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I. Das Gut für den Menschen (Buch I)

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Obwohl die Ethik die Lehre vom richtigen Handeln oder guten Charakter ist, beginnen nur die Magna Moralia direkt mit dieser Frage:

Da wir uns vorgenommen haben, über Dinge im Zusammenhang mit dem Charakter zu sprechen, müssen wir zuerst sehen, wovon der Charakter ein Teil ist. Um knapp zu reden, ist der Charakter wohl einfach ein Teil der Politik. Denn man kann in Staatsangelegenheiten nicht handeln, wenn man nicht auf bestimmte Art beschaffen ist, nämlich gut ist. Gut sein heißt aber, die aretai besitzen. Wenn man daher in Staatsangelegenheiten erfolgreich handeln will, muss man einen guten Charakter haben. Die Behandlung des Charakters ist daher, wie es scheint, ein Zweig und der Ausgangspunkt der Politik. Und insgesamt scheint mir, der Gegenstand sollte nicht Ethik, sondern richtiger Politik heißen (MM 1181a24ff.).

Die Eudemische und die Nikomachische Ethik gelangen erst über Zwischenschritte zu diesem Thema.1 Die EE setzt mit dem Hinweis ein, die eudaimonia (Glück, Glückseligkeit) sei das Schönste, Beste und Angenehmste, und wirft die Frage auf, worin die eudaimonia besteht und wie man sie erlangt. Der Beginn der EN ist besonders umwegig und nennt nicht, wie Aristoteles das gewöhnlich tut, sofort eine Frage oder ein Thema. Stattdessen werden uns Aussagen über das Handeln und seine Ziele sowie zahlreiche Differenzierungen dieser Begriffe geboten. Erst diese führen zu der Frage, die im weiteren Verlauf im Zentrum steht, der Frage nach dem höchsten durch menschliches Handeln erreichbaren Gut, das wenig später mit der eudaimonia gleichgesetzt wird. Sowohl in der EE wie in der EN erweist sich das Gutsein des Charakters nur als eine Form der eudaimonia; die andere und höher bewertete ist das Leben der theōria, der betrachtenden Tätigkeit. Die Frage der Ethik ist also in Wirklichkeit umfassender als die Frage nach dem guten Charakter; sie betrifft alles menschliche Tun, das gute Leben in allen Hinsichten. Das erklärt, warum Aristoteles in der EE und EN die Frage nach der eudaimonia ins Zentrum stellt. Das weitere Problem, warum er in der EN auch diese Frage nicht direkt zum Ausgangspunkt nimmt, müssen wir im Auge behalten.

Im ersten Buch der EN wird zunächst die Begriffskonstellation „Ziel, Gut, bestes Gut, eudaimonia“ eingeführt (I 1–5). In I 6 findet eine Verschiebung der Problematik statt, die zur Einführung des Begriffs des menschlichen Gutseins, der menschlichen aretē führt. Das Gut für den Menschen, seine eudaimonia, wird jetzt bestimmt als Tätigkeit des vernünftigen Seelenteils gemäß seiner eigentümlichen aretē. An I 6 schließt I 13 an, das die Teile der menschlichen Seele genauer behandelt. Das 7. Kapitel unterbricht den Gedankengang und nimmt Methodenfragen auf, die ähnlich in I 1 und 2 eingestreut sind. In I 8–12 werden Spannungen erörtert, die sich aus dem Vergleich der vorgeschlagenen eudaimonia-Definition mit der alltäglichen Vorstellung ergeben, dass zum Glück auch äußere Güter gehören.

Die Textanalyse des ersten Buchs ist dementsprechend so gegliedert:

1. Ziel, Gut, bestes Gut, eudaimonia (I 1–5);

2. die eudaimonia als Tätigkeit der menschlichen Seele gemäß der aretē (I 6 und 13);

3. das Problem der äußeren Güter (I 8–12). Die Methodenabschnitte in I 1 und 2 sowie I 7 werden gesondert in Kapitel II interpretiert.

Aristoteles

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