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Kein geld und keine Muse

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Dabei hatte in den ersten Jahren der Neunziger alles vielversprechend begonnen: neues Leben, neue Liebe, neue Pferde! Das Landleben war seinerzeit schon gar nicht mehr so ungewohnt für mich, fühlte sich aber immer noch richtig und abeneuerlich an. Meine Theaterleidenschaft und mein Ehrgeiz überschatteten allerings zunehmend meine Beziehung mit Bine. Am Ende vernachlässigte ich sie so sehr, dass unsere Verbindung zerbrach. Irgendwann hat Bine es einfach nicht mehr ausgehalten, dass ich mich immer häufiger aus unserem gemeinsamen Allag ausklinkte, um mein »Opus Magnum« zu vollenden. Oft zog ich mich stunenlang in mein Arbeitszimmer zurück oder verließ das Haus, um auf ausgedehnen Streifzügen durch die Natur alles zu vergessen – vor allem sie und die Kinder. Von einem Tag auf den andern waren sie dann weg. Kein Wunder.

Nach unserer Trennung lebte ich monatelang wie ein Eremit, vergrub mich in meine Studien und Schriften, war mal glücklich, mal am Boden zerstört. Nur sehr selten ging ich zum Einkaufen oder unter Leute, um nicht völlig zu vereinsamen und hin und wieder eine fremde Stimme zu hören. Worte verlor ich kaum noch. Ich brachte sie stattdessen zu Papier, auch wenn mich meine Texte oft nicht zufriedenstellten und ich schon gar nicht von ihnen leben konnte. Und so gesellten sich zu meinen künstlerischen Selbstzweifeln und Versagensängsen auch noch chronische Geldsorgen.

»Eigentlich wollte ich nie wieder schnöde Lohnarbeit leisten, sondern ausschließlich von meiner Kunst leben – oder eben sterben.«

Eigentlich wollte ich nie wieder als Zahnrädchen m Mahlwerk des Kapitalismus schnöde Lohnarbeit leisten, sondern ausschließich von meiner Kunst leben – oder eben sterben, falls das nicht gelänge. Das hatte ich mir hoch und heilig geschworen! Doch in der Not frisst der Teufel bekanntlich

Fliegen. So hielt ich mich damals mit Gelegenheitsjobs als Bus- und Taxifahrer über Wasser oder überführte hin und wieder einen Lkw.


Anja lernte ich abends am Lagerfeuer in Südfrankreich kennen, ich jobbte damals als Busfahrer.

Vor allem die Bustouren für einen Reiseveranstalter quer durch Europa hatten dann aber durchaus ihren Reiz, und ich genoss das Leben auf Achse. Auf einer dieser Fahrten lernte ich auch Anja kennen. Wir saßen eines Abends in großer, weinseliger Runde am Lagerfeuer, und ich gab mit meiner Westerngitarre ein paar Bob-Dylan-Songs zum Besten. »How many roads must a man walk down?« Anja wippte sanft mit dem Oberkörper zum Rhythmus, und mit jedem Akkordechsel verschränkten sich unsere Blicke ein wenig enger.

Ein paar Stunden später angelte sie sich dann den klampfenden Busfahrer mit der Wuschelfrisur. Als sie mich auf dem nahe gelegenen, alten Friedhof, den sie sich als Ziel für unseren Nachtspaziergang ausgesucht hatte, so wild und leidenchaftlich küsste, dass mir dabei meine Brille von der Nase rutschte und ich sie auf allen vieren im hohen Gras zwischen den Grabsteinen suchen musste, hätte ich niemals vermutet, dass aus unserem südfranzösischen Liebesabenteuer eine lebenslange Verbindung würde. Praktischerweise wohnte Anja in Kassel, und so konnte sie mich jedes Wochenende in meiner hessischen Schreibidylle besuchen.

Es dauerte nicht lange, und sie zog bei mir ein. Gemeinsam entdeckten wir ein schmuckes Fachwerkhaus im Nachbarort Mansbach. Kauen konnte ich es nur, weil mir mein Vater fianziell unter die Arme griff. Ohne viele Worte zu verlieren, überwies er das Geld. Für unsere ersten beiden Pferde legten Anja und ich dann zusammen. Ich pachtete kurzerhand eine kleie Wiese, erstand günstig einen alten, klapprien Wasserwagen und dazu die nötigen Litzen inklusive Weidezaungerät, um unsere kleine Pferdeherde sicher unterzubringen.


Wir zogen in ein Fachwerkhaus im Nachbarort Mansbach, für Samson und Java pachtete ich eine Wiese.

Langfristige Planung war nie meine Stärke. Im Mai hatten wir Samson und Java gekauft und auf die Weide gestellt. Der Sommer kam über-raschend früh in diesem Jahr; noch dazu war er heiß und trocken und erschien mir damals endlos. So saßen wir an vielen lauen Abenden gemeinsam am Wieenhang und sahen unseren ersten eigenen Pferden dabei zu, wie sie friedlich grasten und mit wedelnden Schweifen Mücken und Fliegen verscheuchten, wähend hinter den Hügeln langsam die Sonne unterging. Das alles war so traumhaft schön, dass ich völlig ausblendete, dass auf diese herrliche Jahreszeit irgendwann auch ein Winter folgen würde.

Der Pferdeversteher

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