Читать книгу Postkarten einer Toten - Thomas Neumeier - Страница 16

11

Оглавление

Als Xaver spätnachmittags von der Arbeit nach Hause kam, fand er Sabine im Schatten ihres Sonnenschirms auf der Terrasse vor. Sie wirkte ein wenig bedrückt. Xaver küsste erst sie, dann ihren Babybauch, anschließend nahm er den beiden gegenüber Platz und schenkte sich aus der Teekanne in Sabines Tasse ein. „Ist alles in Ordnung? Du schaust ein bisschen zuwider drein.“

Sabine nickte verhalten. „Hast du von dem schweren Autounfall bei Kinding gestern Abend gehört?“

„Hab’s im Donaukurier gelesen“, bestätigte Xaver. „Der Lkw-Fahrer liegt im Krankenhaus, den anderen hat der Sensenmann geholt. Vierzig Jahre alt und aus Beilngries, der Kerl, oder? Kennen wir ihn etwa?“

„Der Gruber Maxi war das“, antwortete Sabine.

Der Name war Xaver nicht unbekannt. Er dachte an einen kernigen, angeberischen Großmotz, mit dem er sich vor ein paar Jahren auf dem Beilngrieser Volksfest beinahe geprügelt hätte. Völlig sicher, ob er an den richtigen dachte, war er sich aber nicht.

„Der Ignaz war mit ihm in der Schule“, klärte ihn seine Frau auf. „Die sind derselbe Jahrgang.“

„Ah“, machte Xaver, und ihm fiel ein, dass der Ignaz und die Rhonda dieses Jahr ebenfalls zum vierten Mal nullten. Beide im Sommer. Früher hatten sie ihre Geburtstage gern ordentlich gefeiert. Seit dem Tod von der Lisa nicht mehr.

„Die haben übernächstes Wochenende Klassentreffen“, fuhr Sabine fort. „Das wird dann wohl eine recht überschattete Zusammenkunft werden.“

„Woher weißt du denn das mit dem Klassentreffen?“

„Na, vom Ignaz halt. Er hat’s mir erst heute erzählt.“

„Du warst am Hof?“

Sabine nickte. „Ich wollte ein bisschen Gesellschaft. Der Ignaz ist recht zerknirscht wegen dem Unfall. Vielleicht solltest du ihn besuchen und ein Bier mit ihm trinken. Das wird ihn aufmuntern.“

„Habt ihr auch über das Feuer und die Knochen geredet?“, wollte Xaver in banger Furcht wissen, ob seine Gattin nun womöglich den Ignaz davon überzeugt hätte, dass das alles nicht echt gewesen sei.

„Nein“, sagte sie gedehnt. „Na ja, schon. Kurz halt. Wie man halt über so etwas redet, wenn man sich trifft und davon weiß. Es ist ja nicht so, dass so was jeden Tag bei uns passiert. Freilich spricht man das an. Aber nur ganz kurz.“

Eine Antwort, die Xaver nicht frei von Misstrauen hinnahm, aber nicht weiter hinterfragte.

„Okay, ich fahr dann nach dem Essen zum Ignaz raus“, sagte er. „Was gibt’s denn heute Feines zum Essen?“

Als Xaver in den heimischen Hof einfuhr, fiel ihm zuallererst das fremde Auto auf, das genau dort parkte, wo er normalerweise seinen Wagen abstellte. Ferrarirot lackiert, aber es war ein Scirocco der dritten Generation. Ein Eichstätter Nummernschild prangte unter dem Kühler. Xaver erinnerte sich nicht, die Karre schon mal gesehen zu haben. Nun ja, der Eichstätter Landkreis war weitläufig.

Als Zweites fiel ihm auf, dass vor der Scheune ein kleines graues Mokick stand, das dort ebenfalls nicht hingehörte. Dicke Reifen, aber kaum größer als ein Teller, war das bestimmt kein Modell, auf das die heutige Jugend abfuhr. Es sah auch alles andere als neu aus. Der Besitzer war vermutlich ein älteres Semester. Darin sah sich Xaver bestätigt, als der Papa flankiert vom Bittl Berthold aus der Scheune kam. Der Bittl war einer seiner Stammtischbrüder.

„Grüß dich, Xavi“, bemerkte der wie der Papa in Ehren ergraute Bittl. Er war unmerklich kleiner als der Papa und auch nicht so vierschrötig, aber eine gewisse Aura von Altersgranteltum umwehte auch ihn. Tja, so war das halt mit den alten Haudegen, die allmählich in die Jahre kamen.

