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Willdenow trinkt den Tee der Frau Werneburg
ОглавлениеFast zehn Jahre lang war Willdenow praktizierender Apotheker gewesen, der die pharmazeutische Nützlichkeit der Botanik aus der eigenen gewerblichen Tätigkeit kannte. Als gelehriger Schüler Gleditschs waren ihm aber auch andere Seiten der Nützlichkeit der Botanik bekannt. So schrieb er in seinem Grundriss der Kräuterkunde von 1792, der Botaniker zeige „dem Arzt, Oekonomen, Forstmann und Technologen die brauchbaren Gewächse an; ohne ihn können sie keine richtigen und gewisse Versuche anstellen“.45 Die Nützlichkeit der systematischen Botanik erstreckte sich demnach auf verschiedene Gewerbezweige. Sie bestand vor allem in der Befähigung zur eindeutigen Identifikation von Pflanzenarten, die wiederum Voraussetzung für weiterführende Erkundungen war. Willdenow nahm also keine simple Kausalbeziehung zwischen akademischem Grundlagenwissen und der Praxis an. Wenn Ärzte, Forstleute und Technologen Innovationen erzielen wollten, so waren seiner Auffassung nach zusätzliche Experimente und über die botanische Systematik hinausgehendes Wissen erforderlich. Als Direktor des Königlichen Botanischen Gartens konnte er in dieser Hinsicht konkrete Erfahrungen sammeln.
Im November 1801 wurde Willdenow zum Direktor des Königlichen Botanischen Gartens ernannt, nachdem der bisherige Direktor, der Akademiebotaniker Johann Christoph A. Mayer (1747–1801), verstorben war. Das Direktorium der Akademie schrieb dem König: „Zum Botanisten wissen wir keinen besser als den Profeßor Willdenow vorzuschlagen, zumal er schon mit Eurer Majestät Erlaubnis in der lezten Zeit die Aufsicht über den botanischen Garten geführt hat.“46 Da Friedrich Wilhelm III. eher als seine beiden Vorgänger geneigt war, den Botanischen Garten zu fördern, bewilligte er Willdenow das akzeptable Jahresgehalt von 850 Talern. Er übernehme ja „für dieses Gehalt ein nicht unwichtiges Amt“, hieß es. Überdies hob der König wohlwollend hervor, dass: 47
▷ es Sr. Majestät zum höchsten Wohlgefallen gereicht hat, dass dieser verdienstvolle Gelehrte bisher bey einem geringen Gehalte mit Aufopferung seines eigenen Vermögens mit seltener Anstrengung und sehr glücklichem Erfolg sich auf die Botanik gelegt hat, und dadurch die gegründetste Hoffnung giebt [,] daß er der Academie nicht allein sehr nützlich; sonder auch eine vorzeigliche Zierde derselben werden werde. ◁
Als Direktor des Botanischen Gartens unternahm Willdenow mehrere praktisch nützliche botanische Projekte, wie es sein Freund Humboldt mehr als ein Jahrzehnt zuvor angemahnt hatte. Er führte Experimente zur Kultivierung von Nutzpflanzen durch, in eigener Regie, aber auch im Rahmen seiner Gutachtertätigkeit für die Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Experimenten mit „ökonomisch, technologisch und medicinisch wichtigen Gewächsen“ gehörte zum Beispiel die Kultivierung von Lupinus albus, einer Pflanze, die der Akademie als Kaffee- und Teeersatz vorgeschlagen worden war.
Der Vorschlag stammte von der „verwittwete[n] Werneburg zu Eisennach“. Es handelte sich dabei um einen der wenigen Versuche einer Frau, in die akademische Männerwelt einzudringen. Im April 1801 erhielt Willdenow ein Schreiben der Akademie, dem eine Schachtel mit Bohnen beigefügt war, die Frau Werneburg an die Akademie der Wissenschaften mit dem Hinweis eingesandt hatte, die Bohnen könnten „als ein Surrogat des Caffées u[nd] Thees dienen“. Willdenow wurde gebeten, „einen Theil dieser Bohnen noch in diesem Jahre cultiviren zu lassen“ und ein „Gutachten hierüber bald gefälligst abzugeben“. Der gewissenhafte Botaniker unternahm zuerst einen „Selbstversuch“. „Ich habe den zur Probe beygelegten Thee dieser Pflanze, so wie deren Schalen versucht“, schrieb er eine Woche später an die Akademie, „und muß gestehn, daß beide ziemlich gut ausfallen. Ich glaube daher, daß es wohl der Mühe werth seyn möchte, Versuche mit dieser, so wie mit anderen Lupinus Arten, anzustellen“.48
Im Sommer 1802 experimentierte Willdenow auch mit verschiedenen Kartoffelsorten. Die Früchte dieser Arbeit überreichte er der Akademie, die ihnen einen würdigen Lagerplatz in der akademischen Bibliothek zuwies, da diese im Winter unbeheizt blieb. Im Dezember 1802 wandte sich der Akademieastronom Johann Bernoulli (III.), seit 1791 Direktor der mathematischen Klasse, an das Akademiedirektorium mit der Bitte, Willdenows Kartoffeln für eigene Aussaatversuche benutzen zu dürfen: 49
▷ Da die Kartoffel Proben [,] welche Hr. Professor Willdenow der Akademie überreicht hat, den Winter über in dem Bibliotheks Saale verfrieren und verderben werden, so bitte ich […] mir selbige günstigst zu überlassen. Ich habe bessere Gelegenheit als andere Akademiker [,] sie zur Aussaat zu benutzen; auch habe ich schon allerhand Versuche mit diesem Gewächse gemacht, die ich fortsetze. ◁
Im Frühjahr 1803 begann Willdenow mit dem experimentellen Anbau von Sonnenblumen zur Gewinnung von Speiseöl. Dem folgten im Herbst desselben Jahres Versuche zur Keimung von Korn, das in Eisenvitriollösung vorbehandelt worden war. Gleichzeitig setzte er seine Versuche mit Kartoffelpflanzen fort, mit denen er nun auch systematische Kreuzungsexperimente vornahm. Im November 1803 konnte er der Akademie der Wissenschaften schließlich ein zusammenfassendes Gutachten „Über den Anbau von Kartoffeln“ vorlegen.50
Abb. 5 Porträt Carl Ludwig Willdenow im Botanischen Garten. Aus Buddensieg, Düwell und Sembach (1987b), 64
An Willdenows Kreuzungsexperimenten mit Kartoffelpflanzen zeigt sich die duale Funktion vieler Experimente preußischer Naturforscher: sie dienten sowohl praktisch nützlichen Zwecken als auch der Naturforschung. Von den Kreuzungsexperimenten erhoffte man sich einerseits Impulse für die Zucht ertragreicher, nahrhafter, resistenter und besser schmeckender Kartoffelpflanzen. Andererseits eigneten sich Kartoffelpflanzen aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften aber auch als Objekte für die wissenschaftliche Kreuzungsforschung. Gleditsch hatte seinerzeit mithilfe von Kreuzungsexperimenten und Bastardisierungen die sexuelle Fortpflanzung von Pflanzen untersucht. Sein Neffe verlagerte die Fragestellung dagegen auf den Artbegriff. Zwischen verschiedenen Arten bestand eine Kreuzungsbarriere, argumentierte er, und Bastarde seien nur Spielarten einer Art.