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Krieg.

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Deshalb begann am ersten September: „Seit heute früh fünf Uhr dreißig Uhr wird zurückgeschossen!“

Und Junka ging wieder mal ins Kino, denn der Film war „jugendfrei“, und da jaulten die Stuka und „Hans Raddatz“ brüllte „Hinein mit Sack und Flöte“, und alle Buben wollten Karl Raddatz sein! Und in der Wochenschau waren nur Helden die ausgezeichnet wurden, und alle Buben wollten ausgezeichnet sein, und glänzende Bubenaugen schauten in das Schaufenster wo es Orden und Ehrenzeichen und silberne und goldene Sterne für Portepees gab.

Und auf der Straße furzte ein strammer Marine-Hintern lautstark. Der Matrose aber drehte sich um und sagte zu einem hübschen Mädchen: „Brauchse nich rot zu werden. Ist mir auch schon passiert!“ Junka schämte sich für das hübsche Mädchen.

Und dieser oder jener junge Mann wurde eingezogen, und jener Nachbar oder entfernte Bekannte auch.

Und irgendein Lastwagen ratterte täglich zu einem Punkt vor der anderen Gaststätte und lud zwei strapazierte Metallfässer mit Klappverschlüssen ab und fuhr weiter. Dann kam etwa so um zwölf Uhr einer von der NSV und dann kamen Leute mit Kochtöpfen und Deckel darauf, oder mit dem kleinen Emaille-Eimer der allgemeine Kartoffelschäleimer genannt wurde, hier aber mit einem Deckel darüber, und dann verteilte der oder die von der NSV was zu essen. Junka schaute nie genau hin. Er hätte das Zeug nie gegessen. Aber er hörte, dass es Leute geben sollte die mit ihren Marken oder mit ihrem Geld nicht zurechtkamen und deshalb da Essen abholten. Junka stellte nur fest, dass es da immer nach Stielmus aussah. Für so ein Essen hatte er „lange Zähne“!

Und es kam gleich nach dem Polenfeldzug Einquartierung, denn man hatte zu viele Soldaten gezogen und die mussten irgendwo hin, so hörte man.

Also beschlagnahmte man Wirtshaussäle, Schulen, stellte bei Bauern Pferde unter und beparkte den Rollschuhplatz mit Wehrmachtsfahrzeugen. Vom Jahr neununddreißig zu vierzig war es zwar kalt, wie alle Winter um die Zeit, aber es hielt sich in Grenzen. Manche Soldaten schliefen, wie bei Fernfahrern üblich in ihren Lastwagen, die vom Neumarkt aus irgendwo hinfuhren, Tag und Nacht in Betrieb waren, und auch so ewig in Bewegung schienen. Der Platz war bewacht von Wachposten mit durchgeladenem Karabiner, aber sonst lebten die Soldaten, die teils auch Schlafstätten in Wohnungen fanden, wie andere Menschen auch und gingen abends in die Kneipe zu Reichard. Da bürgerte sich im Laufe der Zeit ein gewaltiges Nachtleben mit riesigen Besäufnissen ein, denn die Soldaten, die Fahrer, brachten von ihren Touren sogenanntes „köstlich Wasser mit.

Aber dann verschwanden die Militärfahrzeuge und es war Landschaft wie gehabt.

Und Junka erinnerte. Da war aus dem roten Haus gegenüber ein Sohn bei der Luftwaffe, eine Zeit bevor zurückgeschossen wurde, und der fiel mit dem Flieger vom Himmel und wurde aufwendig in seiner Heimat begraben. Da kam eine ganze Kompanie Soldaten und das Musikkorps der Schupo und ein Spielmannszug vom Kriegerverein, und sie zogen Säbel zur Ehrenbezeugung und knallten dreimal in die Luft auf dem Friedhof und auf einer Fahne stand „Deutschland erwache!“, aber das machte nichts. Junka und andere Buben wechselten die Straße um mindestens an drei oder vier Ecken zackig Deutsch zu grüßen. Dann krochen sie auf dem Friedhof in die Büsche und fanden die eine oder andere Patronenhülse vom Salutschießen.

Das war ein Riesenspektakel von dem man lange redete. Die Eltern des Gefallenen zogen aus und verschwanden aus Junkas Gesichtskreis.

Der Polenfeldzug erledigte sich und im Kino gab es für Kinder Sondervorstellungen zum Eintrittspreis von fünfzehn Pfennigen „Der Feldzug in Polen“. Da aß Hitler aus einem Kochgeschirrdeckel Erbsensuppe. Der Film war ein Zusammengeschnippsel von Wochenschauen und sehr langweilig. Man war aber dabei! Und dann gab es einmal Alarm. Da heulten die Sirenen. Es war aber nichts. Mehr so eine Übung.