„Servus Berthold“, erwiderte Xaver den Gruß. „Sag mal, Papa, wer ist denn da noch da?“

„Eine alte Schulbekanntschaft von deinem Bruder und der Rhonda“, brummelte der Papa mürrisch und stapfte in seinen kniehohen Stiefeln auf den alten Hühnerstall zu, der schon seit Jahren als Werkzeuglager diente. Der Bittl folgte ihm deutlich leichtfüßiger.

Ein Schulspezl vom Ignaz. Das ließ darauf schließen, dass noch jemand das Bedürfnis hatte, über den verstorbenen Maximilian Gruber zu reden. Xaver wäre es neu, dass der Ignaz mit alten Schulkameraden regelmäßige Kontakte pflegte. Somit empfand er es auch als merkwürdig, dass der Tod von einem von ihnen eine Zusammenkunft auslöste. Jeden Tag starben Leute an Unfällen oder Schlimmerem. Gerade der Ignaz und die Rhonda mussten das besser wissen als jeder andere. Wahrscheinlich musste wegen dem toten Gruber ihr Klassentreffen umorganisiert werden, und deshalb hielten sie jetzt eine Krisensitzung ab. Xaver überlegte, ob er überhaupt reingehen sollte, denn bei ihren Partyplanungen wollte er sich nicht einmischen. Da er aber schon mal da war, tat er es. Wenn es ihm zu blöd wurde, konnte er ja zwanglos die Fliege machen.

„Ah, Xavi, komm rein“, sagte der Ignaz, als er Xaver im Hausflur bemerkte.

Die Rhonda, der Ignaz und eine ziemlich fahlhäutige Brünette, die Xaver nicht kannte, saßen um den Wohnzimmertisch. Das also war die alte Schulbekanntschaft. Allzu alt sah sie gar nicht aus und auch nicht unattraktiv. Sie rauchte eine Zigarette, und Xaver wunderte sich, dass man ihr das hier drin gestattete. Seines Wissens hatte in diesen Wänden noch nie jemand geraucht. Als einer ihrer Onkel bei der Hauseinweihung einen Versuch unternahm, sich seine gestopfte Pfeife anzuzünden, hatte die Mama ihn lauthals in den Hof hinaus gestampert. Xaver verkniff sich bei dem Gedanken an diese denkwürdige Szene ein Grinsen und widmete seine Aufmerksamkeit der versammelten Gesellschaft.

„Ingrid, das ist mein Schwager, der Xaver“, machte die Rhonda Xaver mit der Raucherin bekannt.

„Aha, freut mich“, bemerkte die fahrig und fuhr von ihrem Sessel hoch. „Na gut, Leute, wir haben dann ja alles beredet, schätze ich. Ruft mich an, ja? Ganz egal wann, ich bin immer zu erreichen.“

Die Rhonda erhob sich ebenfalls, um den Gast zur Haustür zu geleiten. Der Ignaz blieb sitzen. Als die beiden Frauen draußen waren, nahm Xaver den Sessel der Raucherin ein. „Wer ist die?“

„Eine alte Schulfreundin“, antwortete der Ignaz. „Seit ihrer Scheidung wohnt sie wieder in Hirnstetten.“

Xaver nickte, die Sachlage begreifend. „Ist doch schön, wenn sich alte Freunde wiederbegegnen“, kommentierte er.

„Du weißt von dem Unfall gestern?“, fragte der Ignaz.

Xaver bestätigte. „Das war ebenfalls ein Schulspezl von dir, oder?“

Der Ignaz nickte. „Schade um den Maxi. War ein guter Kerl. Das hat er nicht verdient.“

„Tja, wer schon“, meinte Xaver. „Wie schaut’s aus, trinken wir eine Halbe draußen unter der Laube?“

Zu Xavers Verwunderung schüttelte der Ignaz den Kopf. „Ich will dir etwas zeigen“, sagte er und stand auf. „Die Rhonda möchte dich raushalten, aber ich will, dass du es erfährst. Komm mit in die Küche.“

Am Küchentisch breitete der Ignaz kurz darauf eine Sammlung von Postkarten aus. Acht Stück waren es, zählte Xaver. Sie alle zeigten irgendwelche Sehenswürdigkeiten oder Strandpanoramen meist weit entfernter Länder und Plätze.

„Ja und?“, fragte Xaver. „Was ist damit?“

„Dreh sie um und lies sie“, regte der Ignaz an.

Postkarten einer Toten

Подняться наверх