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Episode als Affäre?

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Das war ja auch wieder ein Abschied in der Familie, und wenn man tagtäglich zusammenhockt, dann fällt die Trennung verflixt schwer. Und nun fuhr Wadeck auf und davon ins Saarland. Junka blieb zurück mit Donna Clara und die war irgendwie bei dieser Abreise „Schlecht zurecht“. Opa Wadeck hielt sich zu der Zeit in Köln auf, Wadeck musste ins Saarland und Junka bekam gleich Donna Claras schlechte Laune zu spüren. Es kam noch ein Grund zu ihrer schlechten Laune dazu. Sie war nicht in der Lage täglich auf dem Markt zu arbeiten, denn sie lag meistens wegen irgendwelcher Schmerzen, und die erfahren Buben nur vom „Hörensagen“, und nun verdiente sie kein Geld. Das war nun weiter nicht so wichtig und sie arbeitete nicht im Angestelltenverhältnis. Sie brauchte nur abzusagen, wenn sie mal nicht kam. Es verging mit ihrem „Schlechtsein“ etwa eine Woche da hatte sie überhaupt kein Geld mehr, denn Wadecks Wochenlohn, der pünktlich am Mittwoch gelöhnt wurde, blieb aus. Und als dann noch einmal eine Woche verging und Donna Clara fast nur noch auf der Couch oder im Bett lag, da schickte sie Junka nach Stadthausen mit ihrem letzten Geld zum Arbeitsamt, gab ihm eine Vollmacht mit und er solle da Geld holen. Junka fuhr bis zur vorgeschriebenen Haltestelle und ging die lange Straße hoch bis zum Arbeitsamt. Da waren eine Menge Leute und in dem Gedränge übersah man gerne einen kleinen Jungen, bis ein Mann den er vom Ansehen her kannte ihn befragte was er denn wolle. Junka sagte ihm das, und der Mann schob ihn vor und erklärte dem Mann hinter dem Tisch Junkas Begehr. Junka wies den Brief von Donna Clara vor, wurde aber weggeschickt, denn Kindern dürfe man kein Geld geben. Weinend zog Junka davon, und weil er nur noch zehn Pfennig besaß und die Fahrt fünfzehn Pfennig kostete lief er zwei Haltestellen ab und fuhr dann erst mit der Straßenbahn.

Am Albert-Leo-Schlageter-Platz bekam er dann die nächste unangenehme Überraschung serviert. Vor dem Haus stand ein Krankenwagen und man ließ ihn nicht ins Haus, denn da würde jemand transportiert und das war Donna Clara die man ins Krankenhaus schaffte. Da kriegte Junka an diesem Tag zum zweiten Mal das heulende Elend bis ihn die Nachbarin von der Treppe in der Haustür hochholte zu sich in die Wohnung und zu Achim. Junka wurde vertröstet und Achims Vater ging um zu telefonieren und er erreichte Enneken in Herne-Sodingen. Die versprach am nächsten Tag zu kommen und sich um ihn zu kümmern.

Junka verbrachte die Nacht in der Nachbarswohnung und schlief in Achims Bett, der zu seinen Eltern unter die Bettdecke kroch.

Am nächsten Tag kam Enneken und die plante schon im Voraus, denn sie könne in ihrem Zimmer und bei ihrer Arbeit und so sich nicht um einen kleinen Jungen kümmern, der dann auch in die Schule müsste. Deshalb habe sie bereits vorgesorgt und einen Brief geschrieben das Junka zu Erna nach Witten Heven fahren möge mit Koffer und Schultornister. Das sei wohl besser.

Da war Junka mit Feuer und Flamme gleich dabei, denn Heven war das große Traumland für Buben die in wilden Brombeerbüschen herumstreifen und Höhlen aus dem Felsen hauen und überhaupt. Ganz nebenbei erfuhr Junka, dass Donna Clara eine Blinddarmentzündung bekam und gleich operiert wurde. Das sei eine langwierige Sache. Eigentlich war das Junka vollkommen gleich. Für ihn war die Hauptsache, dass er wieder in Witten-Heven war, mit seinem alten Trainingsanzug, seiner Berggarderobe bekleidet im Berg herumhängen konnte und alles andere vollkommen vergaß. Ja, er vergaß sogar im Eifer des Gefechts Tante Erna und Onkel Willi von seinem Anreise-Grund zu erzählen. Das holte er am Spätnachmittag nach als Onkel Willi von der Schicht kam. Da vielen beide fast aus allen Wolken. Am nächsten Tag musste Junka mit Tante Erna zur Dorfschule. Da wurde er angemeldet und nun konnte er Unterricht in Witten-Heven nehmen.