Onkel Franz wurde Helfer in einem Pferdelazzarett, denn er war ja Jockey.

Auf dem Kirmesplatz zwischen Feldstraße und Körnerstraße quartierte mindestens ein Regiment Artillerie mit Geschützen und den Raupenschleppern die die Geschütze durch dick und dünn ziehen konnten. Junka inspizierte alles ganz genau und als es regnete verzog er sich unter das Klappverdeck eines Raupenschleppers. Da schliefen zwei Soldaten, und Junka kam es so vor als ob die hier wohnten. Leise schlich er sich wieder nach Hause. Im Regen unter einer Plane in einem zugigen Raupenschlepper? Das muss wohl echter Krieg sein? Junka beschloss sich einer anderen Waffengattung anzuschließen. Noch hatte er Zeit dazu.

Und es kam die erste Kriegsweihnacht.

Junka bekam einen Film-Vorführ-Apparat. Es gab auch ein paar Meter fünfunddreißig Millimeterfilm. Nun konnte er sich selber Kino „vormachen“. Er besaß zehn Meter Pat und Patachon-Film. Zehn Meter Ernte von Weintrauben. Und zehn Meter von einem Kahn auf dem Rhein.

Auserlesene Kinder lud er zu einer Vorstellung ein. Seine Beliebtheit steigerte sich bei bevorzugten Kindern.

Junka besaß zu seiner Burg inzwischen zehn Fahrzeuge und über einhundert Soldaten. Zur Abnahme einer Parade stellte er zu Hitler, mit schwenkbarem Arm, Hindenburg und den alten Reitergeneral Mackensen in todschicker, schwarzer Husaren-Uniform.

In den Sommerferien sollte Junka nach Düsseldorf, und da freute er sich sehr darauf, denn ansonsten war Düsseldorf immer nur ein Kurzbesuch für ein, zwei oder höchstens drei Tage. Jetzt aber sollte er länger bleiben.

Es kamen die Ferien. Das war zu der Zeit da Holland und Belgien besetzt wurden und über Süd jede Menge Ju 52 flogen mit offenen Türen zum Fallschirmjäger Transport. Und es gab Krieg mit Frankreich. Der Pilo jedenfalls erzählte, er habe das so gesehen, denn er war der der die meisten Splitter von Flakgranaten hatte, weil er, so erzählte er, schon manchmal um fünf Uhr in der Frühe auf Suche nach Splittern ginge. Junka hielt ihn für einen Aufschneider.

Junka musste für zehn Pfennig Wasserflöhe im Glas holen, denn bei Tante Maria hatte es Goldfische. Zwei Buben wohnten noch im Haus. Der eine ging noch in den Kindergarten und war nicht der richtige Spielpartner. Er hatte einen selbstgebastelten Zoo mit vielen Tieren aus Pappmasché. Das fand Junka interessant und man verriet ihm, dass man daraus auch Kasperlfiguren machen könne. Der andere Junge im Haus war mehr für Abenteuer, und er hatte einen ziemlichen Durchblick. So kam Junka zum ersten Mal in seinem Leben in den Genuss eines echten Wildwest-Films der in einem Vorstadt-Kino lief: „Grenzpolizei Texas“. Ein echter Western mit Sheriff, Postkutschen-Überfall und Indianern. Es wurde geschossen und gekämpft. Indianer von Oben mit dicken Felsbrocken, Cowboys von unten mit dem Colt.

Und die Ferien wurden verlängert. Es gab Krieg mit Frankreich. Also ging man sonntags früh ins Kino Wochenschau gucken. Da erfuhr man vom Einmarsch.

Die Ferien verlängerte man, denn man wusste noch nicht. Verlängerte Ferien sind für Kinder ganz was Feines! Also noch mehr Grafenberg und einmal mit dem Dampfer nach Kaisers Werth, und Onkel Franz bekam Urlaub und besuchte Kumpels in Benrath und Tante Lotte in Leverkusen, und Junka begleitete ihn dabei.

Und dann waren die Ferien zu Ende, denn Frankreich war besiegt.

Junka spielte den Marsch zu dem Einmarsch in Paris auf der Mundharmonika. Er gefiel ihm sehr gut. Er hatte noch was gelernt. Man legte einen Nagel auf ein Straßenbahngleis, und die nächste Straßenbahn machte den platt. Nur der Nagel war heiß. Da konnte man sich die Finger daran verbrennen.

Schaffner und Fahrer der Straßenbahn wussten davon und sahen das nicht so gerne, denn man konnte nicht wissen ob die Straßenbahn aus den Gleisen sprang.

Die paar Wochen Düsseldorf taten Junka gut. Junka konnte das Leben mitten in einer Großstadt in vollen Zügen kennenlernen, aber daran gewöhnen? Also nur zwischen Häusern in Straßen mit Straßenverkehr zu spielen? Da blieb nichts. Da gab es kein Ballspiel das irgendwie möglich war. Also nicht wie auf dem Albert-Leo-Schlageter-Platz Brennball, Schlagball oder Pinnchenklopfen, oder gar mit Knickern, mit Murmeln spielen oder Rollschuhlaufen? Das nicht. Hallenbad ja. Rollschuhlaufen nur im Klub. Vor der Haustür spielen? Nein. Das findet nicht statt. Auf dem Hinterhof vielleicht, wenn der nicht gerade für berufliche Zwecke genutzt wird. Ein freier Hinterhof ist in einer Großstadt eine Seltenheit.

In einer Großstadt müssen Kinder erfinderisch sein. Junka bekam davon was mit, ob er das für die Zukunft weiter verbrauchen konnte ist eine Frage für sich. Junka hatte andere Sorgen, denn im Herbst sollte er sehr wohl das zehnte Lebensjahr erreichen und dann würde er in die langersehnte Schar der Uniformträger, der Deutschen Jugend, abgekürzt DJ, eintreten. Das war allmählich nicht mehr so einfach, denn es war Krieg. Vom Ersten Weltkrieg hatte man viel gehört, und vor allen Dingen davon, dass die Lebensmittel sehr knapp wurden und man eine Zeit lang nur von Steckrüben gelebt habe. Die mochte Junka beim besten Willen nicht, obgleich Opa Wadeck gerne hie und da Steckrüben aß. Es gab auch so einen Satz: „Gold gab ich für Eisen!“, das meint die Menschen gaben ihr Gold hin gegen eine Anerkennung auf dem Papier, und mit dem Gold konnte der Kaiser was kaufen womit er siegen wollte. Das Volk vertraute dem Kaiser wie seinem engsten Verwandten und bekam im Endeffekt „einen Schlag in die Fresse geboxt“. Gut, man sammelte für die Winterhilfe. Es kamen Leute an die Tür denen man vorschwindeln musste, dass es sonntags ein Eintopfessen gab, und man dem Staat die Differenz zum Sonntagsessen auszahlte, also etwa eine Reichsmark, denn man gab sich nicht reell.

Auch sammelte man für Kriegsgräber, und da lag was in der Luft was man nicht so in den Griff bekam, denn zwischen Leben und Sterben gibt es einen Unterschied, denn, wenn man bei irgendeinem Schießen getroffen wird ist man unter Umständen tot, und dann hat man nichts mehr davon, auch nicht von der Kriegsgräbersammlung. Darüber wurde so gut wie nie diskutiert. Überhaupt diskutieren? Man quasselte halt, beachtete aber nicht weiter, dass Herr Goebbels das Parlament eine „Quasselbude“ nannte. Das kam erst in die Diskussion als es zu spät war.

Ja, und jetzt DJ. Da sah man in der Wochenschau den „Führer“ auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden und dann kamen Kinder in DJ-Uniform und überreichten Blumen. Die Mädchen mit weißen Blusen und aufgenähten Emblemen und der Berchtesgadener Trachtenjacke, und die Buben im Braunhemd mit Emblemen, schwarzem Fahrtentuch, Koppel zum Halt der dunklen Hose und Fahrtenmesser mit stumpfer Klinge. Irgendwie gehörte auch ein Schulterriemen dazu, aber es gab keinen zu kaufen. Es gab allmählich auch kein Braunhemd mehr zu kaufen. Beim Fahrtentuch konnte man sich behelfen, bei der Hose auch, und den geflochtenen Lederknoten um eine weiße Rune auf schwarzem Grund, eine Schulterklappe mit Nummer neunzehn, den Knopf, und silberner Nummer zweihundertzweiundfünfzig. Das hieß dann zu jeder Manns Erkenntnis Fähnlein Neunzehn, Bann zweihundertzweiundfünfzig und Gau Westliches Westfalen.

Also horchte man herum wer aus einem Braunhemd herausgewachsen war und verkaufte. Junka streckte seine Fühler aus und bekam ein Hemd. Die Kleinigkeiten dazu besorgte er sich durch umsichtige Einkäufe und auch ein Fahrtenmesser kam dazu. Ansonsten?

Nun, man bekam Einquartierung und rückte zusammen, dass noch der eine oder andere Soldat in einem ordentlichen Bett schlafen konnte, während die Masse in Wirtshaussälen und Schulen unterkam. Der gepflegte Albert-Leo-Schlageter-Platz war plötzlich ein Parkplatz für Wehrmachtsfahrzeuge die Transporte machten aus und nach oder ins Frankreich hinein.

