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Albert-Leo-Schlageter-Platz.

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Und es klickert so etwas Wasser, in einem Rinnsal, dem „Kürtelbecken“ von der Ruhrstraße entgegen, Wasser mit einem Ursprung aus klitzekleiner Quelle und überflüssigem Grund- und Regenwasser, das einigen Fröschen Grundlage gibt sich darinnen zu vermehren. Warum? Damit Kinder mit einem dicken Stecken Jagd auf sie machen können. Sie erzählen sich auch davon, dass man Frösche, mit einem Strohhalm in den Hintern stecken, aufblasen kann. Hat zwar keiner gemacht, aber man redete den Nachbarsjungen oder auch Besuchskind wie einen Blödmann an und wartete darauf das der auf die Scheißhausparole reinfiel.

1 Die halbseitig bebaute Ruhrstraße hatte viele Kinder, so dass auf jede zwei Zimmerwohnung im Durchschnitt gut und gerne drei Kinder kamen deren Spielplatz die Straße war und blieb, denn für „de Blagen“ hatte ein Verwaltungsbeamter kein Verständnis oder Geld, womit man sich immer verständlich ausdrückte. Wenn man ihn, Junka, fragte Antwort wo er denn wohne, antwortete er stets: „Inne Düppelstraße!“ Wahrscheinlich war da mal was geplant, aber der Tag ist lang und lange Bänke stehen in allen Ämtern herum und darauf muss ja was geschoben werden.

2 Damals bestand diese Düppelstraße aus einem Haus mittendrin, und da fand auch Leben statt. Leben mit Kindern, mit Krach um Jauche und andere stinkenden Alltäglichkeiten. Man achtete sehr auf sein Stück Land und bestellte es rechtzeitig und mehr oder weniger sorgfältig. Das Ergebnis waren die Pfründen des kleinen Mannes der damit seinen Lebensstandard aufbesserte.

Als damals Wadeck Donna Clara heiratete und arbeitslos war, boten seine Eltern an bei Ihnen zu wohnen, denn die Zeche wies ihnen vor vielen Jahren vier Zimmer Wohnraum in diesem Haus zu. Als Wadeck heiratete war nur noch ein Sohn von ehemaligen fünf Kindern im Haus, und wenn sich das jungverheiratete Paar begnügte, dann konnte man es in einem Zimmer wohnen lassen. Das Zugeständnis taten sie, die alten Leute und Großeltern. Sie hatten nur noch einen Sohn mit Namen Paul im Haus und für den blieb eine schräge Kammer als Schlafstube, denn er hatte auch keine Arbeit und saß bei seinen Eltern mit am Tisch.

Junka wohnte hier bereits fünf Jahre als seine Großmutter starb, sein Onkel Paul Arbeit bekam, kurz darauf, achtzehnjährig heiratete und nun als Bergmann Anspruch auf Wohnung machte. Das ergab Krach mit seinem Bruder Wadeck, das ist Junkas Vater. Es artete aus bis zur Beschwerde bei der Zechenwohnungsverwaltung die den Umstand, dass ein Nicht-Bergmann in ihren heiligen, miserablen Wohnräumen sein Leben fristete bestimmt nicht duldete, zudem Wadeck bei ihnen auf einem besonderen Index stand, da er damals in der Franzosenzeit einem Steiger in die Fresse schlug, was man Meuterei unter Tage nannte. Das ist unverzeihlich.

Und jetzt? Wadeck hatte Arbeit. Zunächst an der Autobahn und dann wurden wieder Wohnhäuser und andere Bauten in die Stadt gestellt. Wadeck arbeitete am Bau und wurde als Maurer beschäftigt. Den Beruf hatte er sehr gerne. Vor allen Dingen liebte er die Regelmäßigkeit des täglichen Arbeitens.

Donna Clara beschaffte sich die eine und die andere Putzstelle, teilte sich dabei ihre Zeit so ein, dass sie immer noch Gelegenheit hatte auf dem Wochenmarkt als Verkäuferin für Obst und Gemüse zu arbeiten, und um auch sonntags noch Lose auf der Kirmes zu verkaufen. Sie arbeitete unregelmäßig und wenn man so will: Nebenbei und ohne irgendeine Steuerkarte.

