Читать книгу Mutiert - Ulrich Hefner - Страница 12

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Liberty City in Miami, Florida

Gene saß in seinem Büro und spielte mit einem Bleistift. Nelly Furtado schmetterte ihren Hit »Promiscuos« auf Radio Love 94, und das Thermometer in seinem Zimmer war auf 29 Grad gestiegen.

Sein kurzer Ausflug ins Polizeirevier hatte einige interessante Aspekte zu Tage gefördert. Peter Harrison war ein unbeschriebenes Blatt. Ein braver Student der Medienwissenschaften an der Universität von Miami in Coral Gables, der sich in den Semesterferien mit Gelegenheitsjobs ein paar Dollar verdiente. Der Polizei war er vollkommen unbekannt, noch nicht einmal ein paar Verwarnungen wegen Falschparkens hatte er auf dem Kerbholz. Ganz im Gegensatz zu seinem Freund Jean Tarston, der ebenfalls verschwunden war. Peter war fünf Jahre jünger als Jean und hing an ihm, als wäre er sein Bruder. Kennengelernt hatten sie sich über das Basketballteam der Universität, doch Jean Tarston hatte das Studium geschmissen, die Mannschaft verlassen und sich mit allerlei Jobs über Wasser gehalten. Mehrfach war er in den letzten Jahren mit dem Gesetz aneinandergeraten. Schlägereien und Körperverletzungen verzeichnete seine Akte. Vor zwei Jahren verbüßte er eine sechsmonatige Haftstrafe im Big Pine Key Road Prison im Dade County. Er war mit ein paar Gramm Kokain bei einer Fahrzeugkontrolle erwischt worden. Doch da er zuvor noch nie mit Rauschgift in Erscheinung getreten war, hatte der Richter noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und das Strafmaß gemindert. Dieser Jean schien ein ganz schönes Früchtchen zu sein.

Sharon hatte ihm erzählt, dass sie gegen die Freundschaft zwischen Peter und Jean gewesen war. Sie hatte Peter die Pistole auf die Brust gesetzt und gedroht, ihn zu verlassen, sollte er sich noch weiterhin mit Jean abgeben. Und tatsächlich hatte sich Peter in den letzten Monaten mehr und mehr zurückgezogen. Doch an dem Tag, als Peter verschwand, hatte Jean ihn abgeholt. Es hatte einen furchtbaren Streit zwischen ihr und Peter gegeben.

»Er braucht meine Hilfe bei einem Job«, hatte Peter geantwortet. »Ich bin in zwei Tagen wieder zurück.«

Aus diesen zwei Tagen waren nun beinahe drei Wochen geworden. Und Peter hatte seiner Verlobten nicht verraten, um was es bei dem Job ging, sondern nur versichert, dass es nichts Illegales sei. Aber konnte man sich auf diese Aussage verlassen?

Gene hatte gehofft, dass es einfacher sein würde, eine Spur von Peter Harrison zu finden. Doch überall, wo er bislang nach ihm gefragt hatte, zuckten die Angesprochenen nur mit der Schulter. In der Bar in Gladeview, in der Peter verkehrte, in dem Büro der Arbeitsvermittlung an der Ecke, wo sich Peter beinahe täglich nach Arbeit umsah, auf dem Campus und bei Freunden aus der Uni oder der Basketballmannschaft und auch bei der Polizei, nirgends konnte irgendjemand Gene bei der Suche nach Peter helfen. Es war tatsächlich so, als hätte ihn der Erdboden einfach verschlungen.

Nelly Furtados Song endete, und der Wetterbericht auf dem Sender warnte vor einem Gewitter, das sich bei Einbruch der Nacht über der Stadt zusammenbrauen würde. Er warf den Bleistift auf den Schreibtisch und griff zur Wasserflasche. Wenn er Peter finden wollte, dann musste er sich intensiv um seinen Freund Jean Tarston kümmern. Der wohnte in der Kellerwohnung eines schäbigen Mehrfamilienhauses am Hialeah Drive. Gene langte nach seinem Wagenschlüssel.

Die heiße Nachmittagssonne hielt die Stadt fest im Griff. Nur wenige Wagen waren auf den Straßen unterwegs. Er stieg in seinen dunkelgrünen Buick Le Sabre und drehte den Regler für die Klimaanlage auf achtzehn Grad. Dann fuhr er über die 17. Straße hinunter nach Brownsville und parkte an der Ecke zum Hialeah Drive gegenüber einem kleinen Laden. Vielleicht würde man ihm hier weiterhelfen können.

