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Heile Welt?
ОглавлениеJunka kannte eine Angelegenheit nur von „Hörensagen“, das war es mit Opa Wadeck, den er sehr mochte. Nun, Opa Wadeck kam von seinem Köln-Aufenthalt zurück und die Welt, so schien es, war wieder in Ordnung. Jedenfalls schien es so, aber Junka kannte Donna Clara und ihre Wetterwendigkeit. Bei ihr herrschte in aller Vollendung die allgemeine geistige, äußerliche und inwendige Haltung „himmel-hoch-jauchzend zu Tode-betrübt“. Ein Zustand bei dem Lachen und Weinen übergangslos übereinander oder hintereinander, oder auch durcheinander geschehen konnte. Eigentlich in gewissen Bevölkerungsschichten eine alltägliche Angelegenheit, wenn nicht gar ein Dauerzustand. Junka war damit vertraut und gab nichts darauf. Abgesehen davon wurde er bestimmt nicht nach Irgendwas gefragt, und sei es nur um eine Zustimmung zu bekommen, so: „Was sagst du dazu?“ Oder: „Da musse mir doch Recht geben?“ Oder offensichtlich: „Ich weiß mir nicht zu helfen! „Geht man davon aus das Junka stets unter der Beobachtung seines „Pseudo-Vaters“ stand, dann sollte festgestellt werden in welche Richtung die Gedanken des Bullemann hier und in diesem Bezug statt zu finden haben, denn eine Wirklichkeit kann nicht in Betracht gezogen werden. Realitäten sind meistens ernüchternd.
Doch das nur am Rande, denn es soll festgestellt werden wieso, warum und überhaupt Junka aus dem Rahmen springen musste. Jede Veränderung färbte bei ihm, wie bei jedem Kind, was ein. Nicht komplett. Nur zum Teil. Manches war markant. Anderes angenehm. Abwarten erwies sich als bindend, auf alles andere war zu der Zeit kein Verlass. Zusammen gesehen strömt auf jedes Wesen eine Menge ein, nur da gibt es Unterschiede an Charakter und Auffassungsgaben. Die „Einen“ kamen mit viel Neugier auf die Welt, die „Anderen“ mit einem „Brett“ vor dem Kopf. Das ist eigentlich Thekengemurmel von dem man immer mehr Abstand nimmt. Die das Thekengemurmel unterlassen begehen eigentlich Mord, denn sie morden den Samen weittragender Gedanken. Das ist nämlich so, wenn zwei sich an der Theke zum Gespräch finden, dann steht in der Nähe bestimmt einer der keine Heimat hat und sie hier an der Theke bei einem Getränk sucht. Das Bier oder ein anderes Getränk ist die Eintrittskarte zu etwas was der Mensch sucht, denn er ist ein Rudeltier. So oder so! Wird er bei so einem Thekengespräch mitgenommen ist er es in der Regel zufrieden. Wenn ihn dann noch die Redner später irgendwie grüßen, vielleicht nur mit einem leichten Findertipp am Hut, dann fühlen sie sich integriert und „zu Hause“.
Junka verarbeitet Solche und ähnliche Gedanken in seinem jungen, ungeschulten Gehirn. Er richtet in seinem Gehirn Räume ein.
Junka wagte etwas was nicht jedes Kind sich erlaubte. Er traf für sich schon früh Entscheidungen. Das waren aber keine Dinge die er sich aus dem Ärmel schüttelte, nein nur aus Neugier und um sich überraschen zu lassen. Nicht in Hektik, nein abwartend.
Rekapituliert sieht das so aus: Lehrer Storbeck in Heven? Der musste millimeterweise in Junkas Gehirn reinträufeln. Junka merkte sich dessen Gehabe und nahm sie nebenbei wahr. Rein zufällig erwischte Junka einen Tag mit „Gusto“ und da schrieb er eine fehlerfreie Rechenarbeit. Der Lehrer nahm ihn wahr und rief ihn zu kniffligen Fragen auf. Die löste Junka immer. Das ließ andere Schüler aufhorchen.
Und plötzlich sitzt Junka wieder bei Lehrer Hörter in der Forell-Schule und stellt Vergleiche an zu der Schulzeit in Witten-Heven. Da stellte er keine Unterschiede fest. Hier wie da bemerkten Lehrer seine Aufmerksamkeit und richteten dementsprechende Fragen an ihn. Das forderte ihn und erzog ihn zur Selbstständigkeit.
Da kaufte Opa Wadeck Junka die langersehnte Mundharmonika, denn Opa Wadeck hatte immer so eine in der Tasche und spielte gekonnt darauf. Er kaufte für Junka eine mit gekrümmter Blasstraße in C-Dur. Es gab keinen Lehrer der Junka sagte wie er hineinblasen sollte. Junka fand die richtigen Töne und begann mit der Walzermelodie „Waldeslust“ die er nach anfänglichen Schwierigkeiten bald beherrschte. Das stand schon im krassen Gegensatz zu dem, dass jeder der mal an ein Klavier kam sofort auf den Tasten das „Hänschen klein!“ suchte. Nein, Junka wiegte im Walzerrythmus. Einmal bekam er mit, dass wer davon sprach, dass man mit „Zungenschlag“ besser die Melodien herausholen könne. Er wagte das auch und sparte mit Mundflüssigkeit, denn er kannte die Bewegungen anderer Mundharmonikaspieler die immer das Instrument am Hosenbein trocken klopften. Das mochte und konnte er nicht, denn er hatte keine Lange Hose. Er trug Sommers und Winters kurze Hosen. Nur die Strümpfe wechselten. Im Sommer Kniestrümpfe, im Winter lange Strümpfe die von Gummis an einem Leibchen unter dem Hemd gehalten wurden und lästig waren. Mal klinkten sich die Halterungen aus, mal riss ein Knopf bis kaum ein Tag verging an dem man nicht unerwartet mit Dauerwellen in den Strümpfen in heimische Gefilde eilen musste sein Äußeres wiederherzustellen. Also sparte er mit der Spucke und regelte das Töne Blasen möglichst trocken. Und dann hörte er von der Kunst mit „Zungenschlag“ Mundharmonika zu blasen. Das übte er. Und er hielt seine Zunge trocken und spitzte seine Zunge diesen und jenen Ton zu blockieren oder ihn am richtigen Platz tönen zu lassen. Junkas Repertoire erweiterte sich und er begleitete den einen oder anderen Gesang.
Es war eigentlich ein Glücksfall das Junka nach Hamburg kam. So erfuhr er zum ersten Mal sechs Wochen ohne Donna Clara. Jetzt brachte ihm die Krankheit von Donna Clara eine weitere Erfahrung, nämlich die mit mehreren Kindern in einem engen Haushalt zu leben. Es gab Zank und Geschrei, aber auch das Spiel miteinander. Es lag so eine Regel in der Luft, oder bisweilen sprach man davon; Drei Kinder sind Spielkinder. Da Onkel und Tante ganz in ihrer Familie aufgingen, die Tante sich ganz auf ihren Haushalt konzentrieren konnte, ergab das irgendwie eine Stütze die sich grundsätzlich nur mit dem Haushalt befasste. Das brachte zumindest mal eine abwechslungsreiche Küche.
Irgendwie nahm die Frau Tante in Junkas Träumen keine direkte Frauenrolle an wie beispielsweise Tante Anna, die elegante Schaustellers Frau mit einer Leiste an goldenen Zähnen in der vorderen Gebissreihe. Sie kleidete sich gerne mit dunklen Samtstoffen und ließ sich ihre Kleider immer auf den Leib schneidern. Es war die richtige Frauensperson die ohne was zu sagen animieren konnte im Betrieb einer Schießbude. Eine bunte Halle voller knalliger Papierblumen und bunter Tierfiguren die mit einer Abschussquote an weißen Röhrchen erworben oder abgeschossen werden konnten. Geschickten Schützen drückte man gerne eine Flinte in die Hand die auf drei Meter das Treffen eines Möbelwagens unmöglich machte. Außerdem war der Luftdruck dieser Luftgewehre ziemlich mies, dass die Blei Kügelchen irgendwie durch die Luft eierten.
Dann war da noch Tante „Matta“ im Kindergarten, schwarzhaarig und mit einem breiten Mund gleich einer offenen Wunde mitten im Gesicht. Die Haare drapiert mit geflochtenen Zöpfen zu Schnecken zusammengesteckt, um dann die übrigen herumstehenden Haare mit Dauerwellen dekorativ wie vom Wind verweht erscheinen zu lassen. Das gab der Person Tante Matta etwas Angriffslust und Schönheit.
In dieses Bild passte Tante Ennecken nicht hinein.
Schon deshalb nicht, weil Junka aus Personen das herausholte was er in seinen erträumten Geschichten so brauchte, aber bestimmt nicht nur sympathische Figuren, nein auch die Intriganten spielten eine besondere Rolle, denn ohne die ging nun einmal Garnichts. Seine Traumgeschichten bezog er aus Märchen und, bunten Illustrationen und Filmen die er bis dahin nur sparsam genoss. Junka suchte und fand Anregungen für seine Traumwelt die ja jetzt im Entstehen war und langsam Form annahm. Schwierigkeiten begannen da wo eine Ortsbestimmung stattfinden sollte. Da war Witten-Heven mit den steilen, abfallenden Hängen und Felsen ein Grund zu graben und eventuell zu einem sicheren Ort in einer Gesteinshöhle zu kommen. Eigentlich eine gewaltige Arbeit die es zu bewältigen gab.
Irgendwer schenkte Junka ein Buch mit einem Titeln „Das Darf Land“, oder so. Ein Junge träumt und verrennt sich wegen Traum und Wirklichkeit. Es spielt der Meerrettich eine Rolle und der Rosenkohl und ein Gegenpart von einem Buben der alles klaut, was er ja darf im Darf Land. Irgendwie irreleitend, aber was soll es?
Das alles war Junka zu aufgesetzt, doch da setzte man ihm einen Floh ins Gehirn, denn der Junge wünschte sich zu seinem Geburtstag ein rotes Auto das innen blau sein sollte. Da war bereits der Traum mit Kalamitäten gefüllt, denn das Geschenk bestand in einem Auto Außen blau und innen rot.
Junka kannte solche blechernen Autos nur aus Schaufenstern, denn in seiner Nachbarschaft besaß kein Kind so ein Traumauto zu dem man Trampelauto sagte, denn es war mit zwei Pedalen zu bewegen und mit einem Lenkrad zu leiten.
Die Zeichnung von diesem Auto war so gut, dass Junka sich unsterblich in dieses Auto verliebte und in seine Träume einbezog. Das ging dann so weit, dass er Ruth mit einbezog und mit der auf dem engen Sitz weite Reisen vollbrachte, wobei sie selbstverständlich allen Bekannten begegneten die nur neidvoll gucken konnten.
Doch die Wirklichkeit näherte sich und Junka musste zurück in die Forell-Schule und sich dem strengen Lehrplan des Lehrers Hörter unterordnen. Der musste sich dem Rektor Großschnauze unterordnen. Und der Frühling zog wieder ins Land, auch im Jahre neunzehnhundertneununddreißig, denn eine Regierung mag alles nach ihren Wünschen und träumerischen Gedanken auf die Wege bringen, aber die Jahreszeiten ändern, das ging nicht. Daran wollte man wohl noch arbeiten.
Es lag sowas Martialisches in der Luft. Die einen liefen stets in Breecheshosen herum die in glänzenden Schaftstiefeln steckten, und die Anderen schielten zu den breiten Hintern die diese Breecheshosen ergaben und es zuckte ihnen in den Beinen da hinein zu treten, während die mit Händen in den Hosentaschen der Breecheshosen es hier und da taten und in Menschen hineintraten. Eigentlich hätten da die Nicht-Stiefel-Träger nicht an sich halten dürfen.