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B. Grundprinzipien des Leistungsrechts

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Die gesetzlich Krankenversicherten haben nach § 11 SGB V Anspruch auf eine umfassende medizinische Versorgung. Der Grundstruktur des § 2 Abs. 1 und 2 SGB V nach sind die Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen und nur ausnahmsweise auf Kostenerstattung oder Geldleistungen gerichtet. (Zu den Strukturen der Leistungsarten siehe unten Rn. 71 ff.).

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Anspruch auf Krankenversorgung und Rehabilitation zu haben, bedeutet indessen nicht, dass die Versicherten unbegrenzt Zugang zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung hätten. Das gesetzliche Krankenversicherungsrecht hat verfassungsrechtlich lediglich einen staatlichen Gesundheitsauftrag zu beachten. Der Gesetzgeber hat dabei einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum.[1] Die Grenzen des verfassungsrechtlich Gebotenen sind Gegenstand ständiger verfassungsgerichtlicher Konkretisierungen.[2]

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Eine Rationierung von Leistungen ist im System grundsätzlich nicht vorgesehen, auch wenn nicht jede wirksame Leistung allein aus diesem Grunde in Anspruch genommen werden kann. Das Leistungsrecht lässt also durchaus und aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit und -stabilität (§ 71 SGB V) und aus Gründen der Wirtschaftlichkeit Leistungsbegrenzungen und Leistungsausgrenzungen zu.[3]

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Der 3. Senat des BSG unterscheidet beim Anspruch auf Hilfsmittelversorgung zwischen einem unmittelbaren Behinderungsausgleich (z.B. Prothesenversorgung) und einem mittelbaren Behinderungsausgleich.

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Solche Leistungsbegrenzungen oder Abgrenzungen werden nach der Rechtsprechung teilweise an äußeren, sachlichen Kriterien entlang entwickelt. Eine Treppensteighilfe bspw. wird als mittelbarer Behinderungsausgleich von der sozialen Krankenversicherung nicht erfasst.[4]

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Eine Vielzahl von medizinischen Leistungen ist nicht oder nicht mehr Gegenstand der sozialen Krankenversicherung, solange sie noch nicht oder nicht mehr im Leistungskatalog enthalten sind. Die Bestimmung des Katalogs von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung stellt teilweise auch eine offene Rationierung von Diagnose- oder Behandlungsverfahren bzw. der Verordnungsfähigkeit von Arznei- oder Heilmitteln dar, auch wenn diese dem Grunde nach geeignet, wirtschaftlich und preiswert sind.

Beispielsweise: Genereller Ausschluss für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 SGB V,[5]
Praktischer Ausschluss der Verordnungsfähigkeit von Sehhilfen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur Grenze praktischer Blindheit nach § 33 Abs. 2 SGB V. Eine derartig hochgradige Sehstörung begründet keine notstandsähnliche Situation, die eine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigen könnte.[6] Demgegenüber werden aber Hörhilfen bis an die Grenzen des normalen Hörvermögens von der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt.[7] Nach dieser Entscheidung besteht Anspruch auf bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder. Bei systematischer Erfassung des Erforderlichen lassen sich an der Beeinträchtigung orientierte Gründe für zwischen dem Gesetzgeber, dem Verordnungsgeber und der Selbstverwaltung bestehende Differenzierungen bei der Anspruchsgewährung von Hilfsmitteln nicht mehr erkennen.

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Im 4. Kapitel des SGB V werden die Voraussetzungen der Leistungserbringung durch Zulassung zur Erbringung und als erbringbare Leistungen, die Sicherstellungen der Versorgung und die Vergütung der Leistungen umfassend geregelt. Hier werden auch über die Breite der Normhierarchie untergesetzlicher Normen Leistungen konkretisiert und laufend den tatsächlichen (oder politisch) möglichen zur Verfügung stehenden Finanzmitteln angepasst.[8]

Beschränkungen bei Leistungen zur künstlichen Befruchtung nach § 27a Abs. 3 S. 3 SGB V auf 50 % der Kosten und Einführung einer Altersgrenze für Ehepaare als Anspruchsteller.[9]
Gestufte Einschränkungen liegen vor für Zahnersatz nach § 55 SGB V.[10]

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Die Konkretisierung des Normgefüges und der Ansprüche im Leistungserbringungsprozess werden später unter den Rn. 96 ff. behandelt.

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Sowohl das Leistungsrecht als auch das Leistungserbringungsrecht werden von Grundprinzipien geordnet, ohne die das Teilhaberecht des Versicherten nicht steuerbar und konkretisierbar wäre. Da die gesetzlich Krankenversicherten grundsätzlich Zugang auf Maßnahmen zur Lösung ihrer gesundheitlichen Probleme haben, setzt die gesetzliche Steuerung bei der Organisation eines zur Problemlösung „geeigneten Systems“ an. Allen Normen voran gestellt sind dabei Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie haben teils Einweisungscharakter, teils stellen sie verbindliche Strukturvorgaben dar.[11] Die Grundprinzipien verknüpfen die widerläufigen Ziele der gesetzlichen Krankenversicherung auf Effektivität und Effizienz, d.h. auf Gewährung und Begrenzung. Sie sind immer in einer Gesamtbetrachtung zu würdigen. Vorangestellt werden muss dabei das herausgehobene Gebot der Wirtschaftlichkeit in § 12 SGB V:

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

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Trotz des durchgängig zu beachtenden Wirtschaftlichkeitsgebotes wäre es falsch, das Leistungsrecht durch dieses Gebot dominiert zu sehen.[12] Das Wirtschaftlichkeitsgebot grenzt vielmehr lediglich bestehende Leistungsansprüche der Versicherten ein.

7. Kapitel Das Leistungsrecht der gesetzlichen KrankenversicherungB. Grundprinzipien des Leistungsrechts › I. Prinzip der umfassenden Versorgung

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