Nun, in ihrer Freizeit ging sie auf Wohnungssuche und erzählte von ihren Misserfolgen. Es gab Wohnungen in Kellern, über einem Pferdestall, auf dem Hof einer Speditionsfirma mit Tag- und Nachtbetrieb. Wohnungen mit allem Komfort und miese Hucken.

Der Krach mit „Onkel Paul“. So nannte ihn Junka, erhöhte sich gefährlich, doch da kam Donna Clara mit einem annehmbaren Vorschlag daher. Es war aber eine bescheidene Preisfrage, wie sie das nannte. Es kam ihr was zu Hilfe: Opa Wadeck mochte nicht mit seinem jüngsten Sohn Paul zusammenwohnen, weil der und seine junge Frau überhaupt nicht wirtschaften konnten und irgendwie kein solides Leben führten. Als nun Donna Clara damit herausrückte, dass die angebotene Wohnung drei Zimmer habe, ein Zimmer eine Treppe höher, und sie mit der Wohnungsinhabe mit zwei Zimmern auskommen würde, sah die Sache schon anders aus. Die Zweizimmerwohnung sei abgeschlossen mit einem Korridor, einer Toilette und fließend Wasser in der Wohnküche, da war man sich schnell einig und schon am nächsten Tag ging sie mit Wadeck in das Büro der Baufirma und sie machten den Mietvertrag.

Junka der alles mitbekam, war sehr gespannt auf die neue Umgebung. Er stellte sich das als das große Wunder vor, denn abgeschlossene Wohnung und elektrisches Licht, abgesehen davon, dass er es sehr nah bis zur Schule bekam. Irgendwie gelang Donna Clara mit dieser Wohnung ein Glückstreffer. Gemessen an dem was sie bisher als Wohnräume behauste, ging es nun mindestens eine Stufe höher. Es war ganz in ihrem Sinne, denn auch sie wollte etwas „Besseres“ sein.

Wieso, warum und weshalb? Wenn man schon mit „Vorliebe“ heiraten musste, ein gewisses Elend einem auf den Hacken blieb, dann musste man doch mal das Gefühl haben das es etwas aufwärtsgeht.

Wadeck fuhr mit dem Fahrrad, mit seinem alten Fahrrad zur Arbeit und zog zur Fahrt nur eine Jacke über Arbeitshemd und Arbeitshose an. So aber wollte er nicht in die neue Wohnung gehen, da waren allerhand Arbeiten zu tun, und deshalb zog er sich an der Baustelle in der Bau-Bude um und kam „ordentlich“ angezogen mit einem Hut auf dem Kopf an der neuen Wohnung an. Donna Clara beschaffte tagsüber die Farben und Tapeten. Utensilien die man braucht eine Wohnung zu einem Nest nach eigenem Geschmack zu gestalten.

Das, dieses „Das mit den Möbeln“ war eine andere Sache und da nunmehr Platz vorhanden war die Wohnküche mit zwei Schränken zu bestücken ließen sie den zweiten Schrank, den größeren, anliefern. Das Sofa bekam einen neuen Überzug, aber zu einem Schlafzimmer mit dem ordentlichen Zubehör Waschkommode, Kleiderschrank, zwei Betten mit Nachtkonsolen hatten sie es noch nicht geschafft. Das musste noch warten. Ein „Mantelstock“ ersetzte den Kleiderschrank, aber die Betten füllten Strohsäcke die einmal im Jahr frisches Stroh bekamen. Sie schafften die Strohsäcke zur Nacht, im Dunklen und auf Schleichwegen ins neue Schlafgemach. Eigentlich erfuhr Junka nichts davon, denn das geschah in seiner Schlafenszeit.

Opa Wadeck band immer zwei Gartenwerkzeuge sorgfältig zu einem Paket zusammen und transportierte sie in die neuen Kellerräume, denn zu der Wohnung gehörten zwei Kellerräume, den einen um ihn für Holz und Kohlen zur Lagerung zu nutzen und den anderen um Gartengeräte, Eingemachtes und Kartoffeln zu lagern. Es wanderte auch das eine oder andere Haushaltsteil „im Keller“.

