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aa) Anwendungsvorrang des EU-Rechts als Grenze

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Das Grundgesetz ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts europarechtsfreundlich auszulegen.763 Deshalb findet grundsätzlich keine verfassungsgerichtliche Kontrolle von Unionsrechtsakten statt. Eine Ausnahme kommt nur zum Schutz grundlegender Verfassungsprinzipien in Betracht.764 Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich ansonsten darauf, innerhalb des vom Unionsrecht gesetzten Rahmens zu überprüfen, ob der deutsche Gesetzgeber die ihm verbleibenden Spielräume in verfassungskonformer Weise nutzt.765 Die Grenzen dieser Spielräume werden aus unionsrechtlicher Perspektive durch den Anwendungsvorrang des EU-Rechts bestimmt.766

Das EU-Recht schützt den Binnenmarkt. Dieser Schutz erfolgt zwar im Allgemeininteresse, kommt aber auch den einzelnen Marktteilnehmern zugute. Der Schutz des Binnenmarkts umfasst dabei mehrere Teil- und Zwischenziele, zu deren Schutz die EU teils ausschließlich und teils konkurrierend mit den Mitgliedstaaten tätig wird (z.B. Schutz der Finanzstabilität, Wettbewerbsschutz).767 Die EU hat ihre Regelungskompetenzen in den letzten Jahren in weitem Umfang wahrgenommen.768 Der nationale Gesetzgeber darf in Anbetracht dessen zwar weiterhin legislative Maßnahmen vornehmen.769 Dabei muss er allerdings – über das bestehende EU-Finanzaufsichtsrecht (Sekundärrecht) hinaus – auch die Vorgaben der EU-Verträge (Primärrecht) beachten.770 Der nationale Gesetzgeber bleibt danach zwar berechtigt, Ziele innerhalb der ihm verbleibenden Kompetenzen zu verfolgen (z.B. den Schutz des Anlegervertrauens).771 Er darf aber nicht mit Maßnahmen in die marktwirtschaftlich-wettbewerbliche Unionsordnung eingreifen, die lediglich auf den Schutz bestimmter Wirtschaftsinteressen ausgerichtet sind und diese gegenüber anderen, ungeschützt bleibenden Interessen einseitig bevorzugen.772 Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit und die Interessen von Sparern und Anlegern können solche Wirtschaftsinteressen darstellen. In Fällen, in denen nationale legislative Maßnahmen mehreren Zielen zugleich dienen können, ist somit darauf zu achten, dass die Verfolgung von Zielen im Kompetenzbereich des nationalen Gesetzgebers und die einhergehenden Marktwirkungen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

Die Differenzierung nach den verfolgten Zielen ist gerade im Bereich der finanzaufsichtsrechtlichen Gefahrenvorsorge wichtig. Denn je weiter die dazu getroffenen Maßnahmen vorverlagert werden, um so offener ist von vornherein die Entwicklung, die letztlich zu einer Gefahrenlage führen kann. Maßnahmen zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen bestimmter Grundrechtsträger können sich dann umso belastender für andere Marktteilnehmer auswirken, welche die mit den Maßnahmen einhergehenden Kosten oder andere Nachteile zu tragen haben. Ein plastisches Beispiel für dieses Problem sind umfangreiche Informations- und Beratungspflichten, die Sparern und Anlegern einerseits eine informiertere Entscheidung ermöglichen, andererseits trotz eines gegebenenfalls nur geringen Beitrags zur Gefahrenvorsorge mit einem ganz erheblichen Aufwand für die mit diesen Pflichten belasteten Banken einhergehen.773 Das EU-Recht dürfte vor diesem Hintergrund Maßnahmen des nationalen Gesetzgebers zur Gefahrenvorsorge zwar nicht in jedem Fall entgegenstehen. Ansprüche von Grundrechtsträgern, die auf den einseitigen Schutz individueller wirtschaftlicher Interessen gerichtet sind, dürften aber durch die Vorgaben der EU-Verträge zum Binnenmarkt überlagert werden.

Das Schrifttum, das etwaige verfassungsrechtliche Schutzgewährpflichten in Betracht zieht, lässt üblicherweise offen, ob solche Pflichten allgemein oder nur in den Fällen bestehen sollen, in denen das EU-Recht Schutzlücken aufweist, die vom nationalen Gesetzgeber ausgefüllt werden können.774 Das Schrifttum äußert sich üblicherweise auch nicht zu dem Problem, welche Grenzen das EU-Recht zieht, soweit Maßnahmen zur Ausfüllung von Schutzlücken mit unausgewogenen Belastungen für die nicht geschützten Marktteilnehmer einhergehen.775 Damit werden grundrechtliche Schutzgewähransprüche im Zweifel auch in Fällen bejaht oder Schutzpflichten aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet, in denen das EU-Recht dafür nach hiesiger Lesart keinen Raum lässt.

Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente

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