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3. Abwägungsfehlerlehre des Bundesverwaltungsgerichts

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Das Bundesverwaltungsgericht verlangt für eine Beachtung des Gebots gerechter Abwägung,

dass überhaupt eine Abwägung stattfindet,
dass im Rahmen dieser Abwägung diejenigen Belange berücksichtigt werden, die von der Planung berührt sein können,
dass die Bedeutung der betroffenen Belange nicht verkannt wird und
dass der Ausgleich zwischen den betroffenen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die nicht außer Verhältnis zur objektiven Bedeutung der betroffenen Belange steht.[29]

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Diese Grundsätze richten sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts sowohl an den Abwägungsvorgang wie auch an das Abwägungsergebnis.[30] Mängel der Abwägung können daher zum einen den Vorgang der Ermittlung der abwägungserheblichen Belange betreffen, als auch den Bauleitplan als Ergebnis der unterschiedlichen Gewichtung der Belange untereinander. Dem tragen auch die beiden abwägungsrelevanten Bestimmungen in § 2 Abs. 3 BauGB einerseits und § 1 Abs. 7 BauGB andererseits Rechnung. Auch in § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB wird im Übrigen zwischen Mängeln im Abwägungsergebnis und im Abwägungsvorgang unterschieden.[31]

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Dem folgend wird eine Verletzung des Gebots gerechter Abwägung in folgenden Fällen angenommen:[32]

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Zunächst ist das Gebot gerechter Abwägung in Fällen verletzt, in denen gar keine Abwägungsentscheidung getroffen wird (Abwägungsausfall).

Da die Gemeinde in einem derartigen Fall gar nicht in die erforderliche Ermittlung des Abwägungsmaterials eintritt, liegt insoweit ein rein der formellen Seite des Abwägungsvorgangs zuzurechnender Fehler vor. Dieser ist an der formellen Vorschrift in § 2 Abs. 3 BauGB festzumachen.

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Das Gebot gerechter Abwägung ist aber auch verletzt, wenn eine Abwägung zwar stattfindet, die Gemeinde in diese aber nicht alle abwägungserheblichen Belange einstellt bzw. diese erst gar nicht ermittelt (Abwägungs- bzw. Ermittlungsdefizit).

Die Ermittlung und Einstellung des Abwägungsmaterials ist insoweit unvollständig. Da § 2 Abs. 3 BauGB jedoch von Seiten der Gemeinde die vollständige Ermittlung des abwägungserheblichen Materials verlangt, ist dieser Fehler ebenfalls wie der vollständige Ausfall von § 2 Abs. 3 BauGB erfasst und folglich der formellen Seite der Bauleitplanung zuzurechnen.

Beispiel

Die Gemeinde übersieht es beim Erlass eines Bebauungsplanes in einer exponierten Lage am Waldrand die fachlich berührten Naturschutz- bzw. Forstbehörden zu beteiligen. Dieser Verstoß gegen § 4 Abs. 1 und 2 BauGB, § 2 Abs. 3 BauGB löst, sofern diese Belange für die Abwägung relevant wären, ein Ermittlungsdefizit aus. Es liegt insoweit zumindest ein Verstoß gegen die formelle Anforderung des § 2 Abs. 3 BauGB vor.

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An einer sachgerechten Abwägung fehlt es weiter, wenn das Abwägungsmaterial zwar vollständig ermittelt wird, einzelne Belange aber nicht entsprechend ihrer objektiven Gewichtung in die Entscheidung eingestellt werden (Abwägungsfehleinschätzung).

Streitig ist die rechtliche Einordnung dieser Abwägungsfehleinschätzung. Da jedoch § 2 Abs. 3 BauGB auch von der Bewertung des Abwägungsmaterials spricht und diesen Vorgang der fehlerhaften Ermittlung der Belange gleichstellt, ist es sachgerecht, diesen Fehler ebenfalls zunächst der formellen Seite der Abwägung zuzurechnen.[33]

Hinweis

Mit dieser Einstufung der Abwägungsfehleinschätzung als formellem Fehler nach § 2 Abs. 3 BauGB ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich der auf der formellen Seite beim Vorgang der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials einsetzende Fehler als eigenständiger Fehler beim Ausgleich der Belange nach § 1 Abs. 7 BauGB auf der materiellen Seite fortsetzen kann.

Beispiel

Zwar beteiligt die Gemeinde dieses Mal die Naturschutz- und Forstbehörden im Verfahren und nimmt auch deren ablehnende Stellungnahme grundsätzlich zur Kenntnis. Jedoch misst die Gemeinde den vorgetragenen Sachargumenten keinerlei Bedeutung bei, da die Gemeinde von vornherein gewillt ist, an ihrer Planungsabsicht festzuhalten. Der Belang Naturschutz wird damit sachwidrig von vornherein hintangestellt und für die Abwägungsentscheidung als nachrangig eingestuft. Die Verkürzung der Abwägung liegt hier bereits auf einer Vorstufe der eigentlichen Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB, da der Belang Naturschutz nicht entsprechend seiner Bedeutung in der späteren Abwägungsentscheidung Berücksichtigung findet.

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Schließlich ist die Abwägungsentscheidung der Gemeinde fehlerhaft, wenn der Ausgleich der Belange in einer Weise vorgenommen wird, die außer Verhältnis zu dem objektiven Gewicht der einzelnen Belange steht (Abwägungsdisproportionalität).

Dieser Fehler rechnet nun, da er den Ausgleich der Belange untereinander betrifft und damit letztlich den Inhalt der Abwägungsentscheidung selbst, zur materiellen Seite der Bauleitplanung. Es liegt ein Fehler im Ergebnis der Bauleitplanung vor.[34] In den Fällen der Abwägungsdisproportionalität liegt ein Verstoß gegen das Gebot gerechter Abwägung in § 1 Abs. 7 BauGB vor.

Beispiel

Trotz bekannter Immissionsschutzrechtsproblematik setzt die Gemeinde einen Möbelmarkt mit großflächigen Parkplätzen in unmittelbarer Nähe zu einem Wohngebiet fest, ohne nähere Vorkehrungen zur Beseitigung der Lärmschutzproblematik infolge der Verkehrsbewegungen zu treffen. Die am Verfahren beteiligte Immissionsschutzbehörde hatte insoweit jedoch das Anlegen eines Lärmschutzwalles angeregt. Hier ist über einen eventuellen formellen Fehler im Bauleitplanverfahren hinaus jedenfalls die letztlich getroffene Abwägungsentscheidung fehlerhaft, da die widerstreitenden Belange Gewerbeansiedlung und kollidierende Wohnnutzung nicht in sachgerechten Ausgleich gebracht wurden. Der Verstoß ist damit im Bereich von § 1 Abs. 7 BauGB (Abwägungsdisproportionalität) anzusiedeln.

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Sofern keiner der eben dargestellten Abwägungsmängel vorliegt, ist festzustellen, dass die Gemeinde das Gebot gerechter Abwägung in §§ 2 Abs. 3 und 1 Abs. 7 BauGB beachtet hat.[35] Wenn insoweit einzelne Belange richtig ermittelt und bewertet, im Weiteren aber im Ausgleich anderen öffentlichen oder privaten Belangen der Vorrang eingeräumt wurde, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Ein solches Ergebnis ist Folge der planerischen Abwägungsentscheidung der Gemeinde als Ausdruck ihrer Planungshoheit und entspricht dem Wesen der gesetzlich vorgesehenen Abwägung.

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