Читать книгу Umwege zu R. - Ulf Häusler - Страница 26

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14. Kapitel

So richtig genießen konnte Nephele die Tage zu Hause eigentlich nicht. Weniger wegen des Damoklesschwertes, das wegen ihrer ausgeteilten Ohrfeige über ihr hing, sondern weil ihr der junge Mann einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Sie fand ihn hinreißend. Auch wenn er frech geworden war. Aber der Kuss war so wunderbar gewesen, dass es ihr immer im Bauch kribbelte, wenn sie daran dachte. Und dann hatte der Kerl auch noch so gut gerochen – ganz ohne Aftershave, einfach nur nach Mann. Das alles war eine Erfahrung, die völlig neu für sie war.

Sie versuchte sich abzulenken. Ritt stundenlang mit ihrem Pferd aus. Es nutzte nichts. Der Bursche wollte einfach nicht aus ihrem Kopf gehen.

Natürlich merkten sowohl die Mutter als auch Danae, dass sie anders war als sonst. Aber allen diesbezüglichen Fragen wich sie aus. Nur ihr Vater merkte nichts.

„Lasst doch das Kind in Ruhe.“ war alles, was ihm einfiel, wenn Mutter und Danae mal wieder insistierten.

„Hat es mit Deinem neuen Job zu tun? Macht Dir da irgendetwas Kummer? Dann kündige und komm wieder nach Hause.“

„Ach Mom. Nein es ist alles in Ordnung.“

Aber ihrer Freundin Alexa offenbarte sie sich dann eines Abends doch. Die auch bemerkt hatte, dass Nephele einerseits gereifter wirkte als früher, andererseits aber auch irgendwie den Eindruck einer Getriebenen machte.

„Mensch, was ist denn nur mit Dir los? Nun red doch endlich. Weißt doch: Zusammen sind wir stark. Und wenn Du einen Kummer hast, werden wir den schon wegbekommen.“

Erst blockte Nephele auch bei der Freundin ab, aber dann erzählte sie schließlich doch. Zwar versuchte sie zu verschweigen, wie wunderbar sie den Kuss empfunden hatte, aber sie konnte Alexa letztlich nichts vormachen, die unverdrossen nachbohrte, sodass sie schließlich auch das letzte Detail erfuhr.

„Oh Nephele, ich erkenn Dich ja gar nicht wieder…!“

„Wie meinst Du das?“

„Du bist verliebt, wie’s heftiger nicht werden kann.“

„Quatsch. Gut, ich fand den Kerl ganz nett. Aber verliebt? Glaube ich eher nicht.“

„Und warum siehst Du dann wie eine überreife Tomate aus, als Du eben von dem Kuss erzählt hast? Und das Kribbeln im Bauch? Hab ja keine Ahnung, aber in den Wechseljahren sind wir beide wohl noch lange nicht.“

„Du nervst.“

„Weil ich Dir so ein klein wenig den Spiegel vor die Nase halte? Und Dir rate, dass Du zu Deinem Gefühl stehen sollst? Und mich gerade frage, was daran so schlimm wäre, wenn Du den Mann liebst?“

„Ach Alexa.“

„Ach was?“

„Ok. Liegst sicher nicht ganz falsch, dass ich da ein wenig verschossen war. Aber wohin soll das führen? Ich sehe ihn nie wieder, ich weiß nicht, wie er heißt, wo er her ist – nichts weiß ich. Und vielleicht ist das ja auch besser so. Der knutscht halt gern ein bisschen rum, vermutlich ist er verheiratet, hat schon einen Stall voller Kinder. Sag mir lieber, wie ich den gedanklich wieder loswerde.“

„Das, liebe Nephele, werde ich ganz sicher nicht tun.“

„Und warum willst Du mir nicht helfen? Bist mir ja eine schöne Freundin.“

„Nun mal schön langsam, Du verliebtes Etwas. Abgesehen davon, dass Du das, was Du da eben von mir verlangt hast, in Wirklichkeit gar nicht willst, fällt mir aber eine Menge ein, wie Du über den Angebeteten durchaus etwas herausfinden könntest. Und ich meine, das würde sich sogar lohnen, denn der hat sicher weder eine Frau noch einen Stall voller Kinder.“

„Und wieso nicht? Und was fällt Dir da ein, bitteschön?“

„Erstens – warum hat er noch mal nach Dir geschaut? Zweitens – warum ist er genauso rot geworden, wie Du? Und drittens – so eine Chefstewardess hat keinerlei Möglichkeit, in eine Passagierliste reinzuschauen? Und den Namen des Herrn dann zu Googlen? Was Du wahrscheinlich gar nicht brauchst, weil er Senator flog – da steht sicher auch, für welche Company er arbeitet.“

„Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.“

„Siehst Du?“

„Geht aber doch nicht.“

„Warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Ich kann dem doch nicht nachlaufen. Und wenn ich mir jetzt die alte Passagierliste zeigen lasse, fällt das doch auf.“

„Na und? Machst Du doch nur, um Dich für die Ohrfeige zu entschuldigen. Du, das zeugt sogar von Größe.“

„Man wird mir sicher den Wunsch da reinzuschauen, verweigern.“

„Versuchen kannst Du’s allemal. Und könntest Du nicht sogar Deine Freundin bei der LH bitten, es für Dich zu tun?“

„Die weiß doch von der ganzen Geschichte noch gar nichts.“

„Bis Du wieder in Frankfurt bist, wird sie’s sicher längst erfahren haben.“

„Und mir dann die Freundschaft kündigen.“

„Das glaubst Du ja selber nicht.“

„Versuchen kann ich’s ja mal.“

„Na siehst Du – geht doch.“

„Und wenn das wider Erwarten klappen sollte – wohin soll das denn führen? Der ist ganz sicher Deutscher, hat eine andere Religion, ich bin Zypriotin und bin griechischorthodox. Was sollen denn meine Mom und Dad dazu sagen?“

„Das gefällt mir jetzt richtig gut. Du denkst schon an Heirat. Also ist alles noch viel ernster, als ich dachte. Ach Nephele, ich freu mich ja so für Dich. Denn was Deine Eltern sagen, wäre mir ziemlich schnuppe. Wenn ich es recht sehe, ist es Dein Leben, um das es geht und nicht das Deiner Eltern. Und da musst Du das entscheiden, was für Dich richtig ist, sich für Dich richtig anfühlt. Und nicht was Mami und Papi sagen. So, das musste auch mal gesagt werden.“

„Ach Alexa, Bist ja doch eine richtig gute Freundin.“

„Du merkst aber auch alles.“

Als Nephele nach den wenigen Tagen zu Hause wieder nach Frankfurt zurückflog, hatte sie – kaum war ihr Handy nach der Landung wieder eingeschaltet – eine SMS auf ihrem Apparat: Bitte melden Sie sich morgen früh um 9 Uhr bei mir im Büro. Dr. Sultz.

Sie hatte eine Maschine genommen, die kurz nach 19 Uhr in Frankfurt angekommen war. So entschied sie, erst mal mit Anne zu reden. ‚Ob ich gleich hinfahre oder erst einmal anrufe? Womöglich ist sie ja gar nicht zu Hause. ‘ dachte sie kurz, und rief dann doch lieber an.

„Anne Breker?“

„Hallo Anne. Hast Du wohl etwas Zeit für mich?“

„Bist Du das Nephele?“

„Ja. Bin gerade in Frankfurt angekommen.“

„Klar hab ich für Dich Zeit. Zumal Hans erst Morgen wieder zurückkommt. Wann bist Du hier?“

„In 20 Minuten.“

„Ich mach uns was zu essen.“

„Ich hab schon was im Flieger bekommen und bin eigentlich satt.“

„So, so. Mein Essen ist aber besser. Oder hat Dir da etwa ein ‚slap in the face‘ den Appetit verhagelt?“

„Wie Du weißt schon davon?“

„Wer ja schlimm, wenn ich es nicht wüsste. So etwas kommt schließlich nicht alle Tage vor.“

„Und Du gehst nicht auf Abstand zu mir?“

„Quatschkopp. Ich denke wir sind Freundinnen. Da müsste schon ein bisschen mehr passieren, als eine Ohrfeige für einen zudringlichen Passagier. Und nun mach Dich auf die Socken.

Morgen musst Du zum Sultz und da solltest Du halbwegs ausgeschlafen sein.“

„Bin gleich da.“

Es wurde dann doch fast Mitternacht, bis Anne die ganze Wahrheit von Nephele erfahren hatte. Was eigentlich ziemlich einfach war, weil Nephele sich selbst verraten hatte. Anne hatte ihr u.a. eine Frage gestellt:

„Wenn Du morgen wieder fliegst und es wird wieder einer frech – was machst Du da?“

„Laut um Hilfe rufen.“

„Sehr gut. Und was machst Du auf gar keinen Fall?“

„Ihm eine kleben.“

„Auch richtig. Und nun die 1-Million-Dollar-Frage: Warum hast Du das nicht gleich so gemacht?“

Statt einer Antwort wurde Nephele wieder einmal puterrot.

