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Verlegenheit

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Öfters brachte mich das Wort »Musikpädagogik« in Verlegenheit. Ich umging sie, wenn ich auf die Frage nach meinem Lehrgebiet die Antwort »Musikwissenschaft« gab. Besonders in der ersten Zeit meiner Lehrtätigkeit als Professor für Musikpädagogik nahm ich diese Zuflucht. Mein Selbstwertgefühl als Musikpädagoge war anfangs eher gering. Von Hause aus bin ich Musikwissenschaftler. Zunächst bot ich an der UdK Berlin neben musikpädagogischen Veranstaltungen, dem damals vorhandenen Bedarf entsprechend, auch musikwissenschaftliche Seminare an. Das Unterrichten in diesem Fach war mir vertrauter und befriedigte mich mehr als die ersten Gehversuche auf dem noch unsicheren musikpädagogischen Terrain. Ein renommierter Kollege der Musikwissenschaft, der mich zum Lehren auch in diesem Fach animierte, bemerkte einmal apodiktisch: »Musikpädagogik ist keine Wissenschaft.« Ähnlich sah auch ich als studierter Musikwissenschaftler mein neues Fach. Und wenn ich auf die Frage nach meinem Lehrgebiet statt »Musikpädagogik« »Musikwissenschaft« antwortete, spürte ich sofort bei meinem Gegenüber: Der Begriffsteil »-wissenschaft« erzeugt Respekt. Mitunter konnten sich an meinem Fach interessierte Nicht-Musiker auch unter »Musikwissenschaft« nichts Genaues vorstellen. Vielleicht setzt der Begriff bei manchen ein ähnliches Gedankenmuster in Bewegung wie bei jener Medizinerin, die mich vor meiner Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Musiktheorie an der Universität Hannover amtsärztlich untersuchte. Sie las auf dem auszufüllenden Bogen im Briefkopf »Fachbereich Erziehungswissenschaften« und äußerte daraufhin mit Kopfschütteln: »Nun hat man also auch schon die Erziehung zur Wissenschaft gemacht …« Gleichwohl, so scheint mir, ist der Begriff »Musikwissenschaft« im Allgemeinen höherwertig besetzt als »Musikpädagogik«. Daher bevorzugte ich ihn öfters bei der Angabe meines Fachs, wenn auch mit leichtem Unbehagen. Zwar hatte ich dabei nicht das Gefühl, zu lügen. Allenfalls betrieb ich ein wenig Etikettenschwindel. Eine Rechtfertigung meiner Antwort empfand ich dadurch, dass entsprechend meiner Ausbildung als Musikwissenschaftler musikwissenschaftliche Inhalte und Fragen in meiner Art, Musikpädagogik zu lehren, eine erhebliche Rolle spielten. Überdies sind ja manche Musikwissenschaftler der Ansicht, dass ihre Disziplin alle diskursiven Beschäftigungen mit Musik umfasst. Demnach beinhaltet Musikwissenschaft als Teilgebiet auch Musikpädagogik (vgl. z. B. Abschnitt »Musikpsychologie und Musikpädagogik« in Kleinen / de la Motte Haber 1982).

Ferner gab und gibt es Musikpädagogen, die die Beziehung von Didaktik und Wissenschaft eines Faches eher perspektivisch als prinzipiell sehen. So schrieb Lars Ulrich Abraham: »Didaktik ist nicht ein Gebiet außerhalb, vor oder gar neben der Wissenschaft, sondern eine in bestimmter Weise akzentuierte Form wissenschaftlicher Arbeit. Die Didaktik eines Faches und die jeweilige Fachwissenschaft als sachlich getrennte Bezirke zu betrachten, ist schon deshalb abwegig, weil auch der weltfremde Gelehrte didaktisch zu reflektieren genötigt ist, sobald er seine Forschungsergebnisse mitteilen will.« (Abraham in: Abraham / Dahlhaus 1972, S. 72) Wie auch immer: Die Antwort »Musikwissenschaft« auf die Frage nach meinem Fachgebiet entband mich der komplizierten und erfahrungsgemäß mit vielen Rückfragen verbundenen Erklärung von »Musikpädagogik«. Selbst die Bereitschaft zu einer geduldig versuchten Antwort hätte mich in Verlegenheit gebracht, da ich selbst bei der Frage, was Musikpädagogik eigentlich ist, immer wieder ins Grübeln gerate. Wie sollte ich es da in wenigen Worten dem »Mann auf der Straße« erklären können?

Übrigens scheint auch bei der Einordnung von Autoren in bibliografische Kataloge eine gewisse Scheu vor dem Wort »Musikpädagoge« zu bestehen. So werden im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek diverse Musikpädagogen, darunter auch ich selbst, als »Musikwissenschaftler« ausgewiesen (bei mir mit dem Zusatz »Professor für Musikpädagogik«). Als »Synonyme« für »Musikwissenschaftler« sind angegeben: »Musikhistoriker (Quasisynonym)«, »Musiktheoretiker«, »Musikgelehrter«, »Musikologe«. Der Musikpädagogik wird hier keine eigentliche Fachlichkeit zugebilligt.

Noch einmal zu der Antwort auf die Frage nach meiner Berufstätigkeit. Möglich war natürlich, zu beschreiben, was ich hauptsächlich tat. Wenn ich so vorging, sagte ich: »Ich bilde Musiklehrer aus, und zwar Musiklehrer nicht für allgemeinbildende Schulen, sondern vor allem Lehrer an Musikschulen und anderen außerschulischen Einrichtungen, außerdem für Privatunterricht.« Doch dann trat sofort eine andere Verlegenheit auf: Ich spürte unterschwellig den in der öffentlichen Geltung minderen Rang meiner Klientel gegenüber den Lehrenden an allgemeinbildenden Schulen. Diese schlecht gestellten Musiklehrer also bildete ich aus … Das war keine angenehme Offenbarung. »Er lehrt nicht Musik, sondern er unterrichtet zukünftige miserabel bezahlte Musiklehrer von Kindern, die von ihren Eltern zum Instrumentalunterricht geschickt werden.« So etwa der Gedanke, den ich als Resultat meiner Erklärung in den Köpfen meiner Gesprächspartner vermutete.

Ein anderer Ausweg aus den beschriebenen Verlegenheiten lag darin, auf die Frage nach dem Lehrgebiet eine schlichte, relativ unverfängliche, zutreffende, wenn auch nicht eben differenzierte Antwort zu geben. »Ich unterrichte Musik, ich bin Musiker.« Damit sagte ich nichts Falsches. Als Nächstes kam dann natürlich wieder die Frage: »Und welches Instrument spielen Sie?« – »Klavier.« Somit folgerte mein Gegenüber, dass ich Klavierlehrer wäre, was aber ja in Bezug auf meinen Hauptberuf nicht zutraf. Immerhin konnte ich meine Antwort damit rechtfertigen, dass auch ein Klavierlehrer Musikpädagoge ist und als solcher arbeitet. Und so schließt sich der Kreis: Klavierunterricht ist Musikpädagogik, also gab ich mich mit meiner nachgeschobenen Antwort als Musikpädagoge zu erkennen, ohne erklären zu müssen, was Musikpädagogik ist.

Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf

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