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São Sebastião do Uatumã, Amazonasgebiet
ОглавлениеDie Mittagshitze hatte sich wie ein undurchlässiges Tuch über die Region gesenkt. Der Regen hatte nachgelassen, und die tropische Luftfeuchtigkeit trieb den Polizisten der Naturschutzbehörde den Schweiß aus den Poren. Das Patrouillenboot der Militärpolizei war bereits seit Stunden auf dem Rio Uatumá in Richtung Norden unterwegs. Sie hielten Ausschau nach illegalen Camps von Holzfällern, die sich zuhauf hier in diesem Gebiet herumtrieben und ganze Teile des Urwaldes abholzten, um ihre geheime Fracht, oftmals als Flöße getarnt, auf dem Fluss an den Ort der Übergabe zu bringen. Dort wurden sie dann von skrupellosen Händlern erwartet, die für den Weitertransport auf der Straße sorgten.
Gerade in diesem Jahr hatten die Holzeinschläge wieder zugenommen, und die Satellitenauswertung ergab immer neue kahle Stellen im weiten Grün des Regenwaldes. Bauern nutzten das neu gewonnene Land zur Viehzucht, und illegale Holzhändler lieferten über verborgene Routen Edelhölzer direkt an die Küste, wo die Baumstämme mit gefälschten Zertifikaten als legale Fracht in den stählernen Bäuchen der Frachtschiffe verschwanden. Die Nachfrage nach Tropenholz war in letzter Zeit stark angestiegen und für Holzfäller und Händler ein einträgliches Geschäft geworden. Nicht selten waren die Polizisten der Policia Civil daran beteiligt. Die Korruption reichte bis in die Chefetagen der offiziellen Stellen, so dass inzwischen die Militärpolizei eingesetzt werden musste, um den illegalen Holzhandel wieder einzudämmen.
Vor einer Stunde hatte das Boot den Anleger in São Sebastião verlassen. Vorbei an den Mangrovenwäldern schipperten die Militärpolizisten weiter nordwärts. Immer breiter wurde der Fluss, und bald schon glich er einem See, umgeben von grünem Wald. Kormorane saßen in den Wipfeln der Bäume und ließen sich durch den Lärm des Bootsmotors nicht aus der Ruhe bringen. Bis zum Balbina-Stausee führte ihre Route, wo noch vor wenigen Tagen ein heftiger Sturm getobt hatte. Einige Mohrenkaimane flüchteten vom sandigen Ufer ins Wasser, um sich vor dem tosenden und dampfenden olivgrünen Ungetüm in Sicherheit zu bringen. Kurz vor dem Zufluss des Rio Jatapu rief der Cabo, der Korporal an Bord des Bootes, dem Bootskommandanten ein paar aufgeregte Worte zu und zeigte mit der ausgestreckten Hand in Richtung der Flussmündung. Dieser nahm sofort sein Fernglas vor die Augen und wies den Steuermann an, Kurs auf den Rio Jatapu zu nehmen. Ein schmales, grün gestrichenes Langboot hatte sich mit dem Ausleger im Wurzelwerk einiger Mangroven verfangen.
Befehlsgewohnt brüllte der Kommandant seiner Besatzung Anweisungen zu, und gleich darauf positionierte sich einer der Soldaten hinter dem großen Zwillingsmaschinengewehr, das sich am Bug des Patrouillenbootes befand. Auch die anderen Besatzungsmitglieder, zwei weitere einfache Soldaten und ein Korporal, griffen zu ihren automatischen Waffen. Gefahr war im Verzug. Nicht oft wurden illegale Holzfäller erwischt, doch wenn man sie in die Enge getrieben hatte, schreckten sie selbst vor einem Feuergefecht mit dem Militär nicht zurück.
Der Steuermann drosselte die beiden Dieselmotoren und ließ das Patrouillenboot langsam auf die Flussmündung zutreiben. Das Schiff, ein amerikanisches Modell, das bereits 1966 im Vietnamkrieg zum Einsatz gekommen war, verfügte über einen stabilen Rumpf aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Am Bug und an den Seiten sorgten Keramikplatten für die Deckung der Mannschaft, und selbst der Bugturm mit den beiden Maschinengewehren bot gegen einfache Gewehrmunition ausreichend Schutz.