Opa Wadeck erkundigte sofort ob er auch einen Hasenstall, zu dem man Karnickelstall sagte, bauen dürfte. Das gestattete der Hauswirt.

Es war nicht mehr weit bis Ostern und deshalb wurde es Zeit den Garten zu bearbeiten. Das tat Opa Wadeck mit Bravour. Der Nachbar stellte ihm zusätzlich sein Gartenstück zur Verfügung und das nahm er gerne an.

Dann glänzte die Wohnung mit neuen Tapeten und frisch gestrichenen Türen und Fenstern. Der Tag des Umzugs in die neue Wohnung näherte sich mit aller Wucht, und eines Morgens stand das Fuhrwerk vor dem Haus in der Düppelstraße und Junka sagte dem Pferd „Guten Morgen“ und versuchte Streicheleinheiten anzubringen, was selbstverständlich mit einer Warnung verbunden gehörte. Junka vermutete, dass bestimmt einmal ein Pferd ein Kind gefressen oder in die Luft gefeuert hatte. Man konnte nie wissen, aber eigentlich haben Pferde weiche Nüstern und sind Leckereien gegenüber nicht abgeneigt. Sie fühlen sich sehr weich an.

Es kamen die Umzugs-Hilfen und man trug Dinge vor die Tür und Möller verpackte sie in dem Wagen. Der Wäschekorb, gefüllt mit Porzellan wobei jedes Teil einzeln in Zeitungspapier gehüllt keinen Schaden erleiden konnte. Zahlreiche Dinge in organisierten Kartons und Möbelteile mit alten Decken und anderen Tüchern vor Schrammen geschützt. Ja, und dann war die alte Wohnung „Besensauber“, denn man wollte sich nichts nachsagen lassen.

Opa Wadeck nahm Junka an die Hand und marschierte mit ihm Richtung neue Wohnung, denn die Sitzbank auf dem Umzugskarren war besetzt. Donna Clara startete früher, denn sie besorgte noch frische Brötchen, etwas Wurst und was zu trinken. In diesem Fall selbstverständlich Bier. Hell für die Herren und Dunkel für die Damen.

Junkas neuer Wohnsitz für die nächsten dreißig Jahre lautete demnach als Adresse Alber-Leo-Schlageter-Platz. Ein Name nach einem Kollaborateur der französischen Besatzungszeit der in Düsseldorf auf der Golzheimer Heide von den Franzosen erschossen wurde. Das Albert-Leo sparten die meisten Adressaten aus und nannten den Standort einfach nur Schlageter-Platz. Auch in der Straßenbahn rief der Schaffner stets nur: „Schlageter-Platz!“ Junka beschloss vom Start weg den vollen Namen zu benutzen. Es lag ihm der Verdacht nahe, dass er damit sehr einsam dastand.

Das treppauf und treppab mit den Umzugsteilen musste Junka aus dem Weg gehen, denn für ihn gab es nur hie und da was zu tun so mit: „Bring das mal schnell nach Oben!“ Leichte Sachen die ein Fünfjähriger leicht transportieren konnte. Junka kannte Umzüge nur von der Ruhrstraße her und da ging man „Gucken“. Hier aber tat man das nicht. Hier wohnten, im Gegensatz zur Ruhrstraße Untere Beamte, Handwerker, Lehrer, Polizeibeamte, ein Architekt, ein Schneidermeister, ein Homöopath, ein Arzt, ein Organist und auch ein Steiger. Im Gegenteil zur Ruhrstraße mit einem einzigen eleganten Haus und einem Zahnarzt, wohnten da nur Bergleute, aber nicht ein Steiger.

Zu Junka gesellte sich ein drei Jahre jüngerer Junge und sie hatten Muße sich zu beriechen. Der erste Anlauf mit „Wie heißt du!“ war bald erledigt. Der Nachbarsjunge besaß einen Roller und fragte offen heraus: „Willze ma fahrn?“ Junka wollte, und fühlte sich königlich.