Junkas Auffassung von Schule ist seltsam. Wenn er die Äußerlichkeiten der Schule, Gebäude, Klassenzimmer und Umgebung für angenehm empfindet, dann ist die Schule für ihn Pflicht und er bemüht sich das Beste daraus zu machen. Ist es das nicht, verschlingt er die Hausaufgaben, lernt kein Gedicht und sinkt praktisch in eine Art Lethargie. So in Heven. Die Schule und alles rundherum ist ihm sehr genehm, aber der Lehrer Storbeck ist ein Typ der unpersönlich wirkt und sich irgendwie vorkommt. Unpersönlich, im Sinne von Pflicht und „nix wie weg!“ Keine Nebendinge nur Pensum. Das schmeckt Junka überhaupt nicht und er gibt sich ganz dem Abenteuer Heven hin. Darunter leiden seine schulischen Leistungen, aber er tröstet sich damit, dass das nicht von langer Dauer ist. Irgendwie hat er das Gefühle, dass Donna Clara auch mal wieder gesund wird.

So sind selbst die Sonntagnachmittage Abenteuer und die hat Junka furchtbar gerne, denn man geht und fährt nach Witten in die Stadt, oder man setzt mit einem Kahn über die Ruhr und geht zu einem Ausflugslokal „De olle Düür“. Da führen so oder so die Wege furch Felder und Wälder und über Berg und Tal und das macht Junka Spaß.

Und dann kam die Kartoffelernte. Der Kartoffelacker ein Pachtland etwa einen Kilometer vom Wohnhaus entfernt war vornehmlich wegen der Kartoffeln dazu genommen, denn bei Tante Erna wurde sehr darauf geachtet, dass das tägliche Essen reichlich und schmackhaft, aber mit wenigen Kosten auf den Tisch kam. Das Eingemachte war vornehmlich bei der männlichen Verwandtschaft sehr beliebt, denn sie hatte ein Talent kleine Gurken mit Mohrrüben, noch kleiner, und Perlzwiebeln zu mischen in ein großes Glas mit Essig, Dill und anderen Gewürzen und mit einem Löffel Zucker zu würzen, dass man davon gerne aß. Es war ja zu der Zeit der Brauch abends eine Pfanne Bratkartoffeln auf den Tisch zu stellen, aus der sich jeder mit der Gabel bediente, was ja dem sattmachen diente. Hierbei wurden nicht eventuelle Aussichten von dicken Bäuchen oder so berücksichtigt. Die Menschen fanden sich damit ab, dass sie von einem gewissen Alter an in die Breite wuchsen, was an und für sich der Allgemeinheit gleich schien.

Deshalb war ja auch die Kartoffelernte eine Hauptsache, weil man auch hier pro Nase einundeinenhalben Zentner Kartoffeln rechnete. Zog man sie selbst, dann hatte man eine Lieblingssorte deren größten Früchte im nächsten Frühjahr wieder an die Erde kamen sich zu vermehren. Man kaufte unter keinen Umständen Saatgut. Das zog man sich selber und tauschte höchstens, wenn Irgendwer was Reizvolles zog, und man davon haben wollte.

Als nun Tante Erna und Onkel Willi nebst Junka und den eigenen Kindern den Acker noch und noch abgeerntet hatten, der Karren vollgeladen mit zwei Säcken oben auf der Last bereit stand zur Heimfahrt zog ein dickes Gewitter auf. Kartoffelernte ist für Kinder sehr interessant, weil das dürre Kartoffellaub auf einen Haufen gekehrt wird und ein Feuer angezündet wird. In diesem Feuer werden kleine Kartoffeln geröstet was immer mit Lust, Liebe und gutem Appetit geschieht. Da störte das Gewitter mit Donner und Blitz. Die Kinder bekamen von Tante Erna Zipfelhauben aus erübrigten Kartoffelsäcken und dann ging es mit dem Karren, an dem alle zogen und schoben, die Farendelle hoch ins trockene „Nachhause“. Der Himmel öffnete seine Schleusen und erteilte der Kartoffelernte seinen unerwünschten Segen. Also ließ man den Karren im Regenstehen. Man erreichte pläddernaß den Hof und trocknete sich. Der Herd wurde angezündet, „Sachen“ auf die Herdstangen gesteckt, Pantoffeln angezogen und dann kam bald schon das Abendessen auf den Tisch. Kinder halfen den Tisch zu decken mit Brot, Butter, Wurst und sauren Gurken. Kleine und kleinste Kartöffelchen gebraten mit der Pelle in ausgelassenem, durchwachsenem Speck kamen auf den Tisch. Tante Erna taufte das Essen „Feldhühner“. Ein neuer Duft lag in der Luft. Es schmeckte herrlich! Da fühlte sich Junka wohl.

Er war auf dem Land mit Aussicht auf einige Kilometer Ruhr, die sich durchs Tal schlängelte und auf deren eingerahmten Wiesen riesige Becken zur Vorklärung des Wittener Trinkwasserbedarfs lagen. Junka verfolgte die Arbeiten in den Becken ganz genau, die andererseits bei Ruhr-Hochwasser ganz verschwanden.