Der Kommandant visierte das hölzerne Langboot mit seinem Fernglas an, doch an Bord war keine Bewegung auszumachen. Hatte sich die Besatzung an Land begeben? Lauerten die Holzräuber hinter den dicken Stämmen der Mangroven auf ihre Chance? Oder hatten sie sich vielleicht schon längst aus dem Staub gemacht? Letzteres bezweifelte der Kommandant, denn in dieser Gegend war ein Boot viel zu wertvoll, um es einfach aufzugeben. Meter um Meter glitt das Patrouillenboot weiter auf das Langboot zu.
»Da ist jemand!«, rief der Kommandant. Im Boot hatte er einen menschlichen Körper ausgemacht. Die Soldaten zielten mit ihren Gewehren darauf, während der Cabo noch immer argwöhnisch die Umgebung im Auge behielt. Schließlich waren sie heran. Drei Personen lagen im Langboot, zwei Männer und eine Frau. Der Kommandant griff nach dem Mikrophon und forderte sie über Außenlautsprecher auf, sich zu erheben und die Hände über den Kopf zu nehmen. Die Worte waren kaum verhallt, als plötzlich ein riesiger Mohrenkaiman vor dem Langboot auftauchte. Einer der Soldaten erschrak und feuerte eine Salve aus seiner Maschinenpistole.
»Feuer einstellen!«, schrie der Kommandant. »Nicht schießen, ich glaube, die Leute dort drüben sind tot.«
Der Soldat nahm seine Maschinenpistole hoch und sah noch aus den Augenwinkeln, dass der Kaiman unter dem Langboot abtauchte.
»Zwei Mann ins Schlauchboot«, befahl der Kommandant.
Eilends erhoben sich zwei Soldaten und eilten zum Heck. Sie ließen das Schlauchboot ins Wasser und ruderten hinüber zum Langboot, während die Kameraden nach wie vor mit ihren Gewehren sicherten.
»Was glaubst du, sind das Holzfäller?«, fragte der Cabo seinen Kommandanten.
»Ich weiß es nicht, aber die Frau passt irgendwie nicht ins Bild.«
Die beiden Soldaten machten das Schlauchboot an einer Rudergabel des Langbootes fest, setzten über und beugten sich zu den Personen hinab. Schließlich richtete sich einer von ihnen auf. »Die Männer sind tot, aber die Frau lebt noch, sie ist sehr schwach«, rief er zum Patrouillenboot herüber.
»Was willst du tun?«, fragte der Cabo.
Der Kommandant überlegte. Schließlich nahm er das Mikrophon in die Hand. »Bringt die Frau an Bord!«, antwortete er.
»Und die Männer?«
»Wir bringen die Frau nach São Sebastião in die Krankenstation. Die Männer lassen wir zurück. Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch etwas für die Frau tun wollen.«
Der Cabo nickte.
»Also los!«, brüllte er den Soldaten auf dem Langboot zu. »Worauf wartet ihr noch? Und beeilt euch gefälligst.«
Sieben Minuten später schob der Steuermann den Gashebel bis zum Anschlag vor. Das Patrouillenboot schoss, getrieben von den beiden 260 PS starken Motoren, in Richtung von São Sebastião davon.
Die Frau war schwach und fiebrig. Ihr Atem ging flach, und die Haut war mit einem kalten Schweißfilm bedeckt. Sie hatten sie am Heck des Bootes auf eine Trage gelegt und ihr zur Untersuchung die Kleider ausgezogen.
»Was ist mit ihr?«, fragte der Kommandant seinen Cabo, der sich gerade aufrichtete und das Stethoskop zurück in den medizinischen Notfallkoffer legte. Er hatte als Einziger an Bord eine Sanitäter-Ausbildung und zuckte ahnungslos mit der Schulter. »Ich weiß nicht, ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, sie wurde von einer Giftschlange gebissen, habe aber keine Bissstelle gefunden. Lange wird sie wohl nicht mehr durchhalten. Ihr Herz schlägt unregelmäßig.«
Der Kommandant nickte und wandte sich an den Steuermann. »Fahr so schnell du kannst«, schrie er ihm gegen den Motorenlärm zu.
Diesmal flogen die Kormorane aus den Baumwipfeln auf, als das Boot mit Vollgas vorbeidonnerte.