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Hospital Santa Catarina, São Sebastião, Amazonasgebiet

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Lila Faro hatte sich auf der Terrasse mit einem starken Kaffee niedergelassen. Die Hitze des Tages wich langsam der beginnenden Dämmerung. Die Sonne würde bald hinter den Bäumen versinken, bevor sie am nächsten Tag die Temperaturen wieder weit über die Dreißig-Grad-Marke steigen ließ. Mit der untergehenden Sonne nahm zwar die Luftfeuchtigkeit ab. Doch auch in der Nacht sanken die Temperaturen gerade mal auf fünfundzwanzig Grad.

Gegenüber der kleinen Krankenstation befanden sich in einem einfachen und schmucklosen Steinhaus die Ärztewohnungen. Sie waren klein, nicht mehr als vierzig Quadratmeter, aber für die Verhältnisse hier am Amazonas glichen sie wahren Luxusunterkünften. Die kleine Terrasse lag im Schatten zweier großer, Schatten spendender Bäume. Lila war erledigt. Ein harter Tag lag hinter ihr, aber die Wartezimmer waren noch immer voll, denn die Ribeirinhos hielten sich nicht an Öffnungszeiten. Sie kamen, wenn sie sich krank fühlten, sich nicht mehr selbst helfen konnten oder die Schamanen keinen Rat mehr wussten. Lila dachte an den Militärpolizisten, der vor kaum einer Stunde aufgebrochen war, um auf dem Rio Jatapu nach illegalen Holzfällern zu fahnden. Und sie dachte an die Frau, die ihnen unter den Händen weggestorben war und deren Symptome so rätselhaft gewesen waren.

Die junge Ärztin war zwar erst kurz hier in der Station, aber sie wusste, dass sie hier nicht länger bleiben würde als unbedingt notwendig. Williamson war ein Säufer und Alonso ein hirnloser Dilettant, der keine Ahnung und seinen Arztberuf alleine dem Einfluss seines reichen Vaters zu verdanken hatte. Santa Catarina war nur eine unbedeutende Zwischenstation für ihn, bis er nach São Paulo zurückkehren würde, um in der Praxis seines Vaters mitzuarbeiten und sich um die Zellulose alternder, aber reicher Schönheiten zu kümmern. Und Williamson würde irgendwann mit einer Flasche Cachaça im Arm einschlafen und auf dieser Welt nie mehr aufwachen. Inkompetenz und Menschenverachtung verband Lila mittlerweile mit dieser Station mitten im Dschungel. Dabei war sie hierher gekommen, um zu helfen. Sie wollte ihr Wissen und ihre Ausbildung, ja sich selbst in den Dienst der Menschen stellen und für ein kleines Stück mehr Zivilisation abseits der großen Städte in der Nähe des großen und undurchdringlichen Waldes sorgen.

»So traurig am frühen Abend«, rissen sie die sanften Worte von Pater Innocento aus ihren Gedanken. Sie schaute auf. Pater Innocento lächelte ihr in seinem braunen Franziskanerhabit freundlich zu. Seit über dreißig Jahren versah der Gottesdiener hier am Amazonas seinen Dienst an Gott und an den Menschen. Mit Spendengeldern hatte er die Mission Santa Anna vor der Stadt errichtet, in der er sich vor allem um arme, behinderte Menschen kümmerte, die zuvor kaum Überlebenschancen in dieser wilden und zuweilen menschenfeindlichen Welt hatten. Noch heute fanden Kinder, die mit Behinderungen zur Welt kamen, oft einen schnellen und heimlichen Tod. Die schlohweißen Haare des Paters schimmerten rot in der untergehenden Sonne. Er nahm seine Brille ab und fuhr sich mit der Hand über die verschwitzte Stirn.