Cuiabá, Bundesstaat Mato Grosso

Die Polizei hatte das Armenviertel im Nordosten der Stadt entlang der Staatsstraße 351 abgeriegelt. Straßenzug um Straßenzug durchsuchte sie das Gebiet nach einem schwarzen Kleinlaster. Carlos Zagallo stand lässig an einen Polizeiwagen gelehnt und rauchte ein Zigarillo, während Leutnant Luiz Falcáo in der Nähe einen alten Mann aus den Favelas verhörte, der die meiste Zeit den Kopf schüttelte. Schließlich gab der junge Leutnant entnervt auf und schickte den alten Mann mit einer wütenden Geste zurück in die unübersichtliche Ansammlung von Hütten und einfachen Häusern aus Bruchsteinen.

Falcáo kam auf Zagallo zu.

»Ich weiß nicht, was das bringen soll«, sagte er genervt. »Die halten zusammen, da macht keiner den Mund auf. Selbst wenn sie etwas über die Sache wüssten, würden sie sich eher den Arm abhacken, bevor sie mit uns reden.«

Zagallo schnippte sein Zigarillo in hohem Bogen auf die staubige Straße. »Warte ab«, gab er nur zurück.

Zwei Polizisten brachten gerade einen gefesselten Gefangenen zum vergitterten Polizeibus, der nicht weit von ihnen stand und in den von Zeit zu Zeit Festgenommene verfrachtet wurden.

»Waffen, ein paar Gramm Rauschgift und ein paar Gesuchte, mehr wird uns die Razzia nicht bringen, Carlos. Der Einsatz kostet nur Zeit.«

»Was sollen wir sonst tun? Wir haben überhaupt keine Anhaltspunkte für gezielte Aktionen.«

»Hier lebt doch nur Abschaum.«

»Hier leben Menschen, Luiz«, widersprach Capitão Carlos Zagallo. »Menschen, die nicht so viel Glück hatten wie du oder ich. Sie schlagen sich durchs Leben, wie sie es seit eh und je gewohnt sind. Sie machen ihre kleinen Geschäfte, schmutzige Geschäfte, da magst du Recht haben, aber dazu brauchen sie Ruhe. Und genau diese Ruhe werden wir ihnen nehmen. Wir werden morgen wieder hier auftauchen. Und übermorgen ebenfalls, wenn es sein muss, dann jeden Tag in jeder verdammten Woche, die noch vor uns liegt. Und wir werden ihre kleinen Geschäfte stören. Wir werden die Banden daran hindern, ihre Schutzgelder zu kassieren, und wir werden die Nutten davon abhalten, auf die Straße zu gehen. Wir werden die miesen Händler daran hindern, ihre gestohlenen Waren an den Mann zu bringen, und wir werden jedem Einzelnen hier Tag um Tag auf die Füße treten, bis wir erfahren haben, was wir wissen wollen.«

»Du willst sie zermürben?«

»Ich will diesen irren Mörder fangen, der mir seine Leichen vor der Nase ablegt und über mich, über dich und über die ganze Polizei von Mato Grosso lacht.«

Falcáo griff in seine Jackentasche und holte eine Packung Kaugummi hervor. Er reichte es Zagallo, doch dieser schüttelte den Kopf.

»Und was willst du tun, wenn die Leute hier überhaupt nichts wissen«, fragte Falcáo schmatzend. »Willst du bis zum Ende des Jahres hierher kommen? Das wird dem Coronel bestimmt nicht gefallen.«

»Die Leute hier wissen besser als du und ich und die ganze Polizei von Mato Grosso zusammen, was in unserer Stadt läuft.«

Ein uniformierter Polizeioffizier näherte sich, blieb vor Zagallo stehen und salutierte. »Wir haben das Viertel durchsucht«, sagte er. »Sechzehn Festnahmen, vier Schrotflinten und eine Pistole haben wir beschlagnahmt. Außerdem haben wir ein halbes Kilo Cocablätter gefunden. Aber niemand weiß etwas von einem schwarzen Lastwagen.«

Zagallo zündete sich ein neues Zigarillo an und nickte. »Morgen kommen wir wieder.«

Nachdem Zagallo auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens Platz genommen hatte, setzte sich Leutnant Falcáo hinter das Steuer.

»Und jetzt?«

Zagallo schnippte die Asche aus dem offenen Fenster.

»Jetzt fahren wir zurück in die Stadt und machen Feierabend. Schließlich haben wir morgen noch viel vor.«

Falcáo schüttelte den Kopf. »Ich wette zwanzig Real, dass diese Razzien umsonst sind. Sagen wir, bis zum nächsten Wochenende?«

Zagallo streckte Falcáo die Hand entgegen. »Abgemacht! Bis nächsten Freitag wissen wir mehr. Du wirst schon sehen.«

São Sebastião do Uatumã, Amazonasgebiet

Schiefergraue Wolken türmten sich über dem Urwald auf, und der Wind nahm stetig an Kraft zu. Das Patrouillenboot schoss mit beinahe 35 Knoten durch die Fluten des Rio Uatumá. Der Cabo kümmerte sich um die Frau, die von Fieberkrämpfen geschüttelt wurde. Ihr Zustand wurde von Minute zu Minute bedenklicher, doch der Cabo tat, was er konnte. Er hatte ein fiebersenkendes Mittel verabreicht, dennoch schien ihr ganzer Körper zu glühen.

»Was glaubst du, werden wir es rechtzeitig schaffen?«, fragte der Kommandant.

»Ich hoffe es.«

»Woher stammt sie wohl?«

»Sie ist eine Prostituierte, ich glaube, dass sie nicht aus dieser Gegend stammt. Wahrscheinlich aus irgendeiner Stadt entlang der Küste. Sie war hier wohl irgendwo in einem Camp.«

»Wieso kommst du darauf, dass sie eine Hure ist?«

Der Cabo schaute auf. »Was sollte sie denn sonst so weit entfernt von der nächsten Siedlung mitten im Nirgendwo. Ich glaube, dass die Männer im Boot Holzfäller waren, und wer weiß, ob sie nicht umgebracht worden sind. Wir hätten sie mitnehmen sollen.«

»Das hätte uns nur aufgehalten. Ich musste eine Entscheidung treffen und ich habe mich dafür entschieden, die Frau zu retten. Falls uns das überhaupt gelingt. Um die toten Männer im Boot können wir uns immer noch kümmern.«

Der Cabo nickte. »Sie ist schön und jung. Ich hoffe, dass sie überlebt.«

»Wie weit ist es noch?«, wandte sich der Kommandant an den Steuermann, der das Ortungssystem im Auge behielt. Hier am Rio Uatumá sahen sich die Ufer über viele Kilometer lang ähnlich, und man wusste nie, wo genau man sich befand, wenn man nicht mit moderner Technik ausgestattet war. Und selbst das Funkgerät an Bord des Patrouillenbootes war ebenso unzuverlässig wie das Wetter in diesen Breitengraden. Seit mehreren Minuten versuchte der Funker die Station in São Sebastião zu erreichen. Doch nur ein lautes Knistern drang aus dem Kopfhörer.

»In zwanzig Minuten sind wir in São Sebastião«, gab der Soldat am Ruder zurück. Der Kommandant warf einen nachdenklichen Blick auf die Frau. Der Cabo hatte ihr ein schmerzstillendes Mittel verabreicht, dennoch bäumte sich ihr Körper unter Schmerzen auf.

»Es ist ein Schlangenbiss, vielleicht eine Jararaca.«

»Sie braucht dringend ein Gegengift.«

»Ich hoffe nur, dass in der Krankenstation in São Sebastião ein Antivenin zur Verfügung steht, aber in dieser Gegend werden jährlich über tausend Menschen von Schlangen gebissen, deswegen bin ich überzeugt, dass man der Frau dort helfen kann.«

»Ich habe Kontakt«, schrie der Funker durch das Dröhnen der Motoren.

»Wir treffen in zwanzig Minuten am Anleger ein«, rief der Kommandant. »Sagen Sie, wir haben eine verletzte Frau an Bord, die vermutlich von einer Schlange gebissen wurde. Sie sollen einen Wagen schicken. Es muss schnell gehen, wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Der Soldat am Funkgerät bestätigte die Anweisung mit einer Handbewegung.

Der Cabo wischte der Kranken mit einem kühlen Lappen über die Stirn. Seit ein paar Minuten lag sie nur noch still und bewegungslos auf der Trage. Offenbar wirkten die Medikamente. Er richtete sich auf, blickte zuerst auf seine Armbanduhr und dann in Richtung Bug. São Sebastião tauchte am Horizont auf. Es lag unter dunkelblauen Wolken.

Der Kommandant ging zum Steuermann und nahm das Fernglas, das neben dem Steuerrad an einem Haken hing. »Sie warten schon!«

Tatsächlich stand am Anleger ein blauer Kleinbus, davor zwei Männer in weißem Kittel.

Der Steuermann drosselte die Motoren und lenkte das Boot zum Ufer. Ein Soldat warf den wartenden Sanitätern die Leine zu, und nachdem das Boot am Anleger festgemacht hatte, wurde die Frau sofort an Land gebracht.

»Ich fahre mit ihr in die Krankenstation«, sagte der Cabo, nachdem die Soldaten die Trage im Bus befestigt hatten.

Der Kommandant nickte. »Wir warten hier auf dich.«

Noch bevor der Kleinbus das Hafengelände verließ, begann es heftig zu regnen.

Mutiert

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