Читать книгу Umwege zu R. - Ulf Häusler - Страница 18

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7. Kapitel

„Fietje Petersen, ich will nicht lange drum herumreden, ich brauche einen neuen Assistenten, denn der Möller wandert zur Konkurrenz ab. Was halten Sie von einer Assi-Stelle bei mir?“ begrüßte Prof. Mertens, gleich nachdem sie sich kurz nach 9 Uhr in seinem Büro auf der Sitzgruppe gesetzt hatten. Und bevor Fietje überhaupt Luft holen konnte, fuhr er schon in seiner Ansprache fort:

„Und dann hab ich inzwischen auch mitbekommen, dass Sie gestern an Ihrer Uni waren. Ging um Ihre Promotion. Ist das richtig?“

„Das mit der Promotion stimmt. Ob ich das aber wirklich machen soll, weiß ich noch nicht so genau. Dass Sie mir die Assi-Stelle zutrauen, freut mich natürlich sehr. Was muss man da denn machen?“

„Alles. Und über alles, was Sie mitbekommen, den Mund halten. Das ist enorm wichtig. Sie sehen meine Post durch, entscheiden, was ich sehen und lesen muss, wenn Sie im Zweifel sind, heften Sie eine Notiz dran mit Ihrer Empfehlung, Unwichtiges entsorgen Sie, Halbwichtiges, um das ich mich nicht gleich kümmern muss, geben Sie in die zuständigen Fachabteilungen. Alles, was von denen hochkommt, müssen Sie durchsehen und sollen es auch kommentieren, hoffentlich meist nur mit den beiden Buchstaben ‚ok‘, Sie müssen meine gelegentlichen Aufsätze in der Fachpresse vorbereiten, also fix und fertig schreiben, sodass ich nur noch ein wenig daran schleifen muss, Sie sollen meine Reden vorbereiten und wenn nötig, mich auf meinen Geschäftsreisen begleiten. Und natürlich müssen Sie auch all meine Sitzungen für mich vorbereiten, d.h. alle Unterlagen zusammentragen, die ich dafür voraussichtlich brauche. Und, wenn ich Sie zu Besprechungen mitnehme, hinterher ein kleines Protokoll fertigen. Das klingt jetzt nach unheimlich viel, aber so, wie ich Sie einschätze, werden Sie den Bogen schnell raus haben und danach ist das alles ganz gut zu bewältigen. Im Klartext – bisher hat keiner meiner Assistenten einen Burn-Out bekommen. Nun, was halten Sie von meinem Angebot? Ach, und noch eins: Ich erwarte selbstverständlich, dass Sie Ihre Promotion durchziehen. Kneifen gibt’s nicht. Ohne Doktortitel machen Sie zwar vielleicht auch Karriere. Aber ganz sicher nicht bei mir. Junge, lass nicht vor Schreck Deinen Sketo kalt werden.“

„Puh. Das war ja eine ganze Menge. Und ehrlich weiß ich nicht, ob ich mir das zutraue. Lust hätte ich schon dazu, aber ich will Sie auf keinen Fall enttäuschen. Und was ich da bei Ihnen machen soll – mit meinem Studium hat das doch gar nichts mehr zu tun. Und wie meinen Sie das mit dem ‚doktorieren‘?

„Also Petersen. Erstens höre ich voller Freude, dass Sie Lust haben. Das ist wichtig, denn man muss Spaß an seiner Arbeit haben, sonst wird da nichts draus. Zweitens – ja, der Job ist kein Zuckerschlecken, aber wenn ich es Ihnen nicht zutrauen würde, würden wir jetzt gar nicht das Gespräch führen. Sie werden mich daher drittens auch nicht enttäuschen. Viertens – Sie haben Recht, was Sie im Studium machten und gelernt haben und derzeit bei Klause machen, können Sie alles getrost vergessen, bei mir gibt’s nichts zu programmieren und so. Trotzdem werden Sie alles, was sie auf der Uni und bei Klause mitbekommen haben, bestens brauchen können, denn Sie müssen ja das, was da aus den Abteilungen kommt, verstehen können. Und fünftens und letztens: Mit der Promotion meine ich es so, wie ich es gesagt habe.“

„Ich werde jetzt mal ein bisschen frech, Herr Professor – das mit meinem Doktor ist Erpressung.“

„Frech dürfen Sie schon mal sein, solange Sie nicht unverschämt oder gar aufsässig werden. Frech werden ist bisweilen schon ganz ok, bei unverschämt gibt’s was auf die Rübe und bei aufsässig wechseln Sie den Arbeitgeber. Alles klar? Junge, ich habe auch mal studiert und meine Promotion durchgezogen, als ich schon mit beiden Beinen im Beruf stand. Klar, mit dolce far niente am Wochenende ist da mal für eine Weile nix angesagt. Ich war schon verheiratet und hab es trotzdem hinbekommen. Und denken Sie dran: Kein Mensch fragt später, mit welcher Note Sie Ihren Doktor hinbekommen haben. ‚Rite‘ als Examensnote reicht doch.“

„Sehr tröstlich. Und mit „Rite‘ noch Prof. zu werden – wow.“ Mertens grinste jetzt.

