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Es war noch recht früh am Morgen. Erst zehn nach sieben. Hannes wusste, dass die Werkstatt vom Kummerer Fredl regulär noch nicht aufhatte. Trotzdem stand er schon in Kummerers Hof und klopfte fordernd gegen das Küchenfenster. Sein Combi musste dringend von der Straße. Vor allem seine Mutter durfte ihn nicht sehen. Sie würde nur blöde Fragen stellen. Zu Recht, wie sich Hannes bewusst war. Ein Grund mehr, vorzusorgen, dass erst gar kein Gerede aufkam. In Kipfenberg waren selten Autos unterwegs, die aussahen, als kämen sie gerade aus einem Bürgerkriegsland.

Hannes spähte durchs Fenster. Licht brannte, aber in der Küche war niemand zu sehen. Er klopfte weiter.

„Kruzifix, was ist denn?“, raunzte drinnen jemand aufgebracht.

Im nächsten Augenblick kam der Kummerer in seine Küche, ungekämmt und ungehalten. Er schnürte sich gerade einen himmelblauen Morgenmantel zu.

„Du?“, schnauzte er ihn an, als er Hannes bemerkte, und stapfte wütend ans Fenster. „Was hat dich denn geritten? Spinnst du?“

„Ich brauche dringend deine Hilfe“, flehte Hannes.

„Warte gefälligst noch die zwanzig Minuten, bis ich die Werkstatt aufmache.“

„Nein! Bitte gleich! Bevor der Schulbus vorbeifährt.“

„Was interessiert dich denn der Schulbus?“

„Ich will halt nicht, dass es Gerede gibt. Komm, bitte hilf mir, Kummerer! Mein Auto muss vom Hof weg.“

Unter fluchendem Gegrummel verließ der Kummerer seine Küche. Normalerweise gingen sich die beiden aus dem Weg, weil jede Begegnung alte Wunden aufriss. Dreizehn Jahre war es inzwischen her, dass Hannes’ Vater und die Frau vom Kummerer, die Edith, ihren Ehepartnern und Familien unterbreitet hatten, dass sie sie verlassen würden. Zusammen waren die beiden dann durchgebrannt. Zurzeit lebten sie in Singapur. Zumindest stand das in einem Brief, den Hannes vor ein paar Wochen von seinem alten Herrn erhalten hatte.

Eine halbe Minute nach der Begegnung am Fenster öffnete sich summend das Garagentor in Kummerers Werkstatt. Der Kummerer wiederum kam aus der Haustür marschiert, knittrig, unrasiert, noch immer in seinem Morgenmantel. Sein rostbraunes Haar zeigte in alle Richtungen.

„Jetzt erklärst du mir erst mal, was das soll“, verlangte er grimmig. Dann fiel sein Blick auch schon auf den Wagen in seiner Auffahrt, und sein Ausdruck veränderte sich. „Hast du den beim Fallschirmspringen dabeigehabt, oder was?“

„Nein. Es war ein kleiner Unfall. Oder eher ein Zwischenfall.“

„Na, so klein kann der Zwischenfall nicht gewesen sein.“

Der Kummerer drehte eine Runde um den ramponierten Wagen, begutachtete dabei die Radkästen und warf einen abschätzigen Blick durch das gewaltige Loch in der Heckscheibe ins Innere. „Was du damit angestellt hast, willst du mir wahrscheinlich nicht verraten.“ Er klang nun geschäftsmännisch sachlich.

„Nein, lieber nicht“, antwortete Hannes. „Kannst du damit noch etwas anfangen?“

Der Kummerer lachte auf. „Was in Herrgotts Namen soll ich denn mit dem Schrotthaufen noch anfangen können? Ein modernes Kunstwerk daraus basteln?“

„Na ja, fahren tut er ja noch. Ich weiß ja nicht, vielleicht könntest du den Wagen irgendwie ausschlachten und so.“

„Du, Hannes, ich stell mich weder auf einen Flohmarkt, noch bin ich irgendein Sonntagstandler, der seinen Scheißdreck auf Ebay verkauft. Und für eine Abwrackprämie bist du auch ein paar Jahre zu spät dran.“

„Ja, ist ja schon gut. Kannst du ihn trotzdem von der Straße nehmen? Am besten jetzt gleich. Der Schulbus wird gleich vorbeikommen.“

„Er fährt noch, hast du gesagt?“, vergewisserte sich der Kummerer.

Hannes nickte gehetzt.

„Gib mir dreihundert Euro, dann bist du ihn los.“

Hannes willigte augenblicklich ein. „Können wir ihn jetzt endlich in deine Werkstatt fahren, damit ihn keiner sieht?“

„Meinetwegen“, sagte der Kummerer und vollführte eine hoheitsvoll einladende Geste zu seiner offenen Garage. „Fahr ihn nur rein.“

Hannes kam der Offerte augenblicklich nach.

„Und jetzt schnell das Tor zu“, bat er den Autoschrauber. „Mir wäre es echt recht, wenn du ihn irgendwann nachts von hier wegbringen lässt. Verstehst du? Damit ihn keiner zu Gesicht bekommt.“

„Das überlass gefälligst mir“, erwiderte der Kummerer und besah sich die Auspuffpartie des Wagens. Dass sein Morgenmantel dabei den schmierigen Werkstattboden fegte, schien ihm nichts auszumachen.

Hannes schaute sich um. Die Regale an den Wänden waren vollgepfercht mit Lackdosen, Ölkannen, Eimern und Ersatzteilen in allen Formen und Größen. Entsprechend roch es. Der Boden wurde von Automatten, einer durchlöcherten Ölwanne, diversen Auspuffmodellen und zwei Stapeln merklich gelittener Reifen eingenommen. An zwei rostigen Ketten hing ein unverkleidetes Motorrad von der Decke. In einer Ecke entdeckte Hannes noch ein weiteres Zweirad. Eines, das er zu kennen glaubte. „Ja, kann denn das sein“, murmelte er in sich hinein und hielt auf den Bock zu.

„Was ist denn?“, erkundigte sich der Kummerer und richtete sich wieder auf.

„Die Derbi da“, sagte Hannes und zeigte auf das Gefährt. Gelb, weiß und violett, diese Farbkombination war unverkennbar. „Sag einmal, ist das nicht dem Xavi seine alte Maschine?“

„Hä?“

„Na, die Fünfziger da. Das ist doch dem Schwabeder Xavi seine alte Kiste, oder?“

„Nein, die gehört einem Burschen aus Kinding“, sagte der Kummerer. „Will einen neuen Auspuff drauf.“

„Also, ich gehe jede Wette ein, dass das dem Xavi seine alte ist.“

„Von mir aus, ist mir gleich. Jetzt hör zu, Hannes.“ Der Kummerer bediente endlich das Garagentor und kapselte den kaputten Wagen damit dankbarerweise von den Straßenbenutzern ab. „Hast du denn schon ein anderes Auto?“

„Nein.“

„Ah, also nicht. Was schwebt dir denn so vor? Welches Fabrikat?“

„Das ist mir eigentlich egal. Hauptsache, es hat einen großen Kofferraum und eine umklappbare Rücksitzbank.“

Postkarten einer Toten

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