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Vorwort Der Sonderstatus der Berliner Polizei in der Nachkriegszeit
ОглавлениеPolitische Weitsicht oder verfassungsrechtlicher Zufall? In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg besaßen die Westberliner Polizeipräsidenten einen Sonderstatus: Sie wurden auf Vorschlag des Senats vom Abgeordnetenhaus gewählt – waren also dem Parlament verantwortlich. Außerdem spielte das Besatzungsrecht eine wichtige Rolle. In West-Berlin konnte der Polizeipräsident nur im Einvernehmen mit den drei westlichen Alliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) bestimmt werden. Der erste Polizeipräsident, der nach dem Krieg amtierte und noch für ganz Berlin zuständig war, war direkt von den Sowjets eingesetzt worden.
Das Amt des Polizeipräsidenten war und ist für die Stadt von außerordentlicher Bedeutung. Der jeweilige Polizeipräsident stand immer im Licht der Öffentlichkeit und damit auch der Kritik, denn die öffentliche Sicherheit wird – leider zu Unrecht – als ausschließliche Aufgabe der Polizei empfunden.
Trotzdem hatte die (West-)Berliner Polizei in der Zeit von 1945 bis 1992 lediglich fünf Präsidenten. Doch mit Ausnahme von Georg Moch, der schon bei Dienstantritt durch Kriegsverletzungen schwerbehindert war und deshalb innerhalb von Jahresfrist aus Gesundheitsgründen ausschied, gerieten alle übrigen Präsidenten bei der Ausübung ihrer Funktion mit den zuständigen Politikern in starke Konflikte.
Nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 beauftragten die Sowjets bereits am 19. Mai 1945 Oberst Paul Markgraf, ein Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland, mit der Leitung des im Ostsektor gelegenen Polizeipräsidiums. Er war schon in Moskau auf diese Aufgabe vorbereitet und dann eingeflogen worden. Alle wesentlichen Funktionen wurden mit Kommunisten oder linientreuen Personen besetzt.
Wegen zahlreicher Vorkommnisse – über 5000 Personen waren spurlos verschwunden, nachdem sie festgenommen worden waren; die Stadtverordnetenversammlung wurde vor kommunistischen Übergriffen nicht geschützt; Polizeibeamte waren verfassungswidrig entlassen worden – wurde Markgraf am 26. Juli 1948 vom damaligen Bürgermeister Dr. Ferdinand Friedensburg suspendiert. Einen Monat zuvor waren in den drei Westzonen Deutschlands (20.6.) sowie in der sowjetisch besetzten Zone plus Ost-Berlin (23.6.) jeweils eine Währungsreform durchgeführt worden, nachdem sich die Alliierten auf eine gemeinsame Währungsumstellung nicht hatten einigen können. Am 24. Juni war die Westmark auch in West-Berlin eingeführt worden, und daraufhin hatte die Blockade West-Berlins durch die Sowjets begonnen.
Die Suspendierung des Polizeipräsidenten blieb allerdings wirkungslos, weil Markgraf weiterhin von den Sowjets getragen wurde und der Sitz des Polizeipräsidiums ja in Ost-Berlin lag.
Dr. Johannes Stumm war seit dem 4. Februar 1948 vom Magistrat der Stadt Berlin als stellvertretender Polizeipräsident ernannt. Er wurde von Friedensburg am 26. Juli 1948 (zeitgleich mit der Suspendierung Markgrafs) aufgefordert, die Amtsgeschäfte und Befugnisse des Polizeipräsidenten kommissarisch zu leiten. Diese Funktion trat Dr. Stumm am 28. Juli 1948 in der in West-Berlin gelegenen Polizeikaserne in der Friesenstraße (Kreuzberg) an, obgleich die Sowjets durch einen Befehl ihres Stadtkommandanten, Generalmajor Alexander Kotikow, vom Magistrat forderten, Dr. Stumm wegen »spalterischer Handlungen« fristlos zu entlassen.
Auch diese Maßnahme blieb wirkungslos, weil Dr. Stumm inzwischen in West-Berlin residierte und die drei Westalliierten die Forderung der Sowjets als ungültig betrachteten. Als Stumm am 28. Juli 1948 erklärte, daß nur noch die vom Polizeipräsidium in der Friesenstraße getroffenen Entscheidungen verbindlich seien, war die Spaltung der Berliner Polizei vollzogen. Stumm wurde später offiziell zum Polizeipräsidenten ernannt und schied aus Altersgründen Ende März 1962 aus.
