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Politische Konsequenzen

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Selten hat ein Verbrechen das Land so aufgewühlt wie die Mordserie des NSU. Denn der NSU stellte auch alle Gewissheiten der Sicherheitsbehörden infrage. Die hatten jahrelang die Überzeugung zur Schau gestellt, dass es in Deutschland keinen Terror von rechts gibt. Die Taten, so erklärten sie wiederholt, mussten auf die türkische Mafia zurückgehen oder auf Revierkämpfe im Rauschgiftmilieu. Die Medien nannten die Morde an den neun Migranten auch abfällig »Dönermorde« – allein dieses Wort zeigte schon, wer im Verdacht stand. Die immer drängenderen Fragen der Angehörigen, ihre Hinweise, dass es sich bei dem Serienmörder um einen »Türkenhasser« handeln musste, wurden nicht ernst genommen.

Der Verfassungsschutz hatte Fragen nach der Existenz einer braunen RAF (der linksextremen Rote Armee Fraktion, die in den 70er, 80er und 90er Jahren mordete) stets abgetan: Zu dumm seien die Rechten, zu sehr seien sie von Staatsspitzeln umstellt, als dass sich Terrorzellen unbemerkt entwickeln könnten. Zu sehr fehle es ihnen auch an einer intelligenten Führungsfigur. Dabei brauchten die Radikalen gar keinen Führer mehr. In der rechten Szene kursierte längst das Buch »Die Turner Tagebücher« des amerikanischen Rechtsradikalen William L. Pierce, wonach es zu einem Kampf der Rassen gegeneinander kommen werde und die Weißen Terrorzellen bilden müssten, um »leaderless resistance« (führerlosen Widerstand) zu leisten – aber das hatten die Verfassungsschützer nicht ernst genommen. Auch auf den Computern etlicher Angeklagter im NSU-Prozess wurden die »Turner Tagebücher« gefunden.

Auf die Selbstenttarnung des NSU folgte in den Monaten darauf der Rücktritt des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes und der Präsidenten der Landesverfassungsschutzämter von Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Berlin. Fast ein Dutzend Untersuchungsausschüsse machten sich an die Arbeit, Behördenleiter wurden vernommen, Verantwortlichkeiten hinterfragt, Beamte ins Kreuzverhör genommen. Entdeckt wurden: lähmende Bürokratie, Dienst nach Vorschrift, ein Gegeneinander in den Ämtern, Abschottung der Dienste, gravierende Fehleinschätzungen. Und der nach Aufklärung drängende Verdacht, dass bei manchem Verfassungsschützer auch das rechte Auge zugedrückt wurde. So erklärte zum Beispiel ein Verfassungsschützer aus Thüringen noch vor Gericht, er habe seinen Spitzel »gut im Griff« gehabt – er meinte jenen V-Mann, der einen Großteil seines Honorars von rund 200 000 Mark an seine Neonazi-Freunde weitergeleitet hatte. Und ein Beamter des Bundesverfassungsschutzes schredderte noch nach der Enttarnung des NSU geheime Akten zur rechten Szene in Thüringen. Er wusste, wie viele V-Leute sein Dienst dort hatte und wollte, so sagte er, unbequeme Nachfragen dazu verhindern, warum die Geheimdienste dennoch nichts über den NSU wussten. Der Mann wurde in eine andere Behörde versetzt, ein Verfahren gegen ihn nach einer Geldzahlung eingestellt.

Am Ende des zweiten Untersuchungsausschusses des Bundestags im Sommer 2017 waren sich viele Prozessbeobachter sicher: Polizei und Verfassungsschutz hätten die Morde verhindern können, wenn sie die Hinweise ihrer V-Leute ernst genommen und schnell eingegriffen hätten.

Viele Stunden parlamentarischer Kontrollarbeit, Tausende Seiten Papier. Aber nirgendwo gelang die Tiefenbohrung in die deutsche Gesellschaft so präzise wie im Gerichtssaal A 101 des Oberlandesgerichts München. Nirgendwo kam man den Tätern, ihren Helfern, ihren Sympathisanten und ihren Motiven so nah wie hier.

Der NSU Prozess

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