„Kann es sein, liebe Nephele, dass der Kerl nicht versucht hat Dich zu küssen, wie es in Deinem Bericht steht, sondern dass er Dich gar richtig geküsst hat? Und kann es weiter sein, dass die Geküsste das so wunderschön fand, dass ihr Verstand ausgesetzt hat?“

„Ach Anne…“

„Ach Anne was? Hab ich wohl ins Schwarze getroffen? Und das erklärt auch, warum Du nicht nur rot geworden bist, sondern schon glühst. Ich glaube, ich glaube…“

„Was glaubst Du?“

„Dass Du bis über beide Ohren verliebt bist.“

„Ach Anne…“

„Kannst Du auch noch was anderes sagen als ‚ach Anne‘?“

„Ich schäm mich so, Anne. Ja, Du hast ja Recht. Der Kerl will mir nicht aus dem Kopf.“

„Du willst ihn also wiedersehen.“

„Weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“ Und dann trug sie Anne mit fast den gleichen Worten wie bei Alexa ihre Bedenken vor. Und war irgendwie erleichtert, dass Anne beinahe wortgleich wie Alexa ihre Bedenken zerstreute.

„Aber ich kann dem doch nicht hinterherlaufen?“

„Mensch Mädchen – wenn Du an dem wirklich Interesse hast – warum nicht? Wir leben doch nicht mehr im vorigen Jahrhundert. Gleichberechtigung ist nicht nur höchst angesagt, sondern in Deinem Falle sogar das Gebot der Stunde. Und glaubst Du denn, mein Hans ist vor mir nur auf den Knien rumgerutscht? Da hab ich auch ein wenig nachhelfen müssen.“

„Hm.“

„Hm – was?“

„Dann müsste ich mal in die Passagierliste reinschauen.“

„Vergiss es, Nephele, an die kommst Du nicht ran.“

„Auch nicht, um mich bei dem Mann zu entschuldigen?“

„Auch dann nicht, weil Sultz ihm schon ein dreiseitiges Entschuldigungsschreiben geschickt hat, einen Freiflug First Class avisierte und das alles obendrein mit 3 Flaschen Champagner garniert hat.“

„Dann erfahre ich den Namen nie.“

„Er heißt Friedhelm Petersen, arbeitet bei der ITSolutions AG in Frankfurt und ist Assistent des Vorsitzenden des Vorstandes Prof. Dr. Mertens, einem unserer HONs. Mehr weiß ich auch nicht. Aber das ist doch schon mal ein Anfang.“

„Wie Du hast…?“

„Irgendwie hatte ich so ein Gefühl im Bauch, dass der Name von dem Menschen noch gebraucht werden könnte.“

„Ja aber…“

„…hast Du gar keine Ausreden mehr. So ist es.“

„Ach Anne.“

„Sag mal, wie oft muss ich mir dieses ‚ach Anne‘ denn heute noch anhören?“

„Wie soll ich denn an den rankommen. Wo ich so viel unterwegs bin. Kann mich doch nicht 24 Stunden vor den Firmensitz hinstellen, in der Hoffnung, dass er da mal aufkreuzt. Und außerdem - wenn ich morgen rausfliege, bringt das alles sowieso nichts, weil ich dann in Zypern wieder als Physiotherapeutin arbeite. Also muss ich den Mann vergessen.“

Und ganz leise, kaum hörbar fügte sie hinzu:

„Weiß nur nicht, wie das gehen soll.“

„Gar nicht. Ja, Du fliegst. Aber nicht raus, sondern wieder wie bisher in der Luft mit Airbussen oder Boeings.“

„Wie - Du meinst, ich werde morgen nicht gekündigt?“

„Das meine ich nicht, sondern weiß es.“

„Nun sag schon – was hat Sultz mit mir vor?“

„Sag ich nicht. Ich hab’s hoch und heilig versprochen, nicht zu plaudern und daran halte ich mich. Aber Dein Kopf bleibt dran und fliegen wirst Du auch wieder.“

„Aber nicht als Kabinenchefin.“

„Wart’s ab.“

„Muss ich ja wohl.“

„Musst Du. Und jetzt trinken wir noch einen Absacker und dann geht’s in die Heia. Und damit Du schneller in die Koje kommst, bleibst Du heute Nacht hier. Keine Widerrede.“

„Ach Anne.“

„Nephele, Du nervst.“ erwiderte Anne lachend.

