Читать книгу Lerntherapie – Geschichte, Theorie und Praxis (E-Book) - Ueli Kraft - Страница 37
3.3 Lernen, behindernde Bedingungen und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung
ОглавлениеLernen bedeutet, das eigene Verhalten zu aktualisieren und zu verändern, damit das Ziel, das zukünftige Leben selbstständig zu gestalten und zu bewältigen, erreicht wird.
Lernen erfolgt mittels bewusster und unbewusster Verarbeitung von Umwelteinflüssen und -reizen und führt somit zur Veränderung individuellen Denkens, Fühlens und Handelns. Im allgemeinen Sinne handelt es sich dabei um Vorgänge im Organismus, die zu Veränderungen des Verhaltens führen. Dabei bestimmen emotionale Prozesse Lernvorgänge wesentlich (vgl. Bundschuh, 2003, S. 111–130).
Ängste hemmen und behindern schon sehr frühzeitig Lernprozesse im Zusammenhang mit rigiden, vielleicht Angst auslösenden Erziehungspraktiken und Überforderungssituationen. Es spricht vieles dafür, dass manche Lernstörungen und Lernbehinderungen bereits frühzeitig auf dem Weg negativer emotionaler Prozesse erworben wurden, die sich neurophysiologisch betrachtet als «Synapsenhemmer» und damit als Lernhemmung im gegenwärtigen und zukünftigen Leben auswirken. Hier kann Lerntherapie Positives bewirken und neue Entwicklungen initiieren.
Emotionalität, Motivation und Lernen bilden eine Einheit. Die neurophysiologische und neuropsychologische Forschung weist auf den Zusammenhang zwischen emotionaler Befindlichkeit, Hormonen und Wahrnehmungs-, Gedächtnis-, Denk- sowie Lernprozessen im Allgemeinen hin. Eine positive emotionale Befindlichkeit stellt somit die Basis für Lernen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen dar. Das Nervensystem als Netzwerk, die Gedächtnisprozesse, die Vorgänge im Bereich der Synapsen (Transmitter), der Nervenzellen, Prozesse der Wahrnehmung und der kognitiven Verarbeitung schlechthin markieren, dass die emotionale Befindlichkeit, das Emotionale schlechthin, den Weg zum Bewusstsein zu öffnen oder zu blockieren vermag. Emotionalität kann Zuwendung fördern oder hemmen, geistige Tätigkeit intensivieren oder abschwächen.
Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung auch durch Lernen und damit nach Entfaltung beziehungsweise Aktualisierung der Persönlichkeit kann nur entstehen, wenn die genannten Bedürfnisse nach Sicherheit, Angstfreiheit, Ordnung, Liebe, Wertschätzung, Achtung und Anerkennung in der (frühen) Kindheit adäquat befriedigt wurden. Hier setzt Lerntherapie an. Erkenntnisse sowohl naturwissenschaftlich als auch geisteswissenschaftlich orientierter Disziplinen sprechen dafür, dass die emotionalen Bedingungen im Kind und die sozialen Prozesse (Lernklima) sowie der Lerngegenstand für Lernvorgänge wichtig sind.
Lernvorgänge beeinflussen entscheidend die Entwicklung eines Kindes. Lerntherapeutische Kenntnisse erweisen sich im Hinblick auf die Problem- und Notsituation der betroffenen Kinder, Jugendlichen und auch Erwachsenen für Lehrerinnen und Lehrer, Psychologinnen und Psychologen, Allgemein- und Heilpädagoginnen und -pädagogen, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher als dringend notwendig, denn es geht auch um die Neuwahrnehmung einer Problemsituation. Lerntherapie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Neureflexion von Schule und Lernen in Richtung gesunde Schule und steht damit im Dienste einer positiven Persönlichkeitsentfaltung.