Читать книгу Der Pferdeversteher - Uwe Weinzierl - Страница 29
Plötzlich Provinz!
ОглавлениеDoch an diesem frühen Morgen hüllen sich die Natur und auch all meine Lebensgeister noch in Dunkelheit. Auch deshalb fühle ich mich nicht so befreit wie sonst. Zudem müssen wir nicht einzelne Schafe einfangen, sondern eine ganze Ziegenherde zum zwölf Kilometer entfernten Stall treiben.
Aber bis jetzt läuft alles wie von selbst. Der Schäfer reitet auf seinem Schimmel voraus, ich stapfe stoisch durch den Pulverschnee hinterher. Da ich besonders beim Gehen ins Grübeln verfalle und nichts weiter zu tun habe, mache ich mir Gedanken, wie ich mir eigentlich immer Gedanken mache. Ehrlich gesagt auch im Sitzen und im Liegen. Mir scheint da ein Ausschaltknopf zu fehlen.
Was hat mich eigentlich hierher verschlagen, in die tiefste Provinz? Bin ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Nach acht Jahren Berlin mit Häuserkampf, Schauspielausbildung und Erfolgen auf der Kabarettbühne war ich mit meiner Freundin Bine und ihren beiden Kindern aufs Land gezogen, um hier den großen Wurf zu landen. Ich plante ein neues Großprojekt, wollte Musiktheater mit hohem politischen Anspruch machen, der grassierenden Deutschtümelei kurz nach der Wiedervereinigung einen ordentlichen Schlag ins Gesicht verpassen. Das war mein fester Entschluss gewesen.
Warum dafür Berlin verlassen? Weil ich begriffen hatte, dass es mir in der Hauptstadt des Theaters mit all ihren Verlockungen und Ablenkungen niemals möglich sein würde, konzentriert zu arbeiten. Ich wollte mich dort niederlassen, wo sich das Kulturleben auf Kirmes, Vereinssitzungen und Privatfernsehen beschränkt, an einem Ort, an dem mich nichts mehr vom Lesen, Schreiben und Denken abhält. Und ich wollte mich voll und ganz auf meine neue Freundin konzentrieren. Sie sollte endlich die Einzige sein, die ich mit Haut und Haaren begehrte. Schluss mit all den Frauengeschichten und sexuellen Fantasien, die mich in Berlin immer daran gehindert hatten, mich ernsthaft auf eine festere Beziehung einzulassen!
»Reiten lernt man durch reiten«, lautete das Credo des wortkargen Mannes, den ich kaum kannte.