»Ach Pater«, seufzte Lila. »Manchmal wünschte ich, das Jahr wäre bald vorüber und ich könnte wieder zurück in den Süden.«

Eine Träne kullerte über ihre Wangen. Der Geistliche trat näher, beugte sich zu ihr herab und drückte sie fest an sich. »Ich sehe es nicht gerne, wenn eine junge Frau wie du traurig ist und weint. Gottes Prüfungen sind nicht leicht zu erdulden, aber es steckt oft ein tieferer Sinn dahinter. Und es macht uns stark. Wir brauchen diese Stärke. Hier in dieser Welt erst recht.«

Lila umarmte den Pater und ließ ihren Tränen freien Lauf.

»Weine nur, wenn es dir hilft. Weine und befreie dich von dem Leid, das du in dir trägst.«

Lila schluchzte noch eine Weile, dann stand sie auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Schließlich schob sie mit dem Fuß einen zweiten Stuhl an den Tisch und bot dem Pater Platz an.

»Einen Kaffee?«, fragte sie, und ihre Stimme klang noch immer brüchig.

»Gerne, wenn er stark genug ist.«

Sie wusste, dass Pater Innocento die dunkle, fast schwarze Röstung bevorzugte.

»Er ist voller Aroma.«

»Dann gerne, mein Kind.«

Lila erhob sich und verschwand in der Wohnung, um kurz darauf mit einer dampfenden Tasse wieder aufzutauchen.

»Ich hörte, heute starb eine Frau, die im Dschungel gefunden wurde?«, begann Pater Innocento die Unterhaltung.

»Alonso dachte, sie wäre von einer Schlange gebissen worden«, berichtete Lila. »Aber die Symptome lassen einen anderen Schluss zu. Es gab Streit, weil er sie nicht auf die Isolierstation bringen ließ. Das ist nun mal Vorschrift, wenn der Verdacht auf eine unbekannte bakterielle Erkrankung hindeutet. Aber selbst Williamson hält sich nicht an die Regeln. Dabei wandeln wir jeden Tag an einem Abgrund.«

Der Pater nickte. »Du nimmst deinen Beruf sehr ernst, und ich weiß, dass du hier einen schweren Stand hast. Williamson war auch einmal ein ausgezeichneter Arzt. Er kam in den Dschungel und war voller Illusionen. Doch irgendwann hat ihn dieser Geist verlassen, und nun trauert er einem verlorenen Leben nach, das ihm niemand mehr zurückgeben kann.«

»Williamson ist ein Säufer«, konterte Lila. »Er gehört längst abgelöst. Er zittert, wenn er nichts getrunken hat. Er kann noch nicht einmal ein Bein schienen, wenn er sein Quantum nicht zu sich genommen hat. Und Alonso streicht ihm um die Beine wie eine läufige Hündin.«

»Aber dennoch hat dich Gott für diese Aufgabe ausgewählt, und seine Wahl war ausgezeichnet«, versuchte Pater Innocento Lila zu beruhigen. »Ich denke, er hat noch viel mit dir vor. Dein Vorgänger war längst nicht so stark wie du. Er hat sich schnell angepasst und ist in Williamsons Fahrwasser geschwommen. Ich verstehe dich, wenn du verzweifelst, aber ich bin überzeugt, dass das nur eine kurz Phase ist. Die Menschen hier erkennen, wer es ehrlich mit ihnen meint. Und sie sind dankbar, wenn man ihnen hilft. Das ist tausend Mal mehr wert als sich im Selbstmitleid zu verlieren.«

Lila trank ihre Tasse leer.

»Der Kaffee ist gut«, lobte Pater Innocento das starke Gebräu.

»Und was führt den einzigen Menschenfreund in dieser tristen Gegend in die Stadt?«, fragte Lila.

»Medikamente«, antwortete der Pater. »Einige meiner Schäfchen haben sich einen üblen Durchfall eingefangen, weil sie wieder einmal nicht auf ihren Hirten hörten.«

»Das Wasser?«

»Richtig«, entgegnete der Pater. »Ich sehe, du kennst die Menschen hier bereits ein wenig.«

Lila lächelte. »Weniger die Menschen, aber ganz gut das Wasser aus unseren Brunnen. Vor allem, wenn man es nicht vorher abkocht.«

Mutiert

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