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Einleitung

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Grundlage dieses Buchs bilden Erfahrungen aus meiner über 30-jährigen Lehrtätigkeit im Fach Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentaldidaktik an der Universität der Künste Berlin, in diversen Veranstaltungen an anderen Ausbildungsinstituten sowie in Fortbildungen an Musikschulen. Ich beschäftige mich mit Potenzialen und Problemen meines Fachgebiets in Ausbildung und Beruf. Daraus resultiert eine Bestandsaufnahme, die meine persönliche Sicht des Fachgebiets vermittelt.

Meine Ausführungen sind durchweg subjektiv und daher mehr essayistisch als streng wissenschaftlich. Fachliche Reflexion verbindet sich häufig mit Selbstreflexion. Die Darstellung eigener Sichtweisen und Erfahrungen soll Leserinnen und Leser1 in diversen musikpädagogischen Tätigkeitsfeldern stimulieren, ihre individuelle Lehrpraxis sowie ihre persönlichen Wege des Lehrens und Lernens zu bedenken. Handeln ist oft von unzureichend durchschauten Impulsen gelenkt. Sich selbst auf die Spur zu kommen, bleibt ein fortwährendes Desiderat für alle Lehrenden. Manche Überlegungen werden andere Auffassungen und auch Widersprüche auslösen. Ebendies dürfte fruchtbar sein, um das hier im Mittelpunkt stehende Fachgebiet und die in ihm geschehende Arbeit produktiv weiterzuentwickeln.

Ich habe die Arbeit an diesem Buch nach meinem Eintritt in den akademischen Ruhestand begonnen. In dieser Lebensphase gewinnt man zunehmend Abstand zur »Community« des eigenen Fachs, der man viele Jahre angehört hat. Darin liegen zugleich Verlust und Befreiung. Es fehlen mir manche mit aktuellen Fragen befassten Fachgespräche; andererseits fühle ich mich in meinem Schreiben weniger dem Blick des Fachkollegiums ausgesetzt und weniger an bestehende Konventionen wissenschaftlichen Arbeitens gebunden. Das »Draußensein« gewährt mehr Freiheit, vielleicht sogar eine gewisse Narrenfreiheit. Manches Kritisieren fällt dadurch leichter: das offene Ansprechen von prinzipiellen Problemen und Mängeln des Fachs, deren Lösung nicht in Sicht ist, wie auch von Missständen, vor denen die in diesem Fach Tätigen aus Überlebensgründen leicht die Augen verschließen. Solche Überlegungen können bis zu der Frage reichen, ob das Fach vielleicht gar zur Disposition gestellt werden könnte und sollte, jedenfalls in seinen jetzigen Formen.

Das Buch ist keine stringente Abhandlung, sondern hat eine lockere Fügung. Einige Fakten und Probleme spielen in mehreren Zusammenhängen eine Rolle. Sie kehren daher mehrfach wieder und werden aus verschiedenen Perspektiven bedacht, was andere Facetten an ihnen hervortreten lässt, gelegentlich auch zu voneinander abweichenden Auffassungen und möglichen Konsequenzen führt. Auch gibt es unbeantwortete Fragen, deren weiteres Bedenken an den Leser delegiert wird. Ich bevorzuge das Erwägen und Diskutieren von Möglichkeiten gegenüber dem Formulieren dezidierter Positionen. Ich traue mich, von mir selbst zu erzählen, nicht nur von positiven, sondern auch von negativen Erfahrungen, die üblicherweise unter Verschluss gehalten werden.

Die hier im Fokus stehende Musikpädagogik zielt auf die Fähigkeit, zum Musizieren anzuleiten. Im Blick auf diese Bestimmung würde sich sachlich als übergreifende Bezeichnung das Wort »Musizierpädagogik« anbieten. Der seit dem 17. Jahrhundert geläufige Begriff »musizieren« war vor allem im vergangenen Jahrhundert in der Jugendmusikbewegung gebräuchlich. Mittlerweile hat er sich weitgehend emanzipiert und wird für diverse Musikpraxen verwendet. Allerdings löst er bei Menschen mit musikgeschichtlichen Kenntnissen und so auch bei mir immer noch Assoziationen an die vormaligen Ideale von Spielmusiken alter und neuer Provenienz aus. Zudem ist »Musizierpädagogik« als Fachbezeichnung an Hochschulen bislang nicht üblich. Ich ziehe ihm daher den etablierten Begriff »Instrumentalpädagogik« vor. Auch dieser Begriff hat allerdings Schwachpunkte.

