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Kein Halten mehr
ОглавлениеIn der Vergangenheit hatte der Schäfer schon viele vergebliche Versuche unternommen, mich fürs Reiten zu begeistern; ab jetzt nervte ich ihn mit der ständigen Bitte, gemeinsam auszureiten. Wenn ich auf Nando unterwegs war, fühlte ich mich kaum anders als einst auf meiner XT, meinem Yamaha-Geländemotorrad, mit dem ich mich wochentags durch die verstopften Berliner Straßen geschlängelt und sonntags die umliegenden Steinbrüche unsicher gemacht hatte. Hauptsache schnell, Hauptsache Nervenkitzel, Hauptsache wild und gefährlich.
Mit dem Motorrad war ich fast nie gestürzt, mit den Pferden lagen wir öfter im Dreck. Wenn ich wieder mal den Untergrund auf einem lehmigen Wiesenweg falsch eingeschätzt hatte und Nando zu schnell abbog, rutschten ihm die Vorderbeine weg, und wir schlitterten zusammen ein paar Meter. Es war das gleiche Gefühl wie beim Fußballspielen, wenn man den Gegner mit einer Grätsche zu Fall bringt und dann gemeinsam über den Rasen gleitet. Auf die Idee, dass dabei etwas schiefgehen könnte, kam ich genauso wenig wie auf dem Bolzplatz.
»Und auf einmal wusste ich, dass ich den Rest meines Lebens mit Pferden verbringen wollte.«
Nach einigen gemeinsamen Ritten erlaubte mir der Schäfer, mit Nando auch ganz allein loszuziehen, und nun gab es kein Halten mehr: Die Wälder, die ich zuvor per pedes und mit Diktiergerät und Notizblock durchstreift hatte, gehörten jetzt mir und meinem Pferd. Sobald ich am Schreibtisch begann nervös mit den Fingern zu trommeln oder Schweißausbrüche bekam, weil das Blatt Papier vor mir immer noch leer war, sprang ich auf und rannte zu Nando. Schon beim Putzen veränderte sich meine Stimmung, und spätestens beim Abbiegen in den Wald lösten sich meine eben noch tief empfundene Verzweiflung und die Angst davor, als Möchtegernkünstler und Hochstapler entlarvt zu werden, in Luft auf. Ich atmete tief durch, inhalierte dabei den würzigen Duft von Harz und Pferdeschweiß – und glaubte plötzlich zu wissen, worum es im Leben wirklich geht.