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1. Risikoverschiebung

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Es wird häufig gesagt, dass Derivate die wirtschaftliche Funktion haben, wirkliche oder nur hypothetische Risiken zu verschieben (z.B. das Risiko von Rohstoffpreissteigerungen). Das trifft zumindest bei Absicherungsgeschäften auch zu. Denn die am Derivatkontrakt beteiligten Vertragspartner (sog. Gegenparteien) treffen hier eine Vereinbarung, durch die ein Risiko für den einen von ihnen neutralisiert und auf den anderen übertragen wird. Ansonsten verweist das Element der Risikoverschiebung auf den Umstand, dass ein Derivat in jedem Fall eine risikobezogene Vereinbarung zum Gegenstand hat. Vertragsgegenstand ist nämlich eine Leistungspflicht, die für einen der Vertragspartner abhängig von einem auf einen Referenzwert bezogenen Ereignis ausgelöst wird. Dies führt dazu, dass jedem der beiden Vertragspartner ein neues, durch die Transaktion künstlich geschaffenen Risiko in Abhängigkeit von einem äußeren Ereignis zugewiesen wird.189 Diese vertraglich vereinbarten Risiken sind exakt gegenläufig (Nullsummengeschäft).190 Der Referenzwert wird zum Teil als Basiswert bezeichnet, ebenso wie bei den zuvor behandelten Eigen- und Fremdkapitalgeschäften. Anders als dort handelt es sich hier jedoch um einen reinen Bezugswert und nicht notwendig um eine reale Transaktion. Im Folgenden wird bei Derivaten daher zur Abgrenzung nur von Referenzwerten gesprochen.

Eine Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Derivaten ist möglich in Abhängigkeit von der Art der Risikoverschiebung. Als herkömmliche Grundformen lassen sich das Festgeschäft (unbedingtes Termingeschäft) und das Optionsgeschäft (bedingtes Termingeschäft) unterscheiden. Als dritte Grundform bezeichnet man im Schrifttum häufig den Swap191 (unbedingtes Termingeschäft).

Festgeschäfte sind Rechtsgeschäfte (Austauschgeschäfte), bei denen eine Leistung zukünftig in Abhängigkeit von der Entwicklung eines Referenzwerts erfolgt. Typischerweise handelt es sich um einen Kauf (vgl. §§ 433ff. BGB), bei dem die Parteien eine spätere Lieferung zu einem bereits festgelegten Preis vereinbaren. Anders als beim sofort zu erfüllenden Kaufgeschäft bestimmt sich der Preis also nicht über einen bei Lieferung geltenden Kurs- oder Marktwert (Kassakurs), sondern über einen vorab festgelegten Wert (Terminkurs). Ein Beispiel:

Eine Bank in der EU kauft USD von einer U.S.-Bank, mit Lieferung in einer Woche zum dafür vorab fixierten EUR/USD-Wechselkurs (Terminkurs, forward rate)192. Bei steigendem Preis in EUR erlangt somit die Bank in der EU (Käufer, long) einen finanziellen Vorteil aus dem Geschäft, bei fallenden Preisen die U.S.-Bank (Verkäufer, short).

Ein Festgeschäft ist nicht zwingend von einem Terminkurs abhängig. Möglich sind ebenso Differenzkontrakte (Contracts For Difference – CFD), bei denen die Parteien lediglich vereinbaren, den Unterschied zwischen den Preis eines Referenzwerts bei Positionseröffnung und bei Schließen der Position auszugleichen. In diesem Fall besteht keine Verpflichtung, die Position (durch ein entgegengesetztes Geschäft) glattzustellen bzw. zu schließen; der Kontrakt kann also theoretisch unendlich lange laufen.193 Differenzkontrakte sind ein relativ neues Phänomen. Die herkömmlichen Festgeschäfte sind stets in Abhängigkeit von einem Terminkurs ausgestaltet (deshalb: Termingeschäfte).