Gern verwenden Vertreter des Arbeitsgebiets Schulmusik den Begriff Instrumentalpädagogik zur Abgrenzung: hier Schulmusik – dort Instrumentalpädagogik. Damit sind unterschiedliche Berufsfelder und die zu ihnen hinführenden Ausbildungswege gemeint. Beide Begriffe, Schulmusik und Instrumentalpädagogik, sind problematisch. Im Wort »Schulmusik« schwingt mit, dass Musik auf schulische Möglichkeiten zugeschnitten und reduziert wird, sodass die Freiheit des Umgangs mit ihr Einbuße erleidet. Schule kann schwerlich eine Bestimmung von Musik sein. Was wäre eine als »Schulmusik« zu bezeichnende Musik? Nicht befriedigend am Begriff »Instrumentalpädagogik« ist, dass er sich auf musikalische Aktivitäten bezieht, das Wort »Musik« aber nicht in ihm vorkommt. Vor die Musik bzw. das Musikmachen schiebt sich das Wort »instrumental« – ein in seiner Bedeutung nicht eben klares Wort, da »instrumental« ja auch prinzipiell eine nicht-musikbezogene Zweck-Mittel-Relation meinen kann. Dass »Instrumentalpädagogen« in erster Linie Musikpädagogen sind, nämlich Vermittler von Musik und ihrer Realisierung, wird im Begriff »Instrumentalpädagogik« weggeblendet. Die Ausrichtung auf das Instrumentale lässt leicht Vorstellungen von Mechanik und mechanistischen Exerzitien entstehen, bei denen die mit dem Instrument verknüpfte Technik über der Musik rangiert (s. dazu auch Röbke in Figdor / Röbke 2008, S. 15). Problematisch ist ferner, dass »Instrumentalpädagogik« üblicherweise als Kürzel fungiert. Gemeint ist in der Regel »Instrumental- und Vokal- (bzw. Gesangs-)pädagogik«. Diese Doppelbezeichnung ist nicht nur umständlich, sondern hat auch den Nachteil, dass sie eine Aufspaltung der als Einheit zu begreifenden Tätigkeit des Musikmachens vornimmt. In der Kurzform »Instrumentalpädagogik« wiederum fühlen sich Sänger eher ausgeschlossen als aufgehoben. Gewiss lässt sich auch die Stimme, der »Stimmapparat«, das Werkzeug des Singens, als Instrument auffassen; eine solche Sichtweise entspricht jedoch nicht dem üblichen Verständnis von »instrumental«.

Trotz dieser Mängel ist der Begriff »Instrumentalpädagogik« weiterhin üblich. Ihn durch »Musizierpädagogik« zu ersetzen, würde dem allgemeinen Sprachgebrauch zuwiderlaufen. Allerdings werden im Verlauf des Buchs vor allem dort, wo es um das Hochschulfach geht, Begriffsbildungen wie »Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentaldidaktik«, »Instrumental- (und Gesangs-)pädagogik«, »Allgemeine Instrumentaldidaktik« verwendet. Diese an Hochschulen üblichen Benennungen meinen durchweg dasselbe.

»Instrumentalpädagogik« als zum Musizieren anleitende Tätigkeit ist uralt. Es gibt sie, seit Menschen musizieren lernen – instrumental, stimmlich, sich bewegend, mit oder ohne Lehrende. Eine geschichtliche und vor allem eine ethnologisch ausgerichtete, interkulturell vergleichende Darstellung der in allen Kulturen anzutreffenden Erscheinungsformen von Instrumentalpädagogik steht allerdings bis heute aus.

Anders als praktische Instrumentalpädagogik ist das an Hochschulen neben dem Instrumental- und Vokalunterricht bestehende Fach, das sich instrumentenübergreifend mit der Vielfalt des Musizierenlernens und -lehrens beschäftigt, noch sehr jung – jünger als das Fach Musikpädagogik im Rahmen der Schulmusikausbildung. Die drei Jahrzehnte meiner Mitte der 1980er Jahre beginnenden Lehrtätigkeit bilden einen Zeitraum, in dem das Fach sich enorm entwickelt hat. Aus einer bieder-konservatorialen, theoretisch kaum fundierten Lehre ist eine inhaltlich vielfältige Disziplin von beachtlichem wissenschaftlichem und didaktischem Niveau geworden. Diverse anderen Disziplinen wurden einbezogen: Musikwissenschaft, Erziehungswissenschaften, Psychologie, Physiologie, Neurowissenschaften, Philosophie u. a. Die auf das Musizierenlernen gerichtete Musikpädagogik steht mittlerweile nicht mehr hinter ihrer traditionsreicheren schulischen Schwesterdisziplin zurück.

Obwohl das Buch sich überwiegend mit dem Arbeitsgebiet Musikpädagogik an Hochschulen befasst, ist es kein »Lehrbuch« im üblichen Sinn. Es bezweckt nicht, Fachwissen zu vermitteln. »Lehr-Buch« ist mein Versuch aber insofern, als es von meinem persönlichen Erleben der Lehrtätigkeit in diesem Fach ausgeht. Ich thematisiere meine Erfahrungen und Einsichten im Bereich der Instrumentalpädagogik (des Hochschulfachs Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentaldidaktik) und reflektiere auf ihrer Grundlage Absichten, Möglichkeiten und Grenzen des Fachgebiets. Dazu gehören vor allem das Berufsfeld, die Rahmenbedingungen im Hochschulstudium, Persönlichkeitsprofile der Lernenden und der Lehrenden, das Fach Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentaldidaktik, das Lehren und Lernen in diesem Fach sowie das fachliche Selbstverständnis. Gelegentlich greife ich auf frühere eigene Texte zu diesem Themenspektrum zurück.

Das Buch spricht diverse Personengruppen an: Lehrende im Gebiet Musikpädagogik an Hochschulen, Musikschulen und in anderen musikpädagogischen Tätigkeitsfeldern, Studierende an Musikhochschulen, Interessenten an einem solchen Studium, bildungs- und kulturpolitische Akteure im Musikleben, musikalische Laien und Liebhaber.

Der Aufbau ist wie folgt:

•Nach der Einleitung folgt als »Auftakt« eine Ansprache an Absolventen des Musikstudiums (1). Sie zeigt etwas von meiner Grundhaltung als Hochschullehrer für Musikpädagogik und bringt erste Gedanken zum Studium und Berufsfeld.

•Das Kapitel »Selbstwahrnehmungen und persönliche Lernwege« (2) ist ein Versuch, einigen Motiven meines eigenen fachlichen Profils auf die Spur zu kommen.

•Nicht um eine fachliche Definition des Begriffs Musikpädagogik, sondern um oft vernachlässigte, jedoch verbreitete und wirksame Vorstellungen, die sich häufig mit diesem Begriff verbinden, geht es im Kapitel »Musikpädagogik – vorläufige und alltägliche Sichtweisen« (3).

•Das Kapitel »Zum Berufsfeld ‚außerschulische Musikerziehung‘« (4) erörtert prinzipielle Gegebenheiten des komplexen musikpädagogischen Tätigkeitsfeldes außerhalb allgemeinbildender Schulen.

•Strukturen und Entwicklungen der auf dieses Berufsfeld vorbereitenden Ausbildung beleuchtet das Kapitel »Studium« (5).

•Die beiden Kapitel »Studierende« (6) und »Lehrende« (7) rücken die im künstlerisch-pädagogischen Musikstudium agierenden Personengruppen mit ihren diversen Interessen und Prägungen ins Licht.

•Es folgt eine Beschäftigung mit dem Fach »Musikpädagogik / Allgemeine Instrumentaldidaktik« (8).

•Danach thematisiere ich meine Lehrerfahrungen und meine Beobachtungen und Gedanken zum Lernen in »meinem« Fach (9).

•Die letzten beiden Kapitel richten den Blick in die Zukunft. Das Kapitel »Arbeit am musikpädagogischen Selbstkonzept« (10) tut dies, indem es Lehrenden im Tätigkeitsfeld Musizierpädagogik Anregungen für fachliche und persönliche Entwicklungen gibt.

•Der Text »Lebenskunst als Aufgabe von Musikschullehrenden« (11) ist wie der »Auftakt« (1) eine Rede. Wurden dort Studienabsolventen angesprochen, so sind nun vor allem die seit längerem beruflich tätigen Lehrkräfte die Adressaten. Inhaltlich weitet sich die Perspektive auf die Fragen, inwiefern Musizieren als Lebenskunst gelten kann und wie Musikschullehrende ihr schwieriges Berufsfeld mit Lebenskunst meistern können.

Das Thema Instrumentalpädagogik richtet Pädagogik auf Musizieren aus. Gleichwohl haben sich beim Schreiben viele Überlegungen allgemeinpädagogischer Art ergeben. Mir scheinen sie auch für den musizierpädagogischen Kontext wichtig, ja unverzichtbar. Jede Pädagogik hat es in erster Linie mit Menschen und dann erst mit dem jeweiligen Fach zu tun.

»You are lost the moment you know what the result will be.« Diese Juan Gris zugeschriebene Äußerung meint ein experimentelles Denken und Hervorbringen, das sich und die Rezipienten vor vorausberechneten Resultaten bewahren will. Der Satz wirkte ermutigend und entlastend beim Schreiben dieses Buchs: ermutigend, es mit den eigenen Erfahrungen aufzunehmen und die Offenheit des Ergebnisses zu riskieren; entlastend davon, zu sicheren Ergebnissen kommen zu müssen.

Berlin, im August 2019 Ulrich Mahlert

1Um eine flüssige Lektüre zu erleichtern, verwende ich im Folgenden zumeist das generische Maskulinum als übergreifende Form für alle Geschlechteridentitäten.

Instrumentalpädagogik in Studium und Beruf

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