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Affe im Sattel

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Das Pferd bleibt unbeirrt neben mir stehen und scharrt mit den Hufen die Schneekruste auf. Ich klopfe meinen Parka ab und schüttele den Schnee aus meiner Kapuze. »Jetzt musst du wieder rauf, sonst hast du Angst!« Wieder diese strenge Stimme. Wie hypnotisiert folge ich den Anweisungen des Schäfers. Diesmal geht er neben mir her und zeigt mir, wie ich die Zügel halten muss. »Klammer dich nicht wie ein Affe mit den Beinen fest, sonst gibst du Gas, und dein Pferd wird schneller. Ganz locker!« Ich nicke, bin aber immer noch angespannt.

»Wie heißt denn das Pferd?«, erkundige ich mich, um ein wenig Interesse zu zeigen und meine Nervosität zu überspielen. »Nando. Vollblutaraber.« Eine Frage gestellt, zwei Antworten erhalten – das ist ungewöhnlich für den wortkargen Mann. Offensichtlich liegt ihm etwas an diesem Tier.

»Wie hast du eigentlich reiten gelernt?« Vielleicht gelingt es mir ja tatsächlich, ihn in ein längeres Gespräch zu verwickeln.

»Reiten lernt man durch reiten.«

Ich sehe ihn fragend an. »Aber …«

»Aber was?« Der Schäfer wischt sich mit dem Handgelenk den nassen Schnee aus den Barthaaren. »Wie hast du denn Fahrradfahren gelernt, hattest du da einen Lehrer?« Er hält kurz inne. »Rauf auf den Sattel, und los geht’s. Du verlierst das Gleichgewicht, holst dir blutige Knie, und beim nächsten Mal passt du eben besser auf. Mit der Zeit geht dann alles wie von selbst.«

»Und du meinst, das kann man aufs Reiten übertragen?«

»Ist bei allem so, beim Tanzen, beim Autofahren, beim Sex. Du kannst für alles und für viel Geld einen Lehrer engagieren, aber besser wird’s dadurch nicht.«

»Na ja«, ich wage die Gegenrede. »Autos darf man ja auch nicht einfach so fahren, ohne Unterricht. Und wenn es nach mir ginge, müssten auch Eltern einen Erlaubnisschein machen, bevor sie Kinder in die Welt setzen. Vielleicht würde dann weniger schiefgehen auf unserem Planeten.«

Der Schäfer wendet sich von mir ab und schweigt, sein Blick schweift in die Ferne. Er selbst hat drei Kinder, die er selten sieht. Seine Frau ist längst über alle Berge, hat sie mitgenommen; mit Besuchen hält sie ihn kurz. Er geht noch eine Weile neben mir her und überlässt mich dann wieder meinen Gedanken.

Während unseres Gesprächs habe ich gar nicht mehr auf mein neues Fortbewegungsmittel geachtet. Noch ahne ich nicht, dass ich genau diese Ablenkung vom Reiten später zu den wichtigsten Prinzipien meines Unterrichts machen werde. Egal, ob ich meine Schülerinnen und Schüler auf dem Pferd Fußbälle kicken oder Sticks auffangen lasse – oder sie mit unseren Weidepferden Rindertreiben spielen. Hauptsache, sie denken nicht ans Reiten.

»Ich muss wohl einfach nur den Kopf ausschalten und mich stattdessen den Bewegungen meines Pferdes hingeben.«

Statt mich krampfhaft auf mein Pferd zu konzentrieren, bringt das Gegenteil den Erfolg: Loslassen, sich treiben und tragen lassen. Wie durch ein Wunder fühle ich mich jetzt gar nicht mehr wackelig im Sattel. Es ist so, als würde ich von Nando sanft geschaukelt und gewiegt. Ich muss wohl einfach nur den Kopf ausschalten und mich stattdessen den Bewegungen meines Pferdes hingeben, mit seinem Körper mitgehen, einen gemeinsamen Rhythmus finden. Aha, Reiten ist wie Tanzen, Reiten ist wie Sex! Das schreibe ich mir hinter die Ohren. Apropos: Nandos gleichmäßiges Auf und Ab beschert mir ein angenehmes Kribbeln im Schritt, und ich frage mich, wie es weitergehen soll auf dem Land, ohne die große Liebe.

Der Pferdeversteher

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