Читать книгу Postkarten einer Toten - Thomas Neumeier - Страница 18

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Jede der acht Ansichtskarten, die nun nebeneinander auf dem Küchentisch ausgebreitet lagen, war von einer Ute signiert, stellte Xaver fest. Der Ignaz war eigentlich nicht der Typ, der so etwas aufbewahrte, also war an denen wohl irgendetwas Besonderes. Die persönlichen Zeilen darauf waren kurz und bündig gehalten. Kein Vergleich zu den Romanen über Essen, Lufttemperaturen, Land und Leute, welche die Sabine bei solchen Gelegenheiten immer verfasste. Die Handschrift vollführte ausladende Rundungen an Bs, Ds und Rs, wirkte aber ein bisschen unbeholfen, so als hätte sich diese Ute sehr bemühen müssen, so einigermaßen schön zu schreiben.

„Das hier war die erste, siehst du?“, sagte der Ignaz und bedeutete eine. „Sie ist vor zwölf Jahren gekommen, kurz nach unserer Hochzeit. Aufgegeben in Rom.“

Xaver las die Karte.

Hallo Rhonda und Naz, Rom ist eine wunderbare Stadt. Die Stadt wollte ich schon immer mal sehen. Euch beide werde ich auch irgendwann wiedersehen. Womöglich schon bald. Meine besten Wünsche zur Hochzeit.

Ute

„Ja und?“, fragte Xaver. „Was ist daran jetzt interessant? Wir bekommen auch manchmal Karten. Von Sabines Freundinnen meistens.“

„Es geht weniger um die Karten an sich, sondern um die Absenderin, die Ute“, erklärte der Ignaz. „Das ist deshalb so kurios, weil die Ute schon seit langer Zeit tot ist.“

„Hä?“, machte Xaver.

„Es geht da um die Jandl Ute aus Böhming, vielleicht erinnerst du dich an sie“, sagte der Ignaz. „Die ist mit der Rhonda und mir in die Schule gegangen. Wir waren jahrelang in derselben Klasse. Und dann, mit sechzehn, da hat sie sich in ihrem Zimmer daheim aufgehängt.“

Xaver erinnerte sich vage an so einen Vorfall in seiner Kindheit. Ein Mädchen im Ignaz seinem Alter, das sich umgebracht hatte. Wenn sie damals sechzehn war, müsste er neun gewesen sein. Ja, er erinnerte sich vage. Er hatte damals ganz und gar nicht verstehen können, dass sich Leute selbst umbringen. Wenn im Fernsehen der Saber Rider und seine Starsheriffs jemanden erledigt hatten, dann war das okay. Aber sich selbst umbringen? Xaver hatte darin damals beim besten Willen keinen Sinn gesehen.

„Wenn die sich umgebracht hat, sollte sie sich etwas schwertun, euch Postkarten zu schreiben“, kombinierte er. „Das wird halt irgendeine andere Ute sein, die euch das geschickt hat.“

„Das haben wir uns zuerst auch gedacht“, sagte der Ignaz. „Aber dann, ungefähr ein Jahr später, kam die hier. Diesmal aus Südtirol.“

Xaver las.

Hallo, ihr zwei. Ich sag euch, wenn ich damals gewusst hätte, wie schön die Welt sein kann, dann hätte ich mich niemals umgebracht. Viele Grüße in die Heimat.

Ute

„Das ist schon ein ziemlich blöder Scherz“, bewertete Xaver salopp.