Vorbeigehende Leute nahmen wahrscheinlich wahr, zeigten aber sonst kein Interesse an den neuen Mietern die hier einzogen. Junka stellte fest: Hier war man für sich.

Dann kam ein besonderer Mann der die Lampen anschloss. Das ist für Junka neu, und er bekam auch gleich von Donna Clara Verhaltensmaßregeln sparsam mi dem Licht zu sein, denn das kostet Geld. Im Laufe des Tages brachte ein Mann das frisch bezogene Sofa mit einem Handkarren an.

Junka schlief in Zukunft mit Opa in dem Zimmer eine Treppe höher. Das Zimmer heizte Opa manchmal mit einem eigenen Zimmerofen. Kohle von der Zeche, das Deputat, bekam er nicht mehr. Junka musste sich nur vorsehen, wenn er im Schlafanzug die Treppe hinauf- und herabstieg. Man durfte doch nicht im Schlafanzug von Leuten gesehen werden. Dabei trug Junka gute und passende Schlafanzüge die regelmäßig gewechselt wurden.

Junka bekam auch gleich die Anweisung am Haus zu bleiben und nicht wegzulaufen, denn die Nähe der Bochumer Straße konnte für einen kleinen Jungen sehr gefährlich sein, weil da Autos fuhren und obendrein die Straßenbahn.

So stand Junka mit Achim vor der Tür und ab und zu grüßte Achim wen und erklärte Junka wer das ist. Junka fragte nach anderen Kindern und das war ja wohl Gesprächsstoff. So erfuhr er das im Nachbarhaus ein Schulkind wohne. In dem anderen Wohnhaus ein Junge im Alter von Achim und dessen Vater sei in der katholischen Kirche Organist und gebe wohl Musikstunden. Er Achim gehe mit Peter, so hieß der Nachbarsjunge, er ginge mit dem in den Kindergarten. Schräg gegenüber wohne dann noch ein Menne mit einer Schwester namens Ingrid. Und da unten wohne Fuhrmann Strauß. Er kenne nur Trudi Melart die etwas schielt.

Ja, und dann war ja auch bald der Tag mit dem Umzug zu Ende und Junka kam zum ersten Mal in der neuen Wohnung ins Bett. Es dauerte eine Zeit bis er einschlief, aber dann schlief er richtig und höchstwahrscheinlich auch einer neuen Zukunft entgegen.

Am nächsten Tag war sicherheitshalber Freitag und Markttag vor der Tür. Da gab es ja allerhand zu sehen, denn schon um sechs Uhr strömten die ersten Händler herbei und bauten ihre Marktstände auf. Süd hatte und hat immer einen großen Markt, denn Markt ist so eine Sache die eingebürgert sein muss, und wenn es denn mal läuft dann muss der Händler aufpassen, dass er am Ball bleibt, denn die Kunden können existenzgefährdend sein. Ob das an seinem Ponem, seinem Gesichtsausdruck, auf seine Redensarten oder gar auf seine Waren hinausläuft, das steht in den Sternen. Und eigentlich gibt es da so ein geheimes Wissen das angeboren ist, und dass man kaum erlernen kann. Zum Markthandel gehört auch der tägliche Einkauf auf dem Großmarkt und da beginnt schon der gesamte Handel. Da wird gehandelt, geschmust, weggegangen, zurückgekommen: „Was hast du mich für einen Kurs abgefragt?“ Da heißt es auch derb: „Sag Bloß für den Gammel willst du noch Geld haben?“

Und wenn die Geschäfte gut gehen, auch wenn gerade ein Lohnzahltag dazu kommt, dann ist Friede, Freude, Eierkuchen! Dann geht man sogar zu einem Bier in eine der beiden Kneipen am Markt, und manchmal bleibt man auch schon mal hängen. Manche Leute sagen, wenn der und der einen Schlag gemacht hat, dann lässt der seine Kumpels nicht im Stich. Das sind dann die schönsten Feiertage.

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