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3.Musikpädagogik – vorläufige und alltägliche Sichtweisen

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Musikpädagogen benötigen für ihr Wirken ein starkes Ethos: die Überzeugung, dass die Beschäftigung mit Musik Menschen guttut, sie in ihrer persönlichen Entwicklung fördert, ihnen Erfahrungen von Glück ermöglicht, ihren sozialen und kulturellen Horizont erweitert. In diesem Sinne ist der Begriff Musikpädagogik mit vielen positiven Vorstellungen und Werten besetzt. Im Unterschied dazu verbinden sich bei Menschen außerhalb des Fachgebiets mit den Begriffen Musikpädagogik und Musikpädagoge nicht nur vorteilhafte, sondern oft auch pejorative Vorstellungen. Klischees, Vorurteile, Statusfragen, aber auch fragwürdige Idealisierungen fließen ein.

In diesem Kapitel finden sich einige vorläufige Überlegungen zum Wort »Musikpädagogik«. »Vorläufig« meint zum einen: fachwissenschaftlichen Bestimmungen »vorlaufende« persönliche Gedanken, zum anderen: in diversen alltäglichen Lebenszusammenhängen zutage tretende Erfahrungen, Empfindungen, Konnotationen, Schwierigkeiten, Ungereimtheiten oder unterschwellig wahrnehmbare Vorstellungen, die mit dem Wort »Musikpädagogik« einhergehen. Im Blickfeld stehen also weder das Hochschulfach Musikpädagogik / Allgemeine Instrumental- und Vokaldidaktik mit seinen verschiedenen Bezeichnungsweisen noch wissenschaftliche Definitionen und Auffassungen des Fachgebiets Musikpädagogik. Es geht um eine Annäherung an den Begriff über sein Alltagsverständnis.

Vorläufige und alltägliche Ansichten über eine Disziplin bilden sich abseits von wissenschaftlichen Diskursen. An ihnen unbeteiligte Personen »hören« und benutzen Fachbegriffe anders als Fachleute. Die Wirkungskraft nicht-fachlicher Auffassungen ist nicht zu unterschätzen. Sie sind weiter verbreitet als diejenigen in Fachdiskursen. Sie wirken im Hintergrund als Vorverständnis des Fachgebiets. In ihnen sedimentieren sich kulturell gewachsene Vorstellungen von Inhalten, Tätigkeiten und nicht zuletzt von Menschen, die sie ausüben. Wenn sie auch das Terrain nicht intentional definieren, so formieren sie doch einen Horizont und fungieren damit im ursprünglichen Sinne dieses Wortes als ein »Begrenzer«, der Bedeutungen hervortreten lässt. Alltagsauffassungen eines Fachgebiets haben Einfluss auf dessen Stellung und Stellenwert in der Gesellschaft sowie auf das Selbstgefühl derer, die in ihm tätig sind. Wer Musikunterricht gibt, ist mit dem Alltagsverständnis von »Musikpädagogik« und seinen Trabantenbegriffen konfrontiert, wird angesehen und wahrgenommen durch eine Brille, die von gängigen Umgangsweisen mit diesen Begriffen gefärbt ist. Ohne deren Berücksichtigung bleibt der Blick auf das eigene Handeln begrenzt und egozentrisch, wenn nicht gar narzisstisch verengt.

Welche unmittelbaren Verstehensangebote machen die Komponenten des Worts »Musikpädagogik«? »Musik« und »Pädagogik« – zwei inhaltlich weite Begriffe gehen eine Verbindung ein und potenzieren ihr enormes Bedeutungsspektrum. Allein die Fragen, ob es »die« Musik und ob es »die« Pädagogik gibt, bieten Anlass zu weitreichenden Diskussionen. Die geschichtlichen und interkulturellen Erscheinungsformen dessen, was wir leichthin unter »Musik« subsumieren, sind so unübersehbar vielfältig, dass sie sich schwerlich auf einen Nenner bringen lassen. Auch »Pädagogik« ist ein Begriff, der durch die Vielfalt des ihm Zuschreibbaren zu zerfließen droht. Mit der Kombination der beiden Begriffe nehmen die Verständnisschwierigkeiten und -möglichkeiten zu. Was bedeutet das aus »Musik« und »Pädagogik« zusammengesetzte Kompositum? Was alles könnte es bedeuten? Von sich aus bringt der Begriff Musikpädagogik wenig Klarheit mit sich. Viele weitere Fragen stellen sich:

•Seit wann gibt es den Begriff?

•Wie kam es zu der Wortkombination?

•Welche Intention liegt ihr zugrunde?

•Wie hat sich das Bedeutungsspektrum von »Musikpädagogik« geschichtlich entwickelt?

•Was alles gilt als »Musikpädagogik«?

•Welche Tätigkeiten werden als »musikpädagogisch« bezeichnet?

•Wie lässt sich der Begriff im Verhältnis zu diversen Nachbarbegriffen bestimmen, etwa zu Musikerziehung, Musikdidaktik, Musikunterricht, Musikvermittlung?

•Und natürlich auch: Wie wurde und wird der Begriff in wissenschaftlicher Literatur definiert?

Versuchen wir behutsam eine vorläufige Annäherung. Leicht lässt sich sagen, dass das Wort »Pädagogik« vom griechischen paidagogiké techné stammt und so etwas wie »Erziehungskunst« bedeutet (wobei freilich der Begriff »Kunst« nicht im Sinne neuzeitlicher Ästhetik, sondern im altgriechischen Horizont als Fähigkeit umsichtigen und planvollen Handelns zu verstehen ist). Damit lassen sich weitere Hinweise verbinden: In Paidagogía stecken die Wörter pais = Kind und ágein = führen. Dies veranlasst bei Versuchen der Begriffsbestimmung nicht selten zu der Behauptung, dass in der griechischen Antike zunächst diejenigen »Pädagogen« genannt wurden, die Kinder zum Unterricht führten. Das besorgten meist Sklaven. Diese Information wirkt verstörend: Sklaven als Pädagogen? Der Gedanke löste bei Studierenden verschiedentlich Überlegungen zur gesellschaftlichen Rolle von Pädagogen und besonders von Musikpädagogen in späteren Zeiten und bis heute aus. Die besagte Worterklärung ist allerdings irrig (Böhm 2004, S. 750) und entsprechende Spekulationen sind daher haltlos. Immerhin gilt: Pädagogik, ursprünglich auf das Unterrichten und Lernen von Kindern begrenzt, hat sich später vom Bezug auf das Kindesalter gelöst. Dies zeigt ein Begriff wie »Erwachsenenpädagogik«. Ebenso weitete sich das Bedeutungsspektrum von »Pädagogik« über das institutionalisierte schulische Lehren und Lernen auf das Lernen in allen möglichen Lebensbereichen aus. Musikpädagogik wäre demnach so etwas wie eine Sammelbezeichnung, ein Überbegriff für alle möglichen Spielarten des Lehrens und des Lernens (auch des nicht durch Lehren gelenkten Lernens) von und durch »Musik« und in der Praxis sämtlicher musikalischer Aktivitäten.

Ebenfalls klärend und Orientierung schaffend bei einer ersten Annäherung an die Begriffe »Pädagogik« und »Musikpädagogik« ist die dreifache Unterscheidung von Pädagogik als Erziehungskunst, Erziehungskunde und Erziehungswissenschaft (vgl. Hügli 1989, Sp. 3): Pädagogen brauchen für ihre als »Kunst« ausgeübte, nicht als Schablone, sondern als immer wieder der konkreten interaktiven Situation gerecht werdende Tätigkeit ein erfahrungsbasiertes Praxiswissen (»Kunde«) sowie eine wissenschaftliche Fundierung und Reflexion dieses Wissens. Diese Mehrgesichtigkeit von Pädagogik wird noch verschiedentlich zur Sprache kommen.

Nachfolgend nun geht es um den pragmatischen Gebrauch der Wörter »Musikpädagogik«, »Musikpädagoge«, »musikpädagogisch«. Ich bemühe mich, in die Verwendung hineinzuhören, zu erspüren, wie die Begriffe »klingen«, wenn Menschen außerhalb des Faches sie gebrauchen: musikalische Laien, Nicht-Musiker, nicht primär pädagogisch tätige Musiker, Eltern, Schüler, Studierende zu Beginn ihres musikpädagogischen Studiums, Politiker … Was verbinden sie mit »Musikpädagogik«, »Musikpädagoge«, »musikpädagogisch«? Welche Sichtweisen, Einstellungen, Wertungen, Urteile und Vorurteile schwingen mit? Die nachfolgenden sechs Punkte lassen hervortreten, was mit theoretischen Definitionsversuchen leicht ins Hintertreffen gerät: der semantische »Bodensatz«, der sich gesellschaftlich und musikkulturell im Wort »Musikpädagogik« sedimentiert hat. In den Ausführungen klingt manches an, was in späteren Kapiteln näher zur Sprache kommt.

Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf

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