Читать книгу Der Pferdeversteher - Uwe Weinzierl - Страница 40
Ein Bild des Jammers
ОглавлениеHabe ich leider nicht. Als wir im Stall ankommen, wälzt sich Samson schweißgeadet im Stroh hin und her. Als ringe das Tier gerade mit dem Tode, reißt es die Nüstern auf und schlägt sich gleichzeitig immer wieder mit den Beinen gegen den Bauch. Anja wirft mir einen fragenden Blick zu, doch damals habe ich noch keien blassen Schimmer, warum sich mein Pferd so merkwürdig verhält. Plötzlich rinnen auch mir kalte Schweißperlen über die Stirn.
»Zum Telefon, jetzt!« Anja spurtet los, ich hinke, so schnell es geht, hinterher. Während der Umstellung von Sommer- auf Winterhaltung haben die Tierärzte in der Gegend Hochkonjunktur. Und doch, wie durch ein Wunder ist die Leitung frei, und der Anruf bringt uns etwas Klarheit: »Das klingt sehr nach Kolik«, meint der Arzt. Ich solle das Pferd aufscheuchen und dann im Schritt oder sogar mögichst im Trab mit ihm spazieren gehen. »Das schaffen Sie schon, ich komme so bald wie möglich, kann aber noch ein bis zwei Stunden dauern.«
»Soll ich Samson führen«, bietet mir Anja an. »Dann kannst du mit deinem Bein zurück auf die Couch?« Ein wunderbarer Plan! Der leider von unserem zweiten
Pferd Java vereitelt wird. Sie tobt, schnaubt und wiehert nervös, um uns unmisserständlich klarzumachen, dass sie auch vor Selbstverstümmelung nicht zuückschrecken würde, würden wir sie jetzt in dieser Situation allein zurücklassen. Um weitere Patienten zu vermeiden und weil sowohl ich als auch Anja noch viel zu unerfahren sind, um Samson und Java alleine im Doppelpack auszuführen, marschieren wir schließlich zu viert die Dorfstraße auf und ab – und bieten dabei ein Bild des Jammers: Ich ziehe wie ein Zombie mein lädiertes Bein hinter mir her, Samson tritt sich in regelmäßigen Abständen gegen den Bauch und versucht sich mitten auf der Teerstraße hinzulegen. Und Anja zeigt mit hängenden Schulern und finsterer Miene, dass sie sich unter Pferderomantik eigentlich etwas aneres vorgestellt hatte.