Wenn ein solches Termingeschäft bilateral (Over-The-Counter – OTC) abgewickelt wird, spricht man von einem Forwardkontrakt, bei einer Abwicklung über eine Börse von einem Futurekontrakt. Bei Futures194 handelt es sich um stärker standardisierte Produkte, bei denen die Erfüllung der Einzeltransaktion jederzeit durch Sicherheiten in bar oder in Form von Wertpapieren sichergestellt ist (margin requirement).195 Dabei werden die täglichen Preisschwankungen während der Laufzeit mit den bei Abschluss geleisteten Einschüssen (initial margin) oder späteren, ergänzenden Einschüssen (variation margin) verrechnet.196 Anders als bei Forwards197 erfolgt bei Futures also ein Ausgleich nicht erst bei Fälligkeit in einer einzigen Zahlung. Im Grunde handelt es sich also um ein Bündel (Portfolio) revolvierender Forwards.198 Der Vorteil von Futures ist ihre Handelbarkeit über Börsen und ähnliche zentrale Infrastrukturen. Bei Forwards besteht mangels zentraler Gegenpartei ein höheres Erfüllungsrisiko.199 Optionsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte, bei denen eine Leistung zukünftig in Abhängigkeit von der Entwicklung eines Referenzwerts erfolgen kann, wobei über die Leistung der Leistende (put) oder der Empfänger (call) entscheidet. Als Varianten unterscheidet man die europäische Option, die am Verfalltag auszuüben ist, und die amerikanische Option, die bis einschließlich zum Verfalltag auszuüben ist.200 Zwei Beispiele für Optionen der europäischen Variante:

Call: Ein Käufer vereinbart mit dem Verkäufer, dass er bei Ausübung der Option in einer Woche eine bestimmte Anzahl Wertpapiere zum dann geltenden Kurs geliefert bekommen kann.

Put: Ein Verkäufer vereinbart mit dem Käufer, dass er bei Ausübung der Option in einer Woche eine bestimmte Anzahl Wertpapiere zum dann geltenden Kurs liefern kann.

Optionsgeschäfte kommen in den verschiedensten Varianten vor, auch außerhalb der Finanzmärkte. Ein Beispiel sind nicht nur die voranstehend beschriebenen Standardoptionen, die als so genannte Optionsscheine (warrants) isoliert handelbar sein können. Hinzu treten so genannte exotische Optionen, die in Kombinationsprodukte (z.B. Zertifikate) hineinstrukturiert werden und ansonsten in komplexeren Finanztransaktionen zum Einsatz kommen (z.B. Bermuda-Optionen). Exotische Optionen sollen wegen ihrer besonderen Risikostruktur isoliert untersucht werden.201 Swaps sind eine Kombination von zwei aufeinander bezogenen Festgeschäften. Dadurch wird erreicht, dass die Risiken zweier Leistungen, so wie sie in Zahlungsströmen abgebildet werden, ausgetauscht werden. Zu diesem Zweck wird ein Zahlungsstrom in Bezug auf einen Referenzwert bestimmt, so dass es von der Entwicklung des Referenzwerts abhängt, ob die Gegenpartei Zahlung verlangen kann oder leisten muss. Es erfolgt typischerweise keine physische Erfüllung.

Als Grundformen des Swaps lassen sich im Wesentlichen Zins-, Währungs- und kombinierte Swaps unterscheiden.202 Bei Währungsswaps tauschen die Transaktionspartner (Swapparteien) Beträge in zwei Währungen sowie die während der Laufzeit zu leistenden Zins- und Amortisationsbeträge. Die Berechnungsweise für die Zinszahlungen ist identisch (fest oder variabel). Zum Laufzeitende erfolgt ein Rücktausch zum ursprünglichen Wechselkurs.203 Ein Beispiel für einen Währungsswap:

Eine Bank in der EU vereinbart mit einer U.S.-Bank den Tausch eines Nominalbetrags von EUR 100 in Euro bzw. U.S.-Dollar. Vereinbart ist ein fixer Zins von X und ein Rücktauschzeitpunkt Y.

