Читать книгу Humboldts Preußen - Ursula Klein - Страница 8

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Vorwort

Alexander von Humboldt war ein genialer Naturforscher, der als technikbegeisterter 22-Jähriger an der Freiberger Bergakademie studierte und dann weitere fünf Jahre in der Welt der Gruben und Hüttenwerke verbrachte. Dort initiierte er grubentechnische Verbesserungen und arbeitete unter Einsatz seiner ganzen Energie an Erfindungen, die die Arbeit der Bergmänner erleichtern sollten. In diesen Jahren als preußischer Bergmeister erwarb er auch Wissen, messtechnisches Können und experimentelles Geschick für seine Forschung während der späteren Weltreisen. Der junge Alexander von Humboldt engagierte sich gemeinsam mit anderen Naturforschern, Technikern und reformorientierten Staatsbeamten wie Karl August von Hardenberg für den technischen Fortschritt und das „Gemeinwohl“. Während in Frankreich eine Revolution tobte, setzte die preußische Elite auf allmähliche Reformen. Dabei verband sie das Ziel technischer Innovation mit der Hoffnung auf soziale und ökonomische Verbesserungen.

Das Buch beschreibt die Frühphase der Industrialisierung Preußens – nicht als anonymen Prozess, mithilfe von Zahlenkolonnen und Tabellen, sondern als gelebte Praxis der Akteure. Es skizziert deren Aufbruchsstimmung ebenso wie deren Erfolge und Misserfolge beim Arbeiten, Experimentieren und Erfinden. Humboldt und die zahlreichen anderen Naturforscher und Techniker, deren Aktivitäten hier unter die Lupe genommen werden, verwandelten ihre Arbeitswelt in ein Laboratorium der Natur- und Technikforschung. Der Prozess der Industrialisierung war somit auch ein Prozess der Herausbildung der exakten Natur- und Technikwissenschaften.

Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts avancierte Deutschland mit Preußen an der Spitze zu einer führenden Industriemacht. Das Land, das jahrzehntelang im Schatten der englischen Industrie gestanden hatte, wurde Motor der Industrialisierung in ganz Europa und Hochburg innovativer Technologien und Naturwissenschaften. Die deutsche Elektrotechnik und synthetische Farbenindustrie profitierten im großen Stil von den gut ausgebildeten Ingenieuren, Technikern und Naturwissenschaftlern des Landes. Was wie ein plötzliches Aufwachen aus tiefstem Dornröschenschlaf aussah, war in Wirklichkeit Resultat eines langen, steinigen Wegs, auf dem Männer wie der junge Alexander von Humboldt ihr ganzes Tun und Denken in die Waagschale warfen, um oft nur kleine Verbesserungen zu erringen. In Preußen ging die Industrialisierung zuerst vom Staat aus und innerhalb des Staats von Beamten wie Humboldt und Hardenberg.

Technische Innovationen erfordern den sachkundigen Einsatz durch Menschen, die sie bewerkstelligen können. Sie sind kein Selbstläufer und schon gar nicht das Resultat einer frei flotierenden technischen Rationalität. In Preußen formierte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Bündnis aus technisch versierten und naturwissenschaftlich gebildeten Staatsbeamten, Technikern und Naturforschern. Den Kitt dieser soziokulturellen Allianz, die mehrere Generationen bis zur Blüte der Industrialisierung Preußens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts umspannte, bildete folgender Grundkonsens: Das preußische Gewerbe müsse durch staatliche Maßnahmen – die Unterstützung technischer Verbesserungen und Erfindungen und die systematische Ausbildung von Technikern und Naturwissenschaftlern – gefördert werden. Technisch interessierte Naturforscher wie der junge Alexander von Humboldt traten in den Staatsdienst ein, um selbst praktisch Hand anzulegen und gemeinsam mit Technikern und Reformbeamten technische Fortschritte in die Wege zu leiten. Im Geist der Aufklärung identifizierten sie technischen Fortschritt mit der Förderung des Gemeinwohls. Gleichzeitig organisierten diese Männer die Ausbildung technischer Sachverständiger und die Zusammenstellung „nützlicher Wissenschaften“, dem Vorläufer der Technikwissenschaften.

Der preußische Staat unterstützte Manufakturen und Bergwerke zwar schon seit langem, aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann er, wissenschaftlich-technische Experten systematisch zu rekrutieren. Die ersten preußischen Techniker, die über eine rein praktische Lehre hinaus auch eine wissenschaftlich-technische Ausbildung erhielten, waren Beamte in Staatsbehörden, die den Bergbau, das Zivilbauwesen und andere Gewerbezweige unterstützten und teilweise auch direkt organisierten. In den Behörden hielt ein neuer Beamtentyp Einzug, der naturwissenschaftlich gebildete und technisch kompetente Beamte, der wichtige Impulse an Industrie und Wirtschaft gab. Der junge preußische Bergbeamte Alexander von Humboldt erlebte diese Veränderungen und gestaltete sie aktiv mit.

Neben den staatlichen Behörden, dem Bergbau und Teilen des Gewerbes war auch die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften ein Ort, an dem technisch komplexe Projekte in Angriff genommen und nützliche Wissenschaften im Verein mit exakten, analysierenden Naturwissenschaften entwickelt wurden. Die Mitglieder der mathematischen und physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften übernahmen Beraterfunktionen für die oberste preußische Regierungsbehörde, arbeiteten als Sachverständige in staatlichen Inspektionskommissionen und beteiligten sich persönlich an der Planung und Organisation technischer Projekte wie der Urbarmachung des Oderbruchs oder dem Gießen von Kanonen mit schlesischem Eisen. Der Mathematiker Leonhard Euler zum Beispiel arbeitete während seines 25-jährigen Aufenthalts in Berlin die analytische Methode der Differenzialund Integralrechnung aus und wandte sie sowohl auf die theoretische Mechanik als auch auf die ballistischen Experimente der Artillerie und die praktischen Probleme des Schiffsbaus an. Von 1744 bis 1746 war er an der Wiederherstellung des Oder-Havel-Finowkanals und kurz danach an der Planung der Trockenlegung des Oderbruchs beteiligt. Der Akademiechemiker und Apotheker Andreas Sigismund Marggraf analysierte um dieselbe Zeit Pflanzen und entdeckte dabei Zucker in einheimischen Rübenarten. Bereits 1747 verwies er auf den praktischen Nutzen seiner Entdeckung, die sein Schüler Franz Carl Achard, von 1782 an Direktor des Laboratoriums der Akademie der Wissenschaften, gegen Ende des Jahrhunderts zu einer großtechnisch nutzbaren Erfindung ausbaute. Während sich Alexander von Humboldt im Februar 1789 noch den Kopf darüber zerbrach, wie man den Preußen die Nützlichkeit der Botanik erklären konnte, beugte sich Achard bereits über die Ergebnisse seiner Experimente mit Zuckerrüben. Bei seinen großtechnischen Versuchen der Zuckergewinnung aus Rübensaft unterstützte ihn Preußens berühmtester Chemiker Martin Heinrich Klaproth, der 1789 Uran entdeckte und „Urangelb“ für die Porzellanmalerei in der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur erfand.

Das Reformbündnis aus Staatsbeamten, Technikern und Naturforschern, das sich für technische Verbesserungen und die Ausbildung wissenschaftlich-technischer Expertise engagierte, war auch durch den ständigen Kampf um Geld geprägt. Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts ersannen die reformorientierten Minister und Staatsbeamten eine ganze Palette von Mitteln, um die preußischen Könige für die Finanzierung ihrer Projekte zu gewinnen. Der wiederholte und vor 1860 erfolglose Versuch der Gründung einer preußischen Bergakademie ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen sich diese Reformer im absolutistischen Preußen konfrontiert sahen.

Auch die Wissenschaften selbst veränderten sich in dem allmählichen Prozess technischen Wandels während der Frühphase der preußischen Industrialisierung. Aus den „nützlichen Wissenschaften“ des späten des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die „Technikwissenschaften“ und aus der „Naturforschung“ entstand ein weit verzweigtes System spezialisierter Naturwissenschaften. Heute denken wir bei der Bezeichnung Technikwissenschaften meist schon die Abgrenzung von den an Universitäten angesiedelten Naturwissenschaften mit. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass Technik- und Naturwissenschaften oft nicht scharf voneinander abgrenzbar sind. Es gibt Technikwissenschaften mit einer starken mathematischen und physikalischen Komponente wie die Aerodynamik und ausgesprochen technikförmige Naturwissenschaften wie die Chemie. Überdies haben sich heute auch im universitären Kontext anwendungsorientierte und industrie- oder militärfinanzierte Forschungspraxen etabliert, die man zuweilen mit dem Kunstwort „Technowissenschaft“ (technoscience) belegt. Überschneidungen zwischen Naturund Technikwissen gab es jedoch schon erheblich früher.

Die Besonderheiten des preußischen Wegs der Industrialisierung sind von Historikern zwar wiederholt thematisiert worden, aber der soziokulturellen Konstellation, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausbildete und den Weg für die technischen Veränderungen während der Industrialisierung ebnete, ist bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.1 Mindestens ebenso wenig sind die Leistungen von Naturforschern wie Alexander von Humboldt, Klaproth und Achard und der vielen, weniger bekannten Techniker gewürdigt worden, die sich auf den langen Weg technischer und wissenschaftlicher Verbesserungen machten. Weder der Blick auf große Einzelerfindungen noch eine reine Institutionengeschichte sind in der Lage, die Kontinuität des historischen Prozesses freizulegen, in dem sich kleine praktisch-technische Veränderungen – untermauert durch wissenschaftlich-technisches Sachwissen, aber auch durch neue Werte und Einstellungen – allmählich zu den sichtbaren technischen Umstrukturierungen akkumulierten, die wir als Industrialisierung bezeichnen.

Die Veränderungen der Technik, Staatsbürokratie, des Bildungssystems und der Wissenschaftslandschaft, die der junge Alexander von Humboldt und seine Bündnispartner durchsetzten, waren Initialzündung für weitere schrittweise Reformen in Preußen, die schließlich auf dem Höhepunkt der ersten Industrialisierungswelle in einen irreversiblen Wissens- und Innovationsstrom einmündeten. Die Männer, die diese Veränderungen in Gang setzten, waren Idealisten, für die Wissenschaft und Technik auch gesellschaftlichen Fortschritt verhießen. Ihr Traum von nützlichen Wissenschaften, die fern von engstirnigem Profitdenken zu einem besseren Leben beitragen sollten, war in der politischen Landschaft des absolutistischen Preußen jedoch nur begrenzt verwirklichbar. Wie haben diese Männer gelebt, gearbeitet und geforscht? Was trieb sie an und was erreichten sie? Dieses Buch geht vor allem der Praxis dieser Reformer nach. Es beschreibt die faustischen Ambitionen und Aktivitäten des jungen Alexander von Humboldt und anderer preußischer Staatsbeamter, Naturforscher und Techniker in der Nutzpflanzenzucht und Botanik, dem Bergbau, der Metallverhüttung und den „Bergwerkswissenschaften“, der Porzellanherstellung und Chemie und vielen anderen Überschneidungsbereichen von Gewerbe, Technik und Wissenschaften. Auf der Grundlage einer Fülle neuer Archivmaterialien, Briefe, wissenschaftlicher Veröffentlichungen und anderer Zeitzeugnisse bringt es die historischen Akteure selbst zum Sprechen.

Danksagung

Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte – insbesondere Jürgen Renn, Dagmar Schäfer, Matteo Valleriani, Christoph Lehner und Helge Wendt – für wissenschaftlichte Anregungen. Jürgen Renn und Hans-Jörg Rheinberger danke ich für ihre großzügige Unterstützung meiner Forschung. Urte Brauckmann, Ellen Garske, Urs Schöpflin und allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Bibliothek danke ich für ihre freundliche Hilfe bei der Literatur- und Bildbeschaffung. Zu großem Dank bin ich meinem studentischen Assistenten Johannes Lotze verpflichtet, der einen Teil meiner Archivarbeit übernahm und hunderte Manuskriptseiten für mich transkribierte. Mein ganz besonderer Dank gilt – wie immer – Wolfgang Lefèvre für seine kritische Lektüre des Buchmanuskripts und unverdrossene Rückenstärkung.

Humboldts Preußen

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