„Aber drücken darf ich Dich mal? Weil Du mir so lieb hilfst?“

„So, Frau Mantalos oder meinetwegen auch Frau Mantalo, nun erklären Sie mir mal, was Sie sich dabei gedacht haben, einen Senator-Passagier zu ohrfeigen.“ Dr. Sultz schaute sein Gegenüber ziemlich ernst an, wie sie fand.

Nephele berichtete nochmals über den Vorfall, hielt sich dabei genau an ihren Bericht und versuchte gar nicht erst, sich zu rechtfertigen, sondern entschuldigte sich stattdessen. Was Dr. Sultz insofern etwas irritierte, weil sie ihm damit praktisch den Wind aus den Segeln nahm.

„Und warum haben Sie nicht um Hilfe gerufen? So, wie Sie eben selbst sagten, dass es korrekt gewesen wäre?“

Nephele wurde wieder ziemlich rot und ärgerte sich über sich selbst – sie konnte und wollte auf gar keinen Fall zugeben, dass es zum Kuss gekommen war und erst recht nicht, dass der so wunderschön gewesen war. Und dass sie ganz weiche Knie bekommen hatte.

„Ich weiß es auch nicht Herr Dr. Sultz, der Flug war ja wegen der Turbulenzen etwas schwieriger als gewöhnlich und dadurch wohl auch anstrengender als sonst. Und da hab ich leider falsch reagiert.“

Nephele war auch eine ganz passable Schauspielerin – der aufgesetzte Dackelblick erweckte bei Sultz so den Eindruck, dass es der jungen Frau wirklich leidtat, mit dem, was sie da angerichtet hatte. Aber ein wenig streng musste er nun doch sein.

„Sie wissen, was in so einem Fall normalerweise angesagt ist?“

„Die Entlassung. Fristlos. Und ich müsste das akzeptieren.“

„Richtig. Aber da sie sonst immer sehr gut gearbeitet haben, machen wir es anders. Ab sofort sind Sie für 4 Wochen wieder eine ganz normale Stewardess.“

Nephele lächelte jetzt etwas zaghaft. Eigentlich müsste sie sich ja freuen, aber das wegen der Rückstufung gefiel ihr überhaupt nicht.

„Darf ich mir das überlegen, Herr Dr. Sultz? Die Rückstufung würde sich ja sofort herumsprechen und dann wäre es mit meiner Autorität in der Kabine für alle Zeiten vorbei.“

„Und wohin soll Ihre Überlegung führen, Frau Mantalo?“

„Dass ich darüber nachdenken möchte, ob ich dann nicht besser von mir aus kündige.“

„Hm. Nun passen Sie mal gut auf, Verehrteste. Das hatte ich mir auch schon überlegt. Deshalb machen wir es ein ganz klein wenig anders. Bei der Rückstufung für 4 Wochen muss es bleiben. Sie lassen sich jetzt für 2 Wochen von unserm Betriebsarzt krankschreiben, anschließend nehmen Sie 2 Wochen Urlaub. Damit sind die 4 Wochen abgehakt. Und danach fangen Sie als Kabinenchefin wieder an. Ihr Gehalt während der 4 Wochen ist allerdings nur das eines normalen Kabinenmitglieds. Der Kompromiss sollte auch für Sie akzeptabel sein.“

„Danke, Herr Dr. Sultz. Damit kann ich leben. Das ist wirklich sehr fair, wie Sie das handhaben.“

„Ich konnte das nur deshalb so machen, weil der Kapitän Ihren Bericht so bestätigt hat, Sie also nichts beschönigt haben und der Passagier sich nicht beschwert hat. Und nun gehen Sie bitte zum Betriebsarzt und zwar zu Dr. Weigand, der weiß Bescheid, seine Sekretärin wird Ihnen das Attest geben und Sie schicken mir das umgehend mit der Post. Diese Grippe-Epidemie hat es aber auch wirklich in sich.“

Dr. Sultz lächelte Nephele jetzt richtig freundlich an.

„Ach so, und noch etwas: Das oder so was Ähnliches möchte ich nicht wieder erleben mit Ihnen. Beim nächsten Mal kommen Sie nicht so glimpflich davon. Und nun raus mit Ihnen. Und in den 2 Wochen, in denen Sie krankgeschrieben sind, können Sie nicht nach Zypern fliegen. Da müssen Sie schon brav hierbleiben. Haben wir uns verstanden?“

„Ja Herr Sultz – und nochmal: Herzlichen Dank für die Lösung des Problems.“

Umwege zu R.

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