Bei einem Zinsswap tauschen die Transaktionspartner Zinsverpflichtungen, die auf derselben Währung, jedoch auf unterschiedlichen Zinsberechnungsweisen beruhen. Zumeist handelt es sich um den Tausch einer Festzinsverpflichtung gegen eine Zinsverpflichtung mit variablem Zinssatz.204 Möglich ist aber auch die Vereinbarung unterschiedlicher variabler Zinsen. Der Austausch bezieht sich aber jedenfalls nur auf die Zinszahlungsströme. Ein Beispiel für einen Zinsswap:

Eine Bank in der EU vereinbart mit einer U.S.-Bank anlässlich eines Kaufs von USD, dass die Banken die Differenz ausgleichen, wenn der EUR/USD-Zinssatz sich gegenüber dem bestehenden innerhalb eines bestimmten Zeitraums ändern sollte.

Bei einem Zins-Währungsswap werden sowohl Währungen als auch Zinsen getauscht.205 Dasselbe Prinzip wie bei Zins- bzw. Zins-Währungsswaps findet auch bei Swapprodukten wie z.B. Equity-Swaps bzw. Equity-linked-Swaps, Swapanleihen (Asset-Swaps) oder Rohstoffswaps (Commodity-Swaps) Anwendung. Bei solchen Swaps erfolgt die Berechnung der vereinbarten Zahlungsströme für zumindest ein „Bein“ (leg) des Swaps auf Basis eines Nominalwertes, der nicht aus einem Geldbetrag ein einer bestimmten Währung besteht (Wertpapierkurs, Warenpreisindex, Kapitalbetrag usw.).

Dagegen sind so genannte Devisenmarktswaps von den beschriebenen Swaps (insbesondere von Währungsswaps) zu unterscheiden. Hierbei handelt es sich um eine Kombination eines Kassa- (!) und eines Termingeschäfts, wobei diese Geschäfte grundsätzlich zwischen denselben Transaktionspartnern abgeschlossen werden (sonst: Engineered Swap). Bei einem Devisenmarktswap erfolgt also der Tausch zum Kassakurs und der Rücktausch am Ende der Laufzeit zum Terminkurs. Der durch die Differenz zwischen Kassa- und Terminkurs definierte Swapsatz (= forward spread) bestimmt sich also durch die unterschiedlichen Zinssätze, aber es erfolgen keine Zinszahlungen.206 Ein Devisenmarktswap lässt sich nach demselben Muster auch strukturieren, indem zwei Termingeschäfte mit unterschiedlichen Fälligkeitsterminen kombiniert werden.

Zins- und Zins-Währungsderivate haben, wie zuweilen hervorgehoben wird, unter allen Derivaten gesamtwirtschaftlich die weitaus größte Bedeutung.207 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Fest- und Optionsgeschäfte auch außerhalb von Finanzmarkttransaktionen vorkommen und mit anderen Geschäften kombiniert werden können. Das Gesamtvolumen des Geschäfts mit derivativen Finanzinstrumenten ist daher nur schwer abschätzbar.

Abgesehen von den oben beschriebenen Swaps sind noch weitere Kombinationen von Fest- und Optionsgeschäften möglich. Ein Beispiel ist der Forward Swap, bei dem die Transaktionspartner die Bedingungen einer Swapvereinbarung bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses festlegen, der Start des Swapgeschäfts aber in die Zukunft verschoben ist.208 Ein anderes Beispiel ist die Swapoption (swaption), eine Kombination von Swap und Option. Derivate können ferner als synthetisches Element in Wertpapiere eingebettet werden (strukturierte Wertpapiere).209 Bei komplexeren Produkten kann schließlich fraglich sein, ob und inwiefern sie sich überhaupt in die genannten Kategorien einordnen lassen. So ist beispielsweise bei einigen Kreditderivaten wie z.B. Credit Default Swaps (CDS) umstritten, ob es sich um Optionen oder eher um Swaps handelt.210

Die wirtschaftlich und rechtlich als Derivate bezeichneten Finanzinstrumente können verschiedenen Generationen zugeordnet werden.211 Diese Einteilung ist aber nur deskriptiv und zeitgebunden. Ihre Berücksichtigung ist für die Zwecke dieser Arbeit nicht erforderlich.

Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente

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