Читать книгу Mutiert - Ulrich Hefner - Страница 17
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Brownsville in Miami, Florida
Gene war nicht zurück nach Liberty gefahren, er hatte sich in der Gegend noch etwas umgeschaut, doch hier gab es nicht viel, außer einfachen und schäbigen Wohnhäusern. An einer Ecke, drei Straßen weiter, hatte er sich in eine Bar gesetzt. Nur wenige Gäste waren anwesend. Gene hatte einen Whiskey Soda bestellt und verfolgte die Gespräche der beiden Männer an der Bar, die sich über Gott und die Welt unterhielten. Als es draußen dämmerte, kamen weitere Gäste hinzu. Gene versuchte vorsichtig, Kontakt zu knüpfen, und fragte ein paar Mal nach dem rothaarigen Tarston, doch niemand schien ihn hier zu kennen.
Nachdem er die Bar verlassen hatte, telefonierte er mit Ryan und erkundigte sich nach Tarstons Bruder. Ryan versprach, sich darum zu kümmern.
Erst als die ersten Straßenlaternen leuchteten, machte sich Gene auf den Weg zurück zu Tarstons Wohnung. Auch jetzt stand kein Wagen, auf den Jakes Beschreibung gepasst hätte, vor dem Haus. Gene wartete eine Weile, bevor er sich entschloss, hineinzugehen. Die Haustür war nur angelehnt, wie er es vermutet hatte. Niemand begegnete ihm, als er sich in den Keller schlich. Vor Tarstons Tür kramte er sein Taschenmesser aus der Hosentasche. Aus der Nachbarwohnung dudelte laute Musik. Das Schloss stellte kein großes Hindernis dar, zumal Tarstons Tür nur eingerastet und nicht verschlossen war. Nach einem kurzen Knacken sprang sie auf. Ein übler Geruch drang aus der kleinen Kellerwohnung. Gene rümpfte die Nase. Er schloss die Tür und suchte nach dem Lichtschalter. Fenster, das hatte er bereits in Jakes Wohnung festgestellt, gab es hier nicht. Lediglich zwei Lichtschächte waren dort vorhanden gewesen und so würde es wohl auch in Tarstons Wohnung sein. Als das Licht einer einzelnen Glühbirne die Wohnung matt erleuchtete, sah Gene das Chaos. Überall lagen verstreute Kleidungsstücke herum. Auf dem kleinen Tisch neben der unaufgeräumten Schlafcouch stapelten sich Teller mit verschimmelten Essensresten. Eine halbe Pizza war zu neuem Leben erwacht, Käfer und Schaben labten sich daran. Auch die schmuddelige Küchenzeile war überfüllt mit schmutzigem Geschirr und benutzten Gläsern. Auf einer Obstkiste in einer Ecke des Zimmers standen ein Fernseher und darunter eine billige Stereoanlage. Einen Schrank gab es nicht. Tarston hatte an der gegenüberliegenden Wand einfach ein Seil gespannt und daran seine Kleidung aufgehängt. T-Shirts, Wäsche und Strümpfe stapelte er darunter auf dem Boden. Gene blickte sich um; wenn das alles war, das Tarston besaß, dann war er genauso weit entfernt vom Reichtum wie die Erde vom Ende der Galaxien.
Als er einen ersten vorsichtigen Schritt in das Chaos machte, huschte das Ungeziefer davon. Er suchte nach Papieren, nach Briefen, nach irgendetwas, das auf den Verbleib von Tarston und Peter schließen ließ. Alles, was er fand, waren ein paar unbezahlte Rechnungen und Mahnungen der Gasgesellschaft. Mit dem geübten Auge des Ermittlers hielt er in der Wohnung nach Verstecken Ausschau. Doch selbst im dreckigen Badezimmer, das vom Schmutz einiger Jahre bedeckt schien, fand er nichts. Nur eines wusste Gene, als er das Licht ausknipste und die Eingangstür öffnete: Vom Putzen schien Tarston nicht viel zu halten. Da stutzte er und lauschte, denn die Musik aus Jakes Nachbarwohnung war verstummt.
»Wohl nicht gefunden, was Sie gesucht haben, Officer«, dröhnte plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit. Gene erschrak.
