Читать книгу Humboldts Preußen - Ursula Klein - Страница 18
Apothekergewerbe und Botanik
ОглавлениеCarl Ludwig Willdenow (1765–1812), der Sohn eines Berliner Apothekers, hatte zuerst eine Apothekerlehre in der väterlichen Apotheke begonnen, von 1785 bis 1787 an der Universität Halle Medizin studiert und danach noch ein Jahr lang das private Bildungsinstitut für Pharmazeuten des Apotheker-Chemikers Johann Christian Wiegleb in Langensalza besucht. Die Kombination von handwerklicher Lehre und Studium ermöglichte eine Verkürzung der ansonsten strikt geregelten, langwierigen Apothekerausbildung, die sich in Preußen gewöhnlich aus einer sechsjährigen Lehre und einer siebenjährigen Gesellenzeit zusammensetzte.
Nach seiner Promotion im Februar 1789 heiratete Willdenow und übernahm die väterliche Apotheke. Der 24-Jährige hatte damals bereits durch eine Buchveröffentlichung über die Berliner Pflanzenwelt von sich reden gemacht.43 Als er im Sommer 1788 Freundschaft mit Humboldt schloss, war er schon ein stadtbekannter Botaniker.
Das Apothekergewerbe bot zahlreiche Anreize für medizinische und naturwissenschaftliche Studien. Im 18. Jahrhundert stammte etwa die Hälfte aller deutschen Chemiker aus dem Apothekergewerbe. Die Berliner Chemiker Marggraf, Rose, Klaproth und Hermbstaedt sind hierfür nur einige bekannte Beispiele. Willdenow zog es dagegen stärker zur Botanik. Da die größeren Stadtapotheken oft hunderte verschiedener Heilpflanzen führten, bedeutete botanisches Wissen zugleich auch nützliches Apothekerwissen. Botanische Kenntnisse waren überaus hilfreich bei der genauen Identifizierung und Benennung der Pflanzen. Die genaue Identifikation der Pflanzenarten war wiederum wichtig für die richtige Zubereitung von Arzneien und schützte zugleich vor betrügerischen Kräuter- und Materialienhändlern. Der geschäftliche Umgang mit Heilpflanzen regte zum Sammeln von Pflanzen an, und wohlhabende Apotheker leisteten sich nicht selten auch einen eigenen kleinen botanischen Garten. Überdies besaßen die wohlhabenden Stadtapotheker meist eine Bibliothek, in der sie die neusten botanischen und chemischen Schriften sammelten, und zuweilen auch ein Naturalienkabinett.
Von diesen praktischen, oft auch der Unterhaltung dienenden botanischen Aktivitäten war der Schritt zu systematischeren Botanikstudien nicht allzu groß. Auch Willdenow hatte schon als junger Apothekerlehrling begonnen, ein Herbarium anzulegen und im kleineren Rahmen Pflanzen zu züchten. Durch sein Universitäts-studium war er in die Gelehrtenwelt eingeführt worden, sodass er sein Erstlingswerk über die Flora Berlins, Florae Berolinensis prodromus (1787), selbstverständlich in lateinischer Sprache schrieb. Dem folgten später meist deutschsprachige Bücher, darunter der Grundriss der Kräuterkunde (1792), einem systematischen botanischen Werk in der Tradition Linnés. 1794 wurde Willdenow in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Zwei Jahre später veröffentlichte er seine Berlinische Baumzucht (1796). Als er 1798 zum Professor für Naturgeschichte am Berliner Collegicum medico-chirurgicum ernannt wurde, verkaufte er seine Apotheke.
Wie Willdenow in seinem Grundriss der Kräuterkunde deutlich machte, verstand er sich als Schüler des schwedischen Botanikers Carl Linné, stand jedoch dessen Werk nicht unkritisch gegenüber. Sein Freund Humboldt war von seinen botanischen und taxonomischen Detailkenntnissen ebenso fasziniert wie von seinem Entschluss, der systematischen Botanik neue Türen zu öffnen. Die Kryptogamenforschung zum Beispiel war noch ein relativ unbearbeitetes Feld, sodass sich Humboldt 1789 gerne von Willdenow animieren ließ, sich dort zu betätigen.
In den 1790er-Jahren weitete Willdenow seine Studien auf die Physiologie, Erdgeschichte und die Pflanzengeographie aus. In Gedanken schritt er die Breiten- und Längengrade der Erde ab und gelangte so zu einem Muster der geographischen Pflanzenverteilung: „Die Mark Brandenburg, die Küste Labradors und Kamtschatkas liegen ziemlich in einer Breite, und haben viele Pflanzen mit einander gemein. Berlin, Venedig, Tripolis und Angola haben fast gleiche Länge, aber die Gewächse sind sehr verschieden“, stellte er 1792 fest. Dieses pflanzengeographische Verbreitungsmuster erklärte er mit den vorherrschenden Klimabedingungen. An verschiedenen Orten desselben Längengrades herrschten sehr unterschiedliche klimatische Bedingungen, so Willdenow, während sie auf ein und demselben Breitengrad weitgehend übereinstimmten. Berge, Meere, Wälder und andere morphologische und botanische Faktoren übten jedoch zusätzliche klimatische Einflüsse aus, sodass allgemeine Schlussfolgerungen über die Pflanzenverbreitung erschwert seien. Dennoch argumentierte Willdenow, dies sei kein absolutes Hindernis für die Forschung. Denn man dürfe annehmen, dass die Verbreitung der Pflanzen auf der Erde „auf besonderen Regeln gegründet“ sei, die man auch wissenschaftlich analysieren könne. Sein Credo gipfelte in der Aussage: „Alles, alles was geschaffen ist, zweckt zum Nutzen des Ganzen ab.“44 Zu Recht hat die historische Forschung auf die Gemeinsamkeiten zwischen diesen pflanzengeographischen Überlegungen Willdenows mit denen des späteren Autors des Kosmos verwiesen.