„Freilich ist das ein blöder Scherz“, bestätigte der Ignaz. „Und als genau das haben die Rhonda und ich das genommen. Wir haben uns gedacht, da will uns halt irgendein Depp verarschen. Tja, und dann sind über die Jahre hin immer weitere Karten gekommen. Nicht immer im Sommer, sondern zu jeder Jahreszeit mal. Die hier war die letzte. Vor drei Wochen in Singapur abgestempelt.“

„Da gibt sich einer ja echt Mühe, euch zu veräppeln.“

„Nicht nur uns, wie wir inzwischen wissen. Die Ingrid hat auch welche gekriegt. Genauso viele wie wir und aus denselben Orten in der Welt. Verstehst du, was ich sage?“

„Darüber habt ihr vorhin geredet? Über diese Karten?“

„Genau. Weißt du, die Karten sind an der Ingrid ihr Elternhaus in Hirnstetten adressiert worden. Die Ingrid war aber viele Jahre lang mit ihren Eltern zerstritten und hat da kaum mit ihnen geredet. Seit einem guten halben Jahr wohnt sie wieder bei ihnen und bekam da dann auch erstmals die Karten zu Gesicht.“

Xaver versuchte zu folgen und glaubte, Schritt zu halten. „Na gut, schön für sie. Und warum kommt sie damit zu euch? Und warum erst heute?“

„Langsam, lass mich nur erzählen“, gebot der Ignaz. „Also, pass auf, es war so: Die Karte aus Singapur hat sie ein bisschen aufgeregt, verstehst du? Sie hat sie als handfeste Drohung aufgefasst. Da stand irgendwas drauf … ja irgendwas wie, sie soll anfangen, das Feuer zu genießen, oder so ähnlich. Letzte Woche hat sie sich dann ausgerechnet mit dem Gruber Maxi auf einen Kaffee getroffen, um ein wenig über die alten Zeiten zu plaudern. Und natürlich über unser Klassentreffen. Dabei sind sie auch auf die Ute zu reden gekommen. Und glaub’s oder glaub’s nicht, Xavi, der Maxi hat auch seit Jahren Postkarten von ihr gekriegt. Tja, und jetzt ist er gestern gestorben. Das hat die Ingrid ein bisschen aus der Bahn geschmissen.“

„Sie meint, das war … kein Zufall? Aber es war doch ein Unfall, das mit dem Maxi.“

„Weißt du, ganz so sicher bin ich mir da nicht, Xavi. Gerade wenn ich an deinen Fund gestern Früh denke. Knochen im Feuer. Und auf diesen Karten stehen auch so Sachen über Feuer. Hier, schau mal, was auf unserer Singapur-Karte steht.“

Hallo Rhonda, hallo Naz, freut ihr euch auch schon auf unser Klassentreffen? Ich schon. Da werde ich euch ordentlich Feuer unterm Hintern machen. Bis dann.

Ute

„Feuer unterm Hintern machen“, murmelte Xaver vor sich hin.

„Was ich mir überlegt habe“, fuhr der Ignaz fort, „wenn die Ingrid, der Maxi und wir all die Jahre solche Karten gekriegt haben, dann haben vielleicht auch noch andere welche gekriegt.“

„Welche aus eurer alten Klasse, meinst du“, folgerte Xaver.

Der Ignaz nickte düster vor sich hin. „Da fragt man sich schon, wer da so einen Sprung in der Schüssel hat, so etwas jahrelang durchzuziehen.“

„Was hatte es mit der Ute denn damals auf sich gehabt?“, fragte Xaver. „Weiß man, warum die sich aufgehängt hat?“

Der Ignaz zuckte vorsichtig mit den Schultern und zog ein Gesicht. „Ach weißt du, die war schon allerweil ein bisschen komisch. Hat nie viel gesagt. Recht beliebt war sie nicht in der Schule. Hat auch nicht besonders gut ausgeschaut. Eher im Gegenteil. Die meisten wollten nichts mit ihr zu tun haben.“

„Habt ihr sie gehänselt?“

„Na ja, schon. Wie man das halt so macht als Kinder. Oder als Jugendliche. Ja, sie wurde schon ziemlich ausgebissen, täte ich sagen. Es konnte halt keiner so wirklich was mit ihr anfangen. Warte, ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Vogelscheuche haben wir sie immer genannt.“

Postkarten einer Toten

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