Die nächsten Polizeipräsidenten wurden dann vom Abgeordnetenhaus nach vorheriger Konsultation mit den drei westlichen Alliierten gewählt. Bis auf Georg Moch bekamen die drei weiteren Polizeipräsidenten, Erich Duensing (1962-1967), Klaus Hübner (1969-1987) und Georg Schertz (1987-1992), wegen der häufig schwierigen Amtsausübung im turbulenten Berlin große Probleme mit der Stadtpolitik. Duensing mußte wegen des polizeilichen Einsatzes beim Besuch des Schahs von Persien am 2. Juni 1967, bei dem der Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten erschossen worden war, Ende 1967 in den vorzeitigen Ruhestand treten. Das Polizeivorgehen beim Schahbesuch löste zudem eine Senatskrise aus, die dazu führte, daß der Regierende Bürgermeister, Heinrich Albertz, und der Innensenator, Wolfgang Büsch, zurücktraten. Hübner und Schertz sahen nach 18- beziehungsweise fünfjähriger Amtszeit ihre Vertrauens- und Arbeitsbeziehung zur politischen Leitung als gestört an und baten deshalb um die Abwahl durch das Abgeordnetenhaus, die auch erfolgte.
Es steht außer Frage, daß die Berliner Polizei und damit die für sie verantwortlichen Polizeipräsidenten in dieser Zeit die Geschichte und die Geschicke der Stadt auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und Ordnung, das sowohl für den Staat wie für die Bevölkerung von existentieller Bedeutung ist, wie kaum eine andere staatliche Institution geprägt haben.
Das vorliegende Buch, das von der v.-Hinckeldey-Stiftung herausgegeben wird, möchte diese etwa fünfzigjährige Polizeigeschichte zusammenfassend in einem Werk dokumentieren und dazu beitragen, daß sie für die Gegenwart und Zukunft bewahrt bleibt.
Es will an die umfangreichen »Verwaltungsberichte des Königlichen Polizei-Präsidiums Berlin« für die Jahre 1891 bis 1900 sowie an das Buch »Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik« anknüpfen. Zudem ergänzt es die Darstellungen in der im Jahre 1987 gegründeten »Polizeihistorischen Sammlung« und die 1997 unter dem Titel »Einsatz« erschienenen Erinnerungen des vormaligen Polizeipräsidenten Klaus Hübner.
Das Buch bezieht seine Authentizität daraus, daß Polizeiangehörige, die in verschiedenen Funktionen und Zeitabschnitten tätig waren, über ihre Aufgaben und Funktionen berichten. Ein spezieller Beitrag geht zudem auf die parallel verlaufende Geschichte der Berliner Volkspolizei ein.
Da die Berliner Polizei in der Nachkriegszeit eine besondere Rolle innehatte, die staatspolitisch gewollt war, ist auch die Vorgeschichte von Interesse beziehungsweise die Frage, wie sich die Berliner Polizei oder das Polizeipräsidium stadtgeschichtlich über die Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Auch hierzu will das Buch durch einen Beitrag des renommierten Berliner Historikers Prof. Dr. Laurenz Demps eine Antwort geben.
Die Besonderheit der Berliner Polizei in der Nachkriegszeit soll durch folgende Fakten noch einmal schlaglichtartig charakterisiert werden:
– Bei der Teilung der Stadt in West- und Ost-Berlin wurde zuerst die Polizei geteilt, und zwar am 28. Juli 1948, die Stadtverwaltung folgte im Herbst 1948. Auslöser waren die Währungsreform und die Blockade der Stadt durch die Sowjets im Juni 1948.
– Die Vereinigung der beiden »Stadtpolizeien« fand bereits am 1. Oktober 1990 und damit zwei Tage vor der eigentlichen Vereinigung Deutschlands statt.
– Der Sonderstatus des Polizeipräsidenten wurde mit der Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte (1990) und der Änderung der Verfassung von Berlin (1995) beseitigt. Die Sondervorschrift des Artikels 44 Absatz 2, wonach der Polizeipräsident vom Abgeordnetenhaus zu wählen und abzuberufen sei, wurde aufgehoben.
Noch ein Wort zu Gegenwart und Zukunft: Die Berliner Polizei stand und steht seit der Vereinigung vor großen Aufgaben und Herausforderungen. Sie mußte den Zusammenschluß zweier völlig unterschiedlich ausgerichteter Polizeien vollziehen – ein Unterfangen, für das es keinen Vorläufer gab und auch keine Probezeit, denn die Sicherheit der Stadt sollte bereits mit der Vereinigung am 3. Oktober 1990 voll gewährleistet sein.
Jetzt steht die Stadt vor großen Herausforderungen durch neue Kriminalitätsstrukturen und durch die Hauptstadtfunktion, die zusätzliche polizeiliche Verantwortungen bei gleichzeitiger Reduzierung des Personalkörpers mit sich bringt.
Gerhard Simke
v.-Hinckeldey-Stiftung