Jake löste sich von der dunklen Wand und trat in den Halbschatten. »Ich wusste, dass du noch einmal wiederkommst, Bulle. Ich habe es Ihnen angesehen, als Sie bei mir waren.«
Gene fasste sich. »Gibt es Neuigkeiten?«
»Sollte es?«
»Warum wartest du sonst auf mich?«
Jake schaute sich verstohlen um. »Sie sind nicht der Einzige, der nach ihm sucht«, flüsterte er. »Vor einer Woche war so ein Fatzke hier. Er trug einen teuren Anzug und stank wie ein Wiesel. Ein ganz übler Bursche, Mann. Ich glaube, Tarston hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. Wahrscheinlich ist er längst schon Futter für die Alligatoren in den Everglades.«
»Hat er seinen Namen genannt?«
Jake schüttelte den Kopf. »Er hat sich nicht vorgestellt. Ist dann einfach gegangen, Mann. Raus auf die Straße und rüber zum Laden. Ich bin ihm heimlich gefolgt und habe gewartet. Als er wieder rauskam, ist er in einen Chevrolet gestiegen, den er in der 14th Street abgestellt hatte. War ein schwarzer Blazer mit einem Kennzeichen aus Florida. Wollte wohl, dass keiner den Wagen sieht, mit dem er gekommen war.«
»War er alleine?«
»Ja, Mann, nur er und seine Kanone, die unter der Jacke steckte. Ein großes Ding, das mächtig große Löcher macht.«
»Das Kennzeichen, hast du dir das Kennzeichen gemerkt?«
»Ich bin leider etwas vergesslich.«
Gene kramte in seiner Tasche und holte eine Zwanzig-Dollar-Note hervor. Er fluchte. Dieser Tag hatte ihn bereits fünfzig Dollar an Spesen gekostet, und er hatte noch immer nichts Greifbares in der Hand.
Jake musterte den Geldschein im Dämmerlicht. »Na gut, Mann«, murmelte er. »Besser als nichts. Das Kennzeichen lautete PQZ 36L und war aus Miami.«
»Danke, Bruder«, antwortete Gene. Offenbar hatte sich der nächtliche Besuch in Tarstons Wohnung doch noch gelohnt.
São Sebastião do Uatumã, Amazonasgebiet
Noch bevor das Patrouillenboot fertig zum Auslaufen war, erreichte die kleine belgische Expeditionsgruppe mit ihren Langbooten den Anleger von São Sebastião. Während die Ribeirinhos wortkarg blieben, als sie neben dem Boot der Militärpolizei festmachten, fuchtelte einer der belgischen Expeditionsteilnehmer wild mit den Armen und rief den Militärpolizisten aufgeregt in gebrochenem Portugiesisch zu, dass sie warten sollten.
»Was will der Mann?«, fragte der Kommandant seinen Cabo, der aus dem Krankenhaus wieder zurückgekehrt war.
»Ich glaube, der will uns etwas sagen.«
Das Langboot hatte kaum festgemacht, da sprangen die drei Europäer schon auf den Anleger und liefen auf das Patrouillenboot zu. Der Kommandant kam ihnen zusammen mit dem Cabo entgegen.
Die Ribeirinhos blieben regungslos in ihren Booten sitzen. Sie trauten den fremden Soldaten nicht, die meist aus dem Süden des Landes kamen und hier für ein Jahr ihren Dienst versahen, ehe sie in die großen Städte an der Küste und in den Süden zurückkehrten.
Die Europäer redeten wild durcheinander, so dass der Kommandant beschwichtigend die Hände hob. Sie sprachen Englisch, was er selbst nicht verstand. Fragend blickte er seinen Cabo an.
»Sie sagen, sie haben flussaufwärts mehrere Leichen im Fluss treiben sehen«, übersetzte der Cabo. »Es soll unterhalb von Brás eine Siedlung am Fluss geben.«
Der Kommandant nickte und rief barsch einen der Ribeirinhos zu sich, der im Boot saß, als ginge ihn die Unterhaltung überhaupt nichts an.
»Wo genau waren die Leichen?«, fragte der Kommandant den Mann, dem Äußeren nach ein Cafuzo, ein Nachkomme eines Eingeborenen und eines Afrikaners, wie es hier viele an den Flussläufen im Amazonasgebiet gab. Der Angesprochene hielt respektvoll Abstand und beschrieb die Stelle, an der die kleine Expedition auf die Siedlung am Rio Jatapu gestoßen war.
»Gab es Anzeichen eines Kampfes?«, fragte der Cabo die belgischen Forscher in beinahe akzentfreiem Englisch.
»Davon haben wir nichts bemerkt«, antwortete der offensichtlich älteste von ihnen. »Sie trieben einfach nur im Wasser. Wir sind weitergefahren. Unsere Begleiter meinten, dass es sich um das illegale Camp einiger Holzfäller handelt und es nicht gut sei, wenn man uns dort antreffen würde. Er sprach von regelrechten Bandenkriegen.«
Der Cabo nickte. »Das ist nicht falsch, was Ihnen Ihre Begleiter gesagt haben. Der Urwald birgt hier viele Gefahren.«
»Wir werden den Vorfall untersuchen!«, versicherte der Kommandant und gab dem Cabo ein Zeichen. Gemeinsam gingen sie wieder an Bord des Patrouillenbootes.
»Vielleicht stammt die Frau ebenfalls aus dem Camp«, überlegte der Kommandant.
