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Staat und Stadt Anmerkungen zur historischen Stellung der Polizeigewalt in der Stadtgeschichte Berlins
von Laurenz Demps
ОглавлениеBerlin war lange Zeit nicht nur eine Bürgerkommune, sondern auch Residenz von Kurfürsten, Königen und Kaisern. Sowohl Magistrat als auch der Hof nahmen Einfluß auf die Geschicke der Stadt, wobei sie durchaus unterschiedliche Interessen verfolgten. Von daher bestimmte das rechtliche Verhältnis zwischen Magistrat und Residenz jahrhundertelang über die Geschichte Berlins mit.
Streitpunkte waren die Verfügung über die Polizeigewalt sowie über die Polizei- und Justizbehörden. Diese stellten die organisierende Kraft bei der Umsetzung der staatlichen Gewalt dar.
Der angesprochene Gegensatz entsprang der unterschiedlichen Nutzung des Stadtterritoriums und der Frage, wer in der Stadt bestimmte. Residenz wird hier als »Punkt der größten Verdichtung der Herrschaft« verstanden. 1 Qualitativ muß zwischen Hauptstadt und Residenz unterschieden werden. Hauptstadt wird hier als permanenter Sitz der vom Hof ausgegliederten staatlichen Institutionen verstanden, während Residenz als Ort des sporadischen oder längeren Aufenthaltes des Landesherrn angesehen wird. 2 Der Hauptstadt kommen administrative, verwaltungstechnische und gerichtliche Aufgaben für das ganze Land zu. Sie ist das Rechtsund Kreditzentrum sowie der Hauptort der Einnahmen und Verwaltung der Steuern. Nicht zuletzt wirkt sie auch als Kultur- und Informationszentrum.
Berlin entstand als eine mittelalterliche Kommune, als eine Bürgerstadt. Mit der Verleihung des Stadtrechts erhielt Berlin eine Ratsverfassung und bekam die Selbstverwaltung, die der Stadt eine politisch autonome Stellung in der Mark sicherte. Die verliehenen Rechte waren durchaus denen vergleichbar, die die älteren deutschen Städte errungen hatten. Die Stadt konnte ihre Stellung ausbauen, und als Haupt des mittelmärkischen Städtebundes gewann Berlin in vollem Maße städtische Autonomie. Berlin war eine souveräne Stadt geworden. Das beinhaltete auch die Gerichtsbarkeit und – modern ausgedrückt – die Polizeihoheit über alle Bewohner der Stadt.
Der Landesherr, die Markgrafen von Brandenburg, mußte diese Entwicklung dulden. 1280 tagte in Berlin der erste märkische Landtag, eine Versammlung des Markgrafen mit den Ständen (Bischöfe, Äbte, Adel sowie Städte der Altmark, der Prignitz und der Mittelmark).
Damit trat erstmals das grundlegende Problem für die Stadt auf: Wem und welcher Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt unterstanden die Stände sowie deren Angehörige und Bedienstete, vor allem aber die Angehörigen des Hofes? Sie konnten als landesherrliche Beauftragte und als Vertreter der Landesversammlung, die der Stadt übergeordnet war, nicht der städtischen Obrigkeit unterworfen sein. Sie nutzten zwar städtisches Territorium, waren aber von ihrer Rechtsstellung her dem Regiment der Stadt übergeordnet. Eine Lösung dieses Problems war nur in die Richtung möglich, daß Teile des städtischen Geländes aus der Jurisdiktion der Stadt gelöst und unter landesherrliche Freiheiten gestellt wurden.
Scheinbar ein kleines Problem und leicht zu regeln. Der Landesherr war in der Stadt nur selten anwesend, und seine – wenigen – Beauftragten in der Mark Brandenburg wohnten und lebten zwar in der Stadt, hatten aber im Detail keinen Einfluß auf die städtische Politik. Andererseits jedoch konnte die Stadt sich nicht in ihre Angelegenheiten einmischen.
Nach zahlreichen (zumeist innerstädtischen) Auseinandersetzungen kam es am 26. Februar 1442 zu einer Neuregelung der Verfassung der Stadt, in der der Landesherr sich mehr Rechte zusprach. Es folgte am 29. August 1442 eine Abtretungsurkunde, das heißt, die Stadt trat alles öffentliche Land (Straßen, Plätze, Brücken etc.) an den Kurfürsten ab. Dazu gehörte auch das Gelände, auf dem das Schloß erbaut wurde. Dagegen erhob sich im Jahre 1447/48 Widerstand aus der Bevölkerung – der sogenannte Berliner Unwille -, durch den aber letztendlich die Position des Landesherrn gestärkt wurde.
Im Jahre 1451 war der Schloßbau abgeschlossen, und seine Kapelle wurde 1465 zum Kollegiatstift erhoben. 1470 wurde Berlin ständige Residenz, und für die Hofhaltung wurde eine Ordnung erlassen, laut der die kurfürstliche Hofhaltung etwas mehr als 200 Personen umfaßte.
Mit dem Schloßbau begann die Umwandlung der mittelalterlichen städtischen Kommune in eine kurfürstliche/königliche Residenz. Dieser Vorgang hatte im Detail viele Tücken, vollzog sich voller Konflikte zwischen dem Landesherrn und dem Magistrat und führte letztlich zur Ausschaltung kommunaler Selbstverantwortung.
Das eigentliche Problem bestand darin, daß der Besitz des Landesherrn in der Stadt nicht der städtischen Verwaltung unterstellt werden konnte. Die Vertreter des Landesherrn, seine Bediensteten, kurz: sein ganzer Hof, konnten nicht der Jurisdiktion des Magistrats unterstellt werden, denn der Hof des Landesherrn stand über dem Magistrat. Als Ausweg bot sich das »Burglehen« oder »Freihaus« an. Frei bedeutete hier Freiheit von den bürgerlichen Lