Читать книгу Umwege zu R. - Ulf Häusler - Страница 16

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5. Kapitel

Die Präsentation des Projekts wäre beinahe daneben gegangen. Nicht, weil es in der Sache Probleme gab, sondern, weil Herbie so aufgeregt war, dass er selbst beim Ablesen der Folien extrem unsicher wirkte. Prof. Dr. Mertens wusste um das Problem von Heribert Klause, seine Arbeitsergebnisse ohne Stottern, Rotwerden, Sich-verhaspeln darzustellen. Und dass er heillos aufgeregt war, wenn er etwas erklären musste. Aber er wusste auch, dass der Mann fachlich Hervorragendes leistete. Und dass man ihn eben regelrecht ausquetschen musste, um die Ergebnisse seiner Arbeit zu erfahren.

Fietje wusste das alles nicht und da er ja extrem extrovertiert war, sprang er, frech, jung und immer etwas vorlaut, seinem Chef Herbie dergestalt bei, dass er nach und nach ‚das Kommando‘ übernahm – nach etwa 15 Minuten Gestotter von Herbie, mischte sich Fietje Petersen mehr und mehr ein und zum Schluss legte er die Präsentation perfekt hin.

Mertens war zwar etwas verwundert über den vorlauten jungen Herrn Petersen, fühlte ihm aber dafür umso mehr auf den Zahn, indem er ihm erst einfachere und dann immer kompliziertere Fragen zu dem sehr komplexen Projekt stellte. Herbie schwitzte Blut und Wasser, wollte wieder stotternd eingreifen, aber Fietje ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen und erklärte all das, was Herbie natürlich auch und vor allem noch viel besser wusste, aber im Grunde war er heilsfroh, dass er nichts mehr sagen musste. Nur an einer Stelle kam Fietje ins Schwimmen und – oh Wunder – da hatte Herbie einen angstfreien Moment und beantwortete die Frage des Chefs. Als die Präsentation zu Ende war, meinte Mertens:

„Das ist großartig, was Ihr da gemacht habt. Setzen Sie sich jetzt bitte mit dem Vertrieb zusammen, Herr Klause und dann macht Ihr das Ganze verkaufsreif. Ich glaube fast, so etwas gibt es bisher von der Konkurrenz noch nicht. Vielen Dank Herr Klause, haben Sie mit Ihren Leuten sehr gut gemacht. Ach so – wieso hat eigentlich Ihr junger Mann fast alles vorgetragen und nicht Sie Herr Klause? Und so mit Power Point – das haben Sie doch immer strikt abgelehnt.“

Herbie wurde schon wieder ganz rot und wollte gerade losstottern, als Fietje ihm erneut zuvorkam:

„Herr Professor Mertens, das hatten wir so abgesprochen. Herr Klause wollte mir eine Chance geben, wofür ich ihm sehr dankbar bin.“

„So so, Ihr zwei Helden. Also nochmal, schönen Dank.“

Mertens grinste, gab den beiden die Hand und war schon aus dem Sitzungsraum verschwunden.

Langsam fuhren sie erst ihr Laptop herunter und bauten dann den Beamer wieder ab und verstauten ihn in seinem Koffer.

„Bist Du sauer auf mich Herbie, weil ich Dir die Schau gestohlen habe?“

„Überhaupt nicht Fietje. Im Gegenteil. Erst hast Du mich vor einer richtigen Blamage bewahrt und dann noch die perfekte Ausrede gefunden – ich bin nicht sauer, sondern ich überlege dauernd krampfhaft, wie ich das wieder gut machen kann.“

„Musst Du nicht, Herbie. Du bist halt mehr der stille Typ.

Und so wie Mertens zum Schluss gegrinst hat – ich glaube, der weiß das ganz genau. Und ich bin halt anders geraten.

Kann schwätzen ohne Ende. Was auch nicht immer so gut ist. Vielleicht kommt das durch meine Eltern.“

„Wie, sind die auch so wie Du? Können die auch immer alles so perfekt darstellen und deutlich machen wie Du?“

„Ganz im Gegenteil. Das sind typische Ostfriesen. Von früh um 7 bis mittags um 12 sprechen die höchstens ein Wort.“

„Hm?“

„Moin. Das ist alles. Und abends kommen dann nochmal drei Worte. ‚Ick geh jetzt‘. Die zwei weiteren sparen sie sich schon – ‚ins Bett‘.“

„Ich glaube, jetzt übertreibst Du ein wenig.“

„Kaum – also viel mehr reden die wohl wirklich nicht am Tage. Und ich scheine nun das andere Extrem zu sein.“

Herbie lachte jetzt:

„Kann schon sein.“

Abends zu Hause erzählte Herbie alles seiner Ami. Auch, dass Fietje ihn gerettet hatte.

„Was lernst Du daraus?“ und die Antwort erst gar nicht abwartend fuhr sie fort:

„Hör auf Deine Frau. Ich hatte Dir doch geraten, den Jungen mitzunehmen, stimmt‘s?“

Herbie war so froh, dass das Ehepaar Klause mal wieder eine sehr, sehr schöne Nacht verbrachte.

Inzwischen wurde das Produkt, an dem Fietje so erfolgreich mitgewirkt hatte, tatsächlich erweitert, genau so, wie man es ihm bei seiner Einstellung avisiert hatte. Und er war unverändert mit Feuereifer dabei, eigentlich freute er sich jeden Morgen erneut auf seine Arbeit in dem Großraumbüro. Auch wenn sie jetzt bedeutend anspruchsvoller wurde, weil man sehr viel mehr Schnittstellen zu berücksichtigen hatte, als bei dem erfolgreich abgeschlossenen Projekt, das ihm und seinem Chef Klause so viel Lob des Vorstandsvorsitzenden eingebracht hatte. Das Anspruchsvolle belastete Fietje aber nur sehr verhalten, denn er meinte, dass die Anwendung des Prinzips von Trial and Error auch hier gelte.

Etwa drei Mal in der Woche zog er abends ‚um die Häuser‘ und in aller Regel fand er dann mindestens einmal ein Mädchen, das bereit war, den restlichen Abend mit ihm in seiner kleinen Wohnung zu verbringen. Knutschen ging eigentlich immer und oft ging auch noch mehr – dass mal eine dabei war, die sogar nicht auch für ‚fummeln‘ zu haben war, war eher selten. Er meinte daher, dass auch sein Liebesleben recht zufriedenstellend sei. Dass das mit Liebe eigentlich gar nichts zu tun hatte, sondern er im Grunde genommen nur sein Hormonhaushalt regulierte, war ihm noch nie bewusst geworden.

Wenn er an den Wochenenden zu Hause aufkreuzte, fragte die Mutter fast regelmäßig, ob er endlich eine feste Freundin habe. Seine Antwort war stets die Gleiche – ja, jede Woche ein bis zwei, aber immer verschiedene. Dazu grinste er frech und herausfordernd. Aber mehr als mit den Worten „Ach Junge“ pflegte sie seinen Lebenswandel nicht zu kommentieren. Der Vater grinste dazu freundlich und hielt zu seinem Sohn: „Rose, nun lass den Jungen doch in Ruhe.“

Als sie mittendrin in dem neuen Projekt steckten, erreichte Herbie ein Anruf der Sekretärin von Mertens.

„Guten Tag Herr Klause. Bei Ihnen arbeitet doch ein Herr Petersen.“

„Ja, Frau Hermann. Warum?“

„Der soll morgen bitte zum Chef kommen. Um ½ 10. Können Sie das sicherstellen?“

„Klar, Frau Hermann. Sie wissen nicht, was er von dem will?“

„Ganz offen, Herr Klause – ich habe keine Ahnung. Der Chef ist in den letzten Wochen eh schon etwas komisch. Fast drei Mal in der Woche muss ich Leute zu ihm hoch holen. Mit denen quatscht er dann eine Weile und danach geht’s weiter wie immer mit der Arbeit. Worum es eigentlich geht, weiß ich wirklich nicht. Und wenn die Leute bei ihm rauskommen und ich sie frage, warum sie drin waren, sind die immer ganz verlegen: Der Chef unterhält sich immer nur über ihre Arbeit mit ihnen. Hat er früher eigentlich nie gemacht. Oh je, jetzt hab ich Ihnen viel zu viel erzählt, lassen Sie‘s bitte ja keinen hören, sonst bin ich als Plaudertasche womöglich meinen Job los.“

„Keine Sorge, Frau Hermann – Sie kennen mich doch.“

„Stimmt, lieber Herr Klause, sonst hätte ich auch nichts erzählt.“

Pünktlich um 9.28 Uhr klopfte Fietje am nächsten Tag bei Prof. Dr. Mertens Vorzimmer an die Tür.

„Guten Morgen, Herr Petersen. Nehmen Sie noch einen Moment Platz. Der Chef klebt noch am Telefon. Mögen Sie einen Espresso oder eine Tasse Café?“

„Danke. Espresso gerne. Aber wenn der Chef schon vorher rauskommt, muss ich den dann stehen lassen.“

„Quatsch. Der Chef ist nicht so. Den nehmen Sie dann mit rein und ich frage ihn, ob er auch einen will.“

„Hoffentlich ist er nicht sauer, weil ich keinen Anzug anhabe. Aber Herbie – äh – Herr Klause hat’s mir erst heute früh gesagt, dass ich hier hochkommen soll.“

„Dem hab ich’s aber gestern schon gesagt.“

„Hat er zugegeben. Aber er meinte, ich hätte dann womöglich ne schlaflose Nacht gehabt.“

Frau Hermann lachte jetzt laut auf und stellte Fietje den Espresso hin.

„Typisch Euer Herbie. Weil der immer Schiss hat, meint er, dass es allen anderen auch so gehen muss. Aber lassen Sie mal junger Mann – ich erklär dem Chef Ihren Dresscode.“

„Hauen wir dann Klause nicht in die Pfanne?“

„I wo – da lacht der Chef nur. Der kennt seine Pappenheimer nämlich bestens. Zucker?“

„Nö – äh – nein danke.“

Sie lächelte jetzt Fietje fast liebevoll an. Dem die Frau ausnehmend gut gefiel. Tolle Figur, kein bisschen arrogant, etwa Anfang bis Mitte 50 und eine tolle Ausstrahlung, wie er fand.

Nach knapp 10 Minuten kam Prof. Dr. Mertens heraus.

„Morgen Herr Peterson. Hat Frau Hermann Sie offenbar schon fast adoptiert? Mir bietet Sie nie einen Café an. Ich muss immer drum bitten.“

„Was soll der junge Mann denn jetzt von mir denken, Herr Professor?“

„Nur das Beste, liebe Frau Hermann, nur das Beste. Er kennt Sie ja noch nicht.“

„Sie sind ja ein richtiges Ekel heute früh.“

Beide lachten sich jetzt an.

„Das können Sie jetzt aber umgehend ändern, indem Sie mir einen Sketo bereiten und diesem Fietje Petersen gleich auch noch einen. Und damit er merkt, wie bitter das Dasein in dieser Etage ist, keinen ‚Metrio‘, sondern ‚Sketo‘, also ohne Zucker. Und…“ wandte er sich jetzt an Fietje: „dieses Maschinen-Gesöff lassen Sie bitte stehen und kommen jetzt mit mir rein.“

„Eure zwei Sketos dauern mindestens 5 Minuten.“

„Liebe Irmi Hermann – das halten wir aus.“

Fietje war irgendwie irritiert. Dass es hier oben so locker zugehen würde, hätte er sich im Traum nicht einfallen lassen.

Er lernte bei der Gelegenheit, dass es sich bei einem ‚Sketo‘ um einen griechischen Café handelte, der aufgekocht wurde und seinen ‚Mud‘ in der Tasse behielt. Dass es sich bei dieser Art des Cafés um eine Marotte des Chefs handelte, erfuhr er erst sehr viel später: Professor Mertens hatte sehr viele Jahre lang immer in Griechenland Urlaub gemacht und dort seine Vorliebe für diese Art des Café-Genusses entdeckt.

Was Fietje auch nicht wusste und auch nicht wissen konnte, war die recht traurige Geschichte der Chefsekretärin. Irmi Hermann war mit einem Anwalt verheiratet gewesen und hatte in dessen Groß-Kanzlei als Chefsekretärin gearbeitet. Er und Prof. Mertens waren Studienfreunde gewesen – Hermann hatte Jura, Mertens Mathematik und Physik studiert. Nachdem beide geheiratet hatten, war aus der Freundschaft der Männer eine Familienfreundschaft geworden, die beiden Frauen, Irmi Hermann und Hertha Mertens wurden gute Freundinnen. Dann war Erwin Hermann tödlich verunglückt – Irmi stand auf einmal mit zwei Kindern von 8 und 10 Jahren alleine da. In der Kanzlei wollte sie nicht mehr arbeiten, die Erinnerungen waren zu schmerzlich. Und so hatte Hertha damals vorgeschlagen, dass ihr Ewald Irmi doch bei sich als Sekretärin anstellen könne. Sie hatte nach zwei Wochen Bedenkzeit das Angebot angenommen. Und da die Ehe der beiden Mertens kinderlos geblieben war und Hertha Mertens auch ganz gut verdiente, hatten die beiden für die zwei Halbwaisen so etwas wie eine Patenschaft übernommen: Der ältere Sohn würde in zwei Jahren sein Abi machen und wollte Jura studieren, die jüngere Tochter hatte noch gut drei Jahre bis zum Abi, war eine überragend gute Schülerin und wollte Medizin oder Tiermedizin studieren. Irmi hatte keine Ahnung, wie sie das finanziell mal ‚stemmen‘ sollte. Dass Ewald und Hertha für Irmis Kinder schon seit langem eine Ausbildungsversicherung abgeschlossen hatten, wusste sie nicht. Als sie es erfuhr, hatte sie sich gewehrt, sprach von Almosen, aber dann hatte Hertha sie so lange bearbeitet, bis sie doch zugestimmt hatte.

„Wozu sind Freunde denn da Irmi? Umgekehrt hättet Ihr das Gleiche auch für uns getan. Und außerdem, geht uns da nichts ab. So ein Vorstandsvorsitzender ist nicht gerade verdächtig, bei der Sozialhilfe um Unterstützung zu bitten und ich verdiene als Designerin auch nicht so schlecht. Zwar manchmal mehr, manchmal weniger, aber es reicht insgesamt nicht nur für uns zwei, sondern auch noch für Deine beiden ‚Krotten‘.“

Prof. Mertens unterhielt sich fast 1 ½ Stunden mit Fietje. Erst einmal ein wenig Small Talk, wie es ihm denn in der Firma gefalle, dann fragte er nach der Familie, was der Papa denn so mache, ob die Mutter auch berufstätig sei, ob er Geschwister habe.

„Nach einer halben Stunde klopfte es an der Tür – Frau Hermann:

„Chef, der Dr. Manger hat jetzt einen Termin bei Ihnen.“

„Oh je – das hab ich ja ganz vergessen. Du Irmi, frag ihn doch, ob er mit mir zu Mittag essen will. Entschuldige mich bei ihm, mir wäre was Wichtiges dazwischen gekommen. Wenn er heute kann, bestell einen Tisch bei meinem Edel-Italiener.“

„Du weißt aber, Chef, dass Dein Budget am Anschlag ist?“

„Ja. Da es aber mein Steuerberater ist, zahl ich das Essen aus eigener Tasche. Alles klar?“

„Dann ist’s ja gut. Alles klar Chef.“

Mertens wollte nun wissen, wie er ausgerechnet auf die ITSolutions AG gekommen sei, was er wo, wie, wann und wie lange studiert habe, ob er sich noch weiter fortbilden wolle – also eigentlich ließ er kein Thema aus. Zwischendurch fragte er dann ganz unvermutet, ob ihm denn der Café Sketo schmecke, dessen Zubereitung er dann ziemlich ausführlich erklärte, um dann auf die aktuelle Projektarbeit zu sprechen zu kommen. Erst ganz zum Schluss kam er noch auf die Präsentation zurück.

„Nun mal ehrlich: Ihr hattet gar nichts verabredet, dass Sie anstelle von Herrn Klause präsentieren sollten – stimmt‘s?“

Es war das einzige Mal, dass Fietje in dem Gespräch einen hochroten Kopf bekam – er wollte einerseits nicht lügen, andererseits aber auch Herbie Klause nicht in die Pfanne hauen. Als Mertens Fietjes Verlegenheit bemerkte, erlöste er ihn:

„Ist schon gut, junger Mann. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Und der Klause ist fachlich nicht mit Gold aufzuwiegen. Und dass Sie ihn decken wollen, ist schon ok. Ich weiß nur zu gut, dass er in aller Regel größte Mühe hat, zwei Sätze von sich zu geben, wenn er seine Arbeit verkaufen soll. Machen Sie’s gut, Fietje Petersen. Hat mir Spaß gemacht, mit Ihnen zu reden. Bis bald mal.“

Fietje verabschiedete sich von seinem obersten Chef, machte sogar einen kleinen Diener, wie er es mal ganz früher gelernt hatte: Mädchen Knicks, Jungs Diener.

Bei Frau Hermann verhielt er sich ebenso. Er war ganz frohgemut, wusste zwar nicht, was das Gespräch eigentlich sollte, aber dann sagte er zu sich selbst: ‚Schaden kann’s ganz sicher nicht, mal mit dem Boss ganz oben zu quatschen‘. Und Herbie erzählte er auch alles. Von dem zuletzt Besprochenen aber nur, dass er ‚nicht mit Gold aufzuwiegen‘ sei. Worüber Herbie richtig strahlte, dann aber ganz versonnen murmelte: „Hoffentlich merken die nie, dass ich nur Durchschnitt bin und auch nur mit Wasser koche.“

Was Fietje so nicht stehen lassen wollte.

„Herbie, wenn Du nur Durchschnitt bist, bin ich, sind wir alle hier im Team Totalausfälle. Also wenn schon so bescheiden – Du bist schon ganz schön über dem Durchschnitt.“

Herbie grinste.

„So, so, meinst Du? Hör mal, wir werden nicht fürs Quatschen bezahlt, sondern fürs Arbeiten. Und weil Du Dich heute so lange beim Chef rumgetrieben hast, ist die Mittagspause gestrichen. Ich spendiere aber dafür Pizza für alle.“

Fietje grinste Herbie nun recht herausfordernd an:

„Wie nur eine Pizza für uns alle?“

„Mach mal so weiter. Dann gibt’s einen Tritt in den Hintern.“

„Dann beschwer ich mich beim Betriebsrat.“

Der Rest des kleinen Disputs ging in allgemeinem Gelächter unter.

Drei Wochen später rief Frau Hermann erneut an:

„Fietje Petersen bitte zum Chef. Sofort.“

Als Fietje neulich das Vorzimmer des Vorstandschefs verlassen hatte, hatte Mertens gleich danach seine Sekretärin gefragt.

„Was hältst Du von dem jungen Mann?“

„Macht einen sympathischen Eindruck.“

„Mehr fällt Dir nicht ein?“

„Gegenfrage: Was soll mir denn einfallen? Und überhaupt, Chef – Du hast Dir jetzt in wenigen Wochen fünf junge Leute angesehen, alle anderen ½ Stunde, bei dem hier sogar 1 ½. Dass ich sogar Deinen Steuerberater vertrösten musste.“

„Na und? Das Essen war übrigens super. Und das Gespräch mit dem auch. Und ich hoffe, Du hast meinem holden Eheweibe und Deiner Busenfreundin Hertha nicht gleich gepetzt, dass ich mich mal wieder satt essen konnte. Immer nur vegan – brrr“.

„Hertha weiß von Deinen Eskapaden nichts und wird es auch nicht erfahren, es sein denn, dass Du so etwas regelmäßig machst und Deinen „Da Fino“ zu Deiner Kantine machst.“

„Danke. Aber meine Frage hast Du bisher nicht beantwortet.“

„Du meine Gegenfrage auch nicht. Aber ok, Du bist der Chef. Mir hat dieser Fietje – wie kommt der eigentlich zu so einem Namen? – sehr gut gefallen. Er ist sicher im Auftreten, nicht arrogant, was man bei jungen Leuten von der Uni so oft findet, er hat Manieren und ist trotzdem bescheiden, und wenn ich mich nicht sehr irre, hat er auch eine Menge soziale und emotionale Intelligenz. Fachlich kann ich absolut nichts sagen. Und nun Du zu meiner Frage?“

„Gleich, Irmi. Fachlich ist der für seine Jugend vielleicht sogar ein Überflieger und alles andere, was Du gesagt hast, habe ich genauso empfunden. Und zu Deiner Frage: Möller geht zur Konkurrenz. Ich brauche also einen neuen Assistenten. Dass Möller geht, ist ok. Gut, dass er in den letzten drei Jahren nur für mich eingesetzt war. Dadurch weiß er zwar, an was für Projekten wir arbeiten, aber er kennt keine Lösungsansätze.“

„Ist nicht schade drum. Ich glaube, den Fietje wirst Du nie mehr gehen lassen wollen.“

Ewald Mertens lachte jetzt.

„Weißt doch – Assi grundsätzlich nur 3 Jahre.“

„Jetzt hast Du aber Pech gehabt.“

„Wieso?“

„Dass Erwin mal Anwalt war und ich bei ihm gearbeitet hatte.

‚Grundsätzlich‘ heißt bei den Juristen ‚in aller Regel, Ausnahmen sind möglich‘.“?

„Du musst immer das letzte Wort haben.“

„Hab ich früher bei Erwin so gehandhabt und Hertha handhabt das bei Dir meines Wissens auch so. Und Du darfst ja nicht entwöhnt werden.“

„Bist Du etwa aufsässig?“

„Wer würde sich denn so etwas erlauben. Ich doch nicht.“

Sie lächelten sich verschmitzt an.

„Dann hol den Fietje mal hoch.“

„Der ist heute nicht im Hause.“

„Wieso nicht?“

„Ist in Darmstadt bei seinem Professor. Wegen seiner Promotion.“

„Woher weißt Du das? Dann gleich übermorgen früh um 9 Uhr.“

„Wäre ja eine ziemlich miese Chefsekretärin, wenn ich nicht wüsste, wo der sich rumtreibt. Donnerstag 9 Uhr geht in Ordnung.“

„Oder kommt der womöglich später? Klause ist ja einer, der Freiheiten lässt.“

„Klause hat Fietje Petersens Handy-Nummer.“

Umwege zu R.

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