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4. Weitere Planungsgrundsätze im Rahmen der Abwägung

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Die Bauleitplanung muss, um dem Gebot der gerechten Abwägung in § 1 Abs. 7 BauGB zu entsprechen, dem Gebot der Konfliktbewältigung genügen.[36] Grundsätzlich muss die Gemeinde die erkannten großräumigen Konflikte, die mit ihrer Planung verbunden sind, lösen. Der Gemeinde ist es untersagt, diese dem Einzelgenehmigungsverfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung zu überlassen. Lediglich in Bezug auf kleinräumige Konflikte, die nur die Nutzung von einzelnen Grundstücken betreffen, darf die Gemeinde eine planerische Zurückhaltung dahingehend ausüben, dass das Einzelbaugenehmigungsverfahren mit § 15 BauNVO ein Instrument zur Lösung derartiger nur partieller Konflikte bereit stellt.[37] Genügt die Bauleitplanung dem Gebot der (großräumigen) Konfliktbewältigung nicht, so liegt im Regelfall eine Abwägungsdisproportionalität vor. Folglich ist diese Konstellation der materiell-rechtlichen Norm des § 1 Abs. 7 BauGB zuzurechnen.

Beispiel

Sofern die Gemeinde ein neues Gewerbegebiet ausweist, muss sie zwingend die Frage der verkehrsmäßigen Anbindung im Bebauungsplan selbst klären, da diese Frage die gesamte Gebietsausweisung tangiert und das Gewerbegebiet mit seiner wegemäßigen Erschließung steht und fällt. Wenn die Gemeinde ein Gewerbegebiet in unmittelbarer Nähe zu einem Wohngebiet vorsieht, muss sie den dadurch ausgelösten immissionsschutzrechtlichen Konflikt durch Schutzmaßnahmen etc. lösen.

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Weiter gilt es im Rahmen der Abwägung den Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG zu beachten.[38] Eine ordnungsgemäße Abwägung muss bei der Darstellung und Festsetzung von Bauflächen und Baugebieten auf die hierdurch entstehenden Emissionen und Immissionen achten, die von der geplanten Bebauung ausgehen bzw. denen diese ausgesetzt wird. Eine geordnete städtebauliche Entwicklung ist nur gewährleistet, wenn miteinander unverträgliche Nutzungen eine ausreichende räumliche Trennung erfahren. Ist dies nicht der Fall, leidet der Bauleitplan jedenfalls an einer Abwägungsdisproportionalität, da das Ergebnis der Bauleitplanung fehlerhaft ist (nicht nur der zugrunde liegende Vorgang). Dieser Fehler ist damit auf der materiellen Seite der Bauleitplanung, § 1 Abs. 7 BauGB, rechtlich zu verankern.

Beispiel

Die Ausweisung eines Industriegebiets unmittelbar neben einem Wohngebiet wie auch die Festsetzung von Intensivlandwirtschaft (Tierhaltung) in unmittelbarer Nähe zu einer schutzwürdigen Wohnbebauung verstößt gegen den Gedanken räumlicher Trennung in § 50 BImSchG

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Schließlich muss die Gemeinde, um dem Gebot gerechter Abwägung zu genügen, eine grundsätzliche Abwägungsbereitschaft vorweisen können.[39] Die Abwägung der Gemeinde muss daher „offen“ sein, d.h. die Gemeinde darf sich aufdrängenden Planungsalternativen nicht verschließen und muss solche in ihre Überlegungen einstellen. Andernfalls ist die Abwägung der Gemeinde defizitär, da die Gemeinde das erforderliche Abwägungsmaterial jedenfalls nicht vollständig ermittelt hat. Dieser Fehler betrifft damit vorrangig den Vorgang der Beschaffung des Abwägungsmaterials und fällt damit unter § 2 Abs. 3 BauGB. Die anschließende Ablehnung einer Alternative überschreitet allerdings nur dann den Abwägungsspielraum nach § 1 Abs. 7 BauGB, wenn es sich um eine eindeutig objektiv bessere Lösung handelt.

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Sofern die Gemeinde – wie häufig – bereits mit einem in Besprechungen, Verträgen, Zusagen erarbeiteten Plankonzept in das Verfahren zur Aufstellung eines Bauleitplanes eintritt, stellt sich die Frage der Vereinbarkeit derartiger Vorwegbindungen mit den Bestimmungen in §§ 2 Abs. 3 und 1 Abs. 7 BauGB. Insoweit nimmt das Bundesverwaltungsgericht keine unzulässige Verkürzung einer Abwägungsentscheidung an, wenn die Entscheidung der Vorwegnahme sachlich gerechtfertigt war (z.B. Gemeinde hat Investor an der Hand, der sich bereit erklärt, ein großflächiges Baugebiet nach einem bestimmten Konzept zu bebauen, das den gemeindlichen Vorstellungen entspricht), die Entscheidungszuständigkeit innerhalb der Gemeinde gewahrt ist (z.B. Einbindung des zuständigen Organs Gemeinderat in Besprechungen, Vertragsgestaltungen etc.) und der Bebauungsplan inhaltlich nicht zu beanstanden ist, d.h. er auch ohne Vorabsprachen ordnungsgemäßes Ergebnis einer freien Bauleitplanung sein könnte, d.h. insbesondere dem Gebot der inhaltlichen Konfliktbewältigung genügt.[40]

JURIQ-Klausurtipp

Dieses rechtliche Problem der Zulässigkeit gemeindlicher Vorwegbindungen sollten Sie zum einen bei § 1 Abs. 3 BauGB unter dem Gesichtspunkt einer reinen Gefälligkeitsplanung als auch bei § 2 Abs. 3 BauGB unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Abwägungsdefizits ansprechen.

Materielle Anforderungen an die Bauleitplanung

I. Erforderlichkeit, § 1 Abs. 3 BauGB

1.Weites städtebauliches Ermessen

2.Keine reine Negativplanung

3.Keine reine Gefälligkeitsplanung

4.Keine unüberwindbaren rechtlichen Hindernisse

II. Beachtung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung, § 1 Abs. 4 BauGB

III. Interkommunale Abstimmung, § 2 Abs. 2 BauGB

Formelle Absicherung der Beteiligung der Nachbargemeinde über § 4 BauGB

IV. Materielle Planungsleitlinien, § 1 Abs. 6 BauGB

In der Klausur im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB zu berücksichtigen

V. Entwicklungsgebot, § 8 Abs. 2 BauGB

VI. Abwägungsgebot, § 1 Abs. 7 BauGB

1.Abwägungsfehlerlehre des Bundesverwaltungsgerichts

2.Trennung der Abwägungsfehler in formelle nach § 2 Abs. 3 BauGB und solche nach § 1 Abs. 7 BauGB

3.Beachtung sonstiger Grundsätze wie Trennungsgebot, Gebot der Konfliktbewältigung


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