waffe über den Angeklagten Carsten Schultze an Wohlleben geliefert hat. Es war also eine wichtige Aussage. Bei der fünften Vernehmung gab er auch noch zu, dass er das Pogromly-Spiel kannte. Mundlos und Böhnhardt hätten das entwickelt, als Mundlos in Ilmenau am Kolleg war. Er habe sich geschämt, sagte Gerlach, dass er das Spiel damals lustig fand.