Das ergab eine lustige Zeit mit vielen Umtrünken und Fressgelagen und Essen aus der Gulaschkanone, wobei Opa Wadeck von der Graupensuppe aus der Gulaschkanone vornehmlich schwärmte. Auch die Erbsensuppe aus der Gulaschkanone fand Junka sehr schmackhaft in Verbindung mit einem Stück Kommissbrot. Es war der Krieg plötzlich eine lustige Zeit und es gründeten sich Freundschaften die lange hielten und auch eine Ehe sprang dabei heraus.

Da war aus Junkas Bekanntenkreis eine Gemüsehändlers Tochter die von ihrer Mutter mal einen „Fohlenmantel“ geschenkt bekam als Kapitalanlage. Die heiratete einen Obergefreiten der bald Unteroffizier wurde und das E.K.I verliehen bekam. In seinem Urlaub nahm er Junka mit in die Badeanstalt und da fühlte sich Junka. Das war nun mal so.

Dann war da ein sehr junger Schwabe der die Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker zu Ende brachte und jetzt als Fahrer beim Tross war. Der kam oft nach der Nachtwache zum frühen Frühstück und sagte: „I ho koi Hitz mi!“, denn er war von der Nachtwache mit Karabiner durchgefroren. Er blieb der Familie treu, schrieb und kam hie und da „Vorbei“.

Und dann verabschiedete sich Opa Wadeck von dieser Welt.

Die Familie kam zusammen ihn zu beerdigen. Die Beerdigung ging von der Leichenhalle des Krankenhauses aus zum Friedhof und Junka ging als einziger Enkel mit gleich hinter dem Leichenwagen. Es kamen Tante Zissy, Onkel Paul und Tante Lotte, denn Onkel Theo war kriegsdienstverpflichtet und Onkel Franz irgendwo in Polen als Helfer im Pferdelazzarett. Enneken machte am Grab die Schau und verabschiedete sich mit „Deutschem Gruß“. Die Einsegnung besorgte das katholische Pfarramt. Junka erfuhr nie warum sein Opa und woran er gestorben war. Er fehlte ihm sehr, denn der las ihm vor als er noch sehr jung war und noch nicht lesen konnte. Der spielte mit ihm alles von „Mensch ärgere dich nicht“ bis „Halma“ und „Dame“ und „Mühle“. War der Kreis größer spielte man auch „Schwarzer Peter“. Er fehlte ihm nicht nur da. Er fehlte überhaupt.

Wadeck mauerte an den chemischen Werken in Hüls und dann am Gussstahlwerk in Witten. Er machte viele Überstunden. Man konnte sich was leisten. Da gab es die „Bunte Bühne“ in Gelsenkirchen mit dem Varieté-Programm. Artisten aus allen möglichen Ländern traten da auf. Beeindruckend fand Junka eine Truppe mit hawaiianischer Musik und einer schwarzhaarigen, schlanken Tänzerin die irgendwas mit „Hikkihakkaauau“ sang, aber dann sang die gesamte Truppe zu Gitarren und Bassgeige „Eine Insel aus Träumen geboren!“ Wahnsinn fand Junka, und probierte auf der Mundharmonika bis er es draufhatte. Er stellte fest, dass man nicht alle Lieder in C-Dur hinkriegte und man kaufte ihm eine doppelseitige Mundharmonika mit zwei Tonarten.

Junka lernte schon in der ersten Klasse der Volksschule Noten, und das behielt er bei, obgleich alle anderen Lehrer die er bekam nichts damit im Sinn hatten.

Das zweite Kriegsjahr lief langsam vor sich hin, denn die Hauptsache, die Rache für den ersten Weltkrieg gegen Frankreich war zu Ende und England war und blieb ein Rätsel. Luftangriffe mehrten sich, aber das war noch nicht das was man für voll nahm. Irgendwer inszenierte Ausstellungen, Junka sah sie in Süd und in Witten, wo man Phosphorplättchen (Minibrandbomben) in Flüssigkeitsbehältern zeigte und dicke Bombensplitter. Splitter von Flakgranaten besaß Junka bereits und Opa Wadeck belehrte ihn, dass selbst ein kleiner Splitter tödlich sein könne. Ja, und der Feind warf auch Flugblätter ab die man abliefern sollte. Im Stielmuspark fanden die Buben mal ein Flugblatt mit braunen Streifen. Augenscheinlich hatte das Wer für „hinterlistige“ Zwecke gebraucht.

Lehrer Hörter legte Wert auf Schreiben und Rechnen.

Kinderlandverschickung

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