»Das ist sehr wahrscheinlich, wenn an Bord des Bootes zwei Männer waren«, entgegnete der Cabo. »Wir sollten vorsichtig sein.«
»Wir können keine Verstärkung holen«, murmelte der Kommandant. »Die Telefone hier im Ort funktionieren wegen des Sturmes nicht und unsere Funkverbindung reicht nicht bis zum Stützpunkt.«
»Dann sollten wir besonders aufpassen.«
»Glaubst du, es gab eine Auseinandersetzung unter Holzräubern?«
Der Cabo schüttelte den Kopf. »Nein, die Männer hatten keine sichtbare Verwundung. Ich glaube, dass da draußen ein ganz anderer Feind auf uns lauert.«
»Ein Feind?«
»Nicht immer trägt der Feind eine Waffe in der Hand. Die Ärztin in der Station meinte, dass für den Zustand der Frau nicht unbedingt ein Schlangenbiss verantwortlich sein muss.«
»Was sonst?«
»Bactéria«, antwortete der Cabo.
Zwei Minuten später schoss das Patrouillenboot, getrieben von den beiden 260 PS starken Detroit-Dieselmotoren und dem Jacuzi-Water-Jet-Antrieb mit beinahe 35 Knoten flussaufwärts davon. Die Belgier blieben auf der schwankenden Anlegerplattform zurück und schauten dem olivgrün lackierten Boot hinterher.
Cuiabá, Bundesstaat Mato Grosso
»Wir haben ihn in der Rua Veneza erwischt«, berichtete Tenente Luiz Falcáo und schubste den alten Mann mit der zerlumpten Kleidung auf einen Holzstuhl im spartanisch eingerichteten Vernehmungszimmer.
Porceá hieß der Alte, war bereits knapp über sechzig und hauste in den Favelas im Nordosten der Stadt.
»Und stell dir vor, er saß hinter dem Steuer eines schwarzen VW Caddy, Baujahr 1983, und schaute den schönen Mädchen auf dem Grundstück nebenan beim Baden zu.«
»Porceá ist dein Name?«, fragte Capitão Carlos Zagallo den Alten mit sanfter Stimme.
Der Alte nickte. »Ja, das ist mein Name, aber ich habe niemandem etwas getan.«
»Was hast du dann in der Rua Veneza gemacht, bestimmt kein neues Haus ausgesucht. Du hast nach jungem Gemüse Ausschau gehalten.«
Falcáo spie dem Alten die Worte ins Gesicht.
Zagallo fasste seinen Kollegen an die Schulter und zog ihn zurück.
»Lass gut sein«, sagte er. »Ich rede mit ihm.«
Falcáo wies auf den kleinen Tisch neben dem Eingang, wo ein uniformierter Polizist stand und argwöhnisch den Alten beobachtete. »Das dort drüben hatte er bei sich.«
Zagallo trat an den Tisch heran. »Ein Messer, eine Schnur und eine Taschenlampe. »Das sieht nicht gut aus für dich, Porceá.«
Der Alte wollte aufspringen, doch Falcáo drückte ihn auf den Stuhl zurück. »Das gehört nicht mir«, schrie er. »Das habt ihr mir untergeschoben.«
»Es lag im Fußraum des Wagens«, erklärte Falcáo.
»Der Wagen gehört mir nicht, er gehört Ribeiro. Ich habe ihn mir nur geliehen.«
»Was wolltest du in der Straße?«, rief Zagallo barsch.
Der Alte blickte auf den Boden.
»Wie du willst«, sagte Zagallo. »In die Zelle mit ihm.«
Der uniformierte Polizist trat näher und packte Porceá am Arm. »Ich wollte warten, bis die reichen Leute den Müll herausbringen«, brach es plötzlich aus Porceá heraus. »Ich habe eine Frau und neun Kinder, und es war ein schlechter Monat für mich. Es gab keine Arbeit, nicht einmal auf den Feldern vor der Stadt. Sie wollen keine alten Männer. Ich wollte doch nur warten, bis die Leute in der Straße den Müll herausstellen.«
Der Alte wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Wer ist Ribeiro?«
»Ein Freund«, schluchzte der Alte.
»Wohnt er ebenfalls im Nordosten?«
Porceá nickte. »Er wohnt neben mir, und er hat mir seinen Wagen geliehen. Er ist ein guter Freund.«
»Was treibt er den ganzen Tag?«
»Er arbeitet auf den Blumenfeldern.«
Zagallo rieb sich nachdenklich das Kinn. »Lasst den Wagen untersuchen. Wenn es sich tatsächlich um den gleichen Wagen wie im Norden handelt, dann werden wir es bald wissen. Und diesen
Ribeiro schauen wir uns genauer an. Morgen. Solange wird er unser Gast sein.«
»Ich will zurück zu meiner Familie. Meine Frau und meine Kinder brauchen mich.«
»Wenn deine Angaben stimmen, dann kannst du gehen«, antwortete Zagallo. »Morgen, und solange bleibst du hier.«
Der Alte sank auf dem Stuhl zusammen.
»Behandelt ihn gut und gebt ihm etwas zu essen!«, befahl Zagallo dem Polizisten, bevor er mit dem Tenente das Vernehmungszimmer verlies.
»Glaubst du ihm?«
Zagallo zuckte mit der Schulter. »Lass feststellen, wann in dem Viertel der Müll abgeholt wird. Morgen wissen wir mehr.«