Und überhaupt. Montags bekam Junka den Auftrag Schuhe zu putzen, Schuhe die vom sonntäglichen Spazierengehen schmutzig geworden waren. Man erledigte sonntags großzügige Stecken um was zu sehen. Das besorgte er, denn irgendwie mochte er den Glanz der polierten Schuhe, und Onkel Willi erklärte ihm, dass alle Seiten zu putzen seien, Es scheine ja nicht der Hochglanz von vorne nach Hinten! Schuhe mussten für alle Fälle geputzt in Bereitschaft stehen, denn mit ungeputzten Schuhen in die Stadt? Was sollen da die Leute von „Einem“ denken?

Auf dem Land leben ist so eine Sache. Da gibt es den Bauernhof mit Hühnern die herumklucken und Tretminen verbreiten. Gänse als Hofwächter die mit gestreckten Hälsen auf jeden fremden Besucher losgehen. Und es stinkt nach Landluft, wobei der größte Gestank vom Misthaufen und vom Schweinestall herrührt, soviel bekam Junka mit. Gut, da gingen Menschen in ein Häuschen mit einem Herzausschnitt in der Tür. Manche zogen sich zur Sitzung zurück, denn aufgespießt fand man immer Literatur geteilter Art, so dass man Rätseln konnte, und das zog sich bisweilen hin.

Junka erfuhr Einiges von den Künsten Pflanzen zur Reife zu bringen. Man sprach von einer guten Saat an der Erde. Landwirtschaft im Kleinen war ihm immer schon lieber, und deshalb fand er, dass ein jeder Mensch eine Landwirtschaft haben sollte.

Unversehens kam Wadeck auf Kurzurlaub vom Westwall, und er blieb nicht sehr lange, da er wieder zu Donna Clara ins Krankenhaus musste, weil die bald nach Hause konnte und eine Pflege, Enneken hatte zugesagt, bekommen sollte für die ersten zehn Tage, weil sie sich wieder ans Laufen gewöhnen musste. Wichtig war nun, dass Junka wieder zurück nach Süd sollte. Das war ja wieder eine Abwechslung. Wenn auch die Aussicht auf Enneken nicht so reizvoll war. Andererseits hätte Junka auch bleibe können, denn er gewöhnte sich an Lehrer Storbeck und tat was der wollte. Nun er kam wieder zurück in die Forell Schule.

Tagsüber lag Donna Clara auf dem Sofa um sich zu erholen, denn die Wunde nach der Blinddarm-Operation eiterte sich gesund. Davon wusste Junka aus eigener Erfahrung, denn Operationen ohne Vereiterungen gab es wohl nicht. Er hatte jahrelang den Geruch des Eiters in der Nase, aber das konnte auch von dem üblichen Ohrausfluss herrühren. Junka waren ein Kind und er fragte nicht danach.

Nun, er war wieder allein in einer Wohnung wohin er keine Kinder einladen konnte. Seine Begegnung mit anderen Kindern bezog sich auf Schule und Straße.

Herbst war es nun, sein Geburtstag verlief ruhig, aber es war Besuch da, vielleicht etwas mehr als sonst, denn da konnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen; Krankenbesuch und Geburtstag. Das Geld für eine übliche Tafel Schokolade erübrigte man immer, denn im Oktober tat man keine großen Geschenke, weil ja Weihnachten vor der Tür steht. Da genügt als Geschenk eine Tafel Schokolade.

Andererseits erfuhr Junka nie wie es mit den Finanzen bei Wadecks aussah. Normale Menschen hätten gefragt: „Was krieg ich dafür?“, aber davon erfuhr er nichts. Garnichts. Es kam eigentlich eine qualvolle Zeit für Junka, denn Donna Clara ist eine wehleidige Kranke. Aber so gegen Ende November gesundete sie und es muss wohl Geld da gewesen sein, denn die Familie bekam ein Schlafzimmer, was sie noch nie hatte. Ein Schlafzimmer mit dreitürigem Kleiderschrank, zwei Nachtkonsolen zu zwei Betten mit Matratzen und einem Waschtisch mit Schubladen und einem Spiegel. Das Ganze war eine gebrauchte Angelegenheit und Donna Clara bezahlte in bar. Es muss wohl der Westwall schuld daran gewesen sein. Die Wohnungseinrichtung erfuhr Neuerung, denn die Betten kamen in Opas Zimmer, und die Betten von Opa zersägte man und verheizte sie aus mehreren Gründen, und Opa brauchte Holz für einen neuen Karnickelstall, einen größeren nämlich. Man züchtete grundsätzlich seine Festtagsbraten selber.

Kinderlandverschickung

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