„Mein Ehrgeiz war in der Tat ein ‚Rite‘. Es wurde aber ein ‚Magna cum Laude‘ draus. Sie hätten also gleich ein Vorbild.“

„Und Arbeitszeiten und so etwas kann ich als Assi wohl gleich vergessen?“

„Weitgehend ja. Mal werden es 10 Stunden, manchmal auch 12, bisweilen auch 14 Stunden am Tag. 16 Stunden sind eher selten. Und wenn ich nicht da bin und Sie auch nicht mitgenommen habe, brauchen Sie keine 8 Stunden im Büro zu hocken, von mir aus tun’s da auch 2, 3 oder 4 – Sie müssen nur Frau Hermann sagen, wo man Sie notfalls erreichen kann.“

„Da hat man ja gar kein Privatleben mehr.“

„Oh – ich wusste gar nicht, dass Sie verheiratet sind und schon einen Stall voller kleiner Kinder haben und Ihre Frau entlasten müssen. In dem Fall gibt’s etwas mehr Geld, damit Sie sich ein Au-Pair-Mädchen leisten können?“

Mertens hatte es lachend gesagt und fuhr dann ernst fort:

„Haben Sie eine feste Partnerin und fürchten, dass die Ihnen fortläuft.“

„Nö.“

„Ach so, Sie gehören also zu den jungen Leuten, die von einer Blume zur nächsten flattern und sich nach der Bestäubung wieder dünne machen. Ich denke mal, hin und wieder werden Sie schon Zeit finden. Auch für so etwas.“

Fietje war jetzt ganz rot geworden. Mertens grinste schon wieder:

„War auch mal jung. War zwar damals schon zu sehr beruflich eingespannt, aber der hübsche Leitspruch der 68er hatte mir seinerzeit schon imponiert.“

„Hm?“

„Ach so – stimmt ja, auf der Penne wurde das nicht gelehrt: ‚Wer einmal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment‘.“

Fietje musste jetzt richtig lachen.

„So, wie sagt man da, wo Deine Eltern herkommen? Nun mal Butter bei die Fische – also, was ist jetzt mit meinem Angebot?“

„Darf ich es mir überlegen? Bis morgen?“

„Fietje Petersen, Sie dürfen. Morgen um 8 Uhr stehen Sie bei Frau Hermann auf der Matte.“

„Oh – das hätte ich beinahe vergessen – was verdient denn ein Assi bei Ihnen?“

„Jetzt bekommen Sie meines Wissens 68.000 im Jahr. Bei mir gibt’s 84.000. Und nach der Probezeit noch eine Kleinigkeit mehr. So und nun raus hier. Habe noch mehr zu tun.“

„Na, junger Mann, wie geht’s, wie steht’s?“ fragte Frau Hermann gleich als sich die Tür zum Zimmer des Chefs geschlossen hatte.

Fietje lächelte sie an.

„Sie wissen, worum es ging? Also ich habe mir Bedenkzeit bis morgen ausgebeten.“

„Hm?“

„Na ja, man muss einen Chef auch mal ein wenig zappeln lassen? Spaß beiseite: Klar mach ich das. Klingt nämlich richtig toll. Wäre ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich so eine Chance ausschlagen würde. Und das mit der Bedenkzeit habe ich nur gesagt, weil es vielleicht keinen so guten Eindruck macht, wenn man bei einer so wichtigen Sache sofort ‚Ja‘ sagt.“

„Ich freu mich Herr Petersen. Wir werden da eine Menge miteinander zu tun haben.“

„Ich freu mich auch. Bis morgen um 8. Also gleich nach Mitternacht.“

Wenige Minuten später kam Mertens aus seinem Büro.

„Nun rede schon Irmi, was hat er gesagt. Meinst Du, er nimmt mein Angebot an?“

„Immerhin wollte er Bedenkzeit. Aber ich glaube der will zu uns kommen.“

„Bist Du sicher?“

„Er hat dem Sinne nach gesagt, man muss einen Chef auch mal ein wenig zappeln lassen.“ Sie grinste ihren Chef an.

„Ganz schön frech.“ erwiderte Mertens fast schon ein wenig nachdenklich wirkend.

„Lass mal gut sein, Ewald. Der Junge ist schwer in Ordnung. Als er das sagte, hat er nämlich gegrinst und seine Bedenkzeit dann begründet – er meinte, es mache keinen guten Eindruck, bei so einer wichtigen Sache gleich ‚Ja‘ zu schreien.“

„Ich glaube, Du hast Recht.“

„Hab ich doch immer. Trotzdem – womit?“

„Dass der Bengel in Ordnung ist und mit dem was Du vor kurzem sagtest.“

„Was meinst Du da?“

„Dass er wohl länger als 3 Jahre aushalten muss, wenn er wirklich so einschlägt, wie wir’s uns erhoffen.“

Zwei Wochen später fing Fietje als Assi bei Prof. Mertens an. Der ihn zunächst seinen beiden Vorstandskollegen vorstellte. Für Finanzen war das ein schon älterer Dr. Bernhard Heilers und dann gab es noch einen Vertriebsvorstand namens Berthold Koller, noch ziemlich jung, wie Fietje fand. Beide waren sehr nett zu ihm, ob nur, weil Mertens dabei war oder ob sie das auch sonst sein würden, würde Fietje schon noch merken.

„Wie gefallen Ihnen meine Kollegen?“ Mertens wollte ihm offensichtlich auf den Zahn fühlen.

„Ihr Finanzer macht einen sehr guten und netten Eindruck. Der Vertriebler war ja auch richtig nett, aber den trau ich mich nicht, so auf Anhieb einzuordnen.“

„Warum?“

„Nun, Dr. Heilers ist eine richtige Persönlichkeit. Koller ist noch ziemlich jung, finde ich. Da fällt es mir schwerer, ihn so nach dem Bauch einzuordnen.“

„Gut beobachtet, Junge. Und nun fang endlich an zu arbeiten.“

„Aye, aye Chef.“

„Sie nehmen sich als erstes die Post von heute vor, die Hermann hat sie und wird sie Ihnen geben. Und sie wird Ihnen dann auch sagen, was sie weiter zu tun haben. Ach so – noch etwas: In 4 Wochen muss ich einen Vortrag halten. Thema: ‚Digitalisierung mittelständischer Unternehmen‘. Den bereiten Sie mir bitte vor. Heute in zwei Wochen geben Sie mir Ihren Entwurf. Alles klar?“

„Aye, aye.“

„Das nervt, Fietje Petersen.“

„Schade, Herr Prof. Mertens.“

Er grinste Fietje ein wenig an.

„Nicht wirklich. Aber alle zwei Minuten – dann schon.“

Fietje hatte sich den neuen Job etwas leichter vorgestellt. Er rackerte von früh bis spät – abends um 19 Uhr saß er immer noch über wahren Aktenbergen, Frau Hermann fing schon an, ihn zu bemitleiden.

„Junge, übertreib es nicht. Los, jetzt ist Schluss Wir gehen jetzt – und zwar beide!“

„Nur noch eine halbe Stunde, Frau Hermann. Ich muss diese Vorlage hier kapieren. Sonst weiß ich nicht, was ich dem Chef draufschreiben soll.“

„Versprochen, dass Du in einer halben Stunde auch abhaust?“

„Versprochen.“

Am nächsten Morgen sprach sie mit ihrem Chef.

„Ewald, das geht so nicht mit dem Jungen.“

„Was geht nicht?“

„Dass der hier abends bis in die Puppen sitzt.“

„Ach Irmi.“ Erwiderte er milde lächelnd.

„Was – ach Irmi.“

„Pass mal auf. Was der jetzt gerade macht, ist völlig normal. Ist mir früher auch so gegangen. Und bei Deinem Erwin war es einst auch nicht anders.“

„Ja schon. Aber das war nur anfangs, nachher wurde es besser.“

„Wird es bei Deinem Ziehsohn Fietje auch. Gehe ich jede Wette ein.“

„Blödmann. Ich mag den Bengel zwar, aber er ist nicht mein Ziehsohn.“

Mertens lachte jetzt richtig.

„Jetzt erzähl ich Dir mal was, was vor vielen Jahren mir mein Chef dazu erklärt hat. Als ich damals auch am Untergehen war, tröstete er mich: ‚Mertens, Sie sind gerade am Ersaufen. Und zwar am Ersaufen in Milch. Und je heftiger Sie jetzt strampeln, umso eher entsteht Butter – auf der können Sie dann stehen.‘ Der Mann hatte Recht. Und mit Fietje ist es momentan genauso. Nur weiß er noch nicht, dass er gerade in Milch strampelt. Weißt Du was, Irmi? Bring ihm jetzt eine ordentliche Tasse Café und tröste ihn mit dem Beispiel. Und wenn er wider Erwarten in 4 Wochen immer noch am Absaufen ist, sag’s mir – ich rede dann mit ihm. Ok?“

„Ok, Chef.“

Natürlich hatte Mertens Recht behalten. Nach weiteren vier Wochen hatte Fietje sich selbst endlich ‚Land in Sicht‘ melden können. Er kannte jetzt ‚seine‘ AG sehr viel besser, er verstand die Vorlagen der Fachdienste fast auf Anhieb und er wusste, wo er ‚hinlangen‘ musste, wenn er etwas brauchte. Und rein instinktiv hatte er in das Haus einen ‚guten Draht‘ gefunden, weil er – wenn er meinte, etwas in der angelieferten Form nicht seinem Chef vorlegen zu sollen, erst noch einmal mit dem betreffenden ‚Lieferanten‘ redete. Das kam bei denen sehr gut an, weil sie das als Unterstützung empfanden und der neue Assi sie offenbar nicht in die Pfanne hauen wollte.

Irmi Hermann hatte diese Arbeitsweise mit dem Haus sehr bald bemerkt und ihrem Chef davon berichtet.

„Haben wir keinen Fehlgriff getan.“ meinte er.

„Wirklich nicht.“

„Armer Kerl.“ kommentierte er Irmi Hermanns Bemerkung. „Wieso das denn?“

„Ich hab mir noch etwas ausgedacht. Verschafft mir mehr Luft, Fietje mehr Arbeit. Deshalb ‚Armer Kerl‘.“

„Was hast Du Dir ausgedacht?“

„Wir schaffen ein Vorstandsekretariat und Fietje leitet es.“

„Hm. Und wieso verschafft das dem verehrten Vorstandsvorsitzenden mehr Luft?“

„Nun, er wird mir alle Vorstandsitzungen vorbereiten, wird vorher eine Tagesordnung verschicken, wird in der Sitzung ein Protokoll fertigen, wird alle Vorstandsvorlagen vorher kritisch durchsehen, bevor sie an die Kollegen und mich gehen.“

„Willst Du mich weitgehend arbeitslos machen?“

„Hättest Du wohl gern. Aber Dich ein wenig entlasten wäre schon gut.“

„Das brauche ich, meinst Du.“

„Ja.“

„Und seit wann bist Du zu dieser Erkenntnis gelangt?“

„Seitdem Deine liebreizenden zwei Kinder Hertha und mir andeuteten, dass ihre Mama immer so müde sei und kaum noch Zeit für sie hätte.“

Irmi Hermann schaute jetzt ganz ernst – ‚doch nicht etwa Tränen?‘ dachte Prof. Mertens.

„Warum reden die nicht mit mir über so etwas?“ sagte sie kaum hörbar.

„Weil Du es entschieden abstreiten würdest. Und Dich noch ein wenig mehr aufräufeln würdest, um mehr Zeit für sie zu haben. Vorschlag zur Güte, Irmi.“

„Hm?“

„Lass Dir doch mal helfen. Hertha macht das gern, das weißt Du und wenn ich das versuche, musst Du Dich nicht wie ein störrischer Esel verhalten. Und wenn Du mir krank würdest, hätte ich noch nicht mal eine Sekretärin.“

„Und was werden Deine Kollegen sagen?“

„Das lass mich mal machen. Keiner wird deshalb kündigen.“

„Und was wird Dein Chef dazu sagen?“

„Nichts. Der Weinecker ist als Aufsichtsratsvorsitzender froh, dass er wenigstens in einer AG den Vorsitz hat, mit der er keinen Ärger hat. Übrigens liegt so eine Organisationsänderung voll in meiner Kompetenz.“

„Aber meine ‚Brut‘ werde ich mir kaufen. Sich bei Hertha und Dir auszuweinen.“

„Das wirst Du schön bleiben lassen. Die lieben ihre Mutter nämlich. Und wollen, dass es ihr gut geht. Wenn sie sich da gleich an die Richtigen wenden, solltest Du die beiden lieber mal in den Arm nehmen, statt mit ihnen zu schimpfen.“

„Du musst immer das letzte Wort haben.“

„Sonst hast Du das immer. Aber Du siehst, ich bin lernfähig.“

„Ach Ewald.“

„Ach Irmi. Und nun hol mir mal den Fietje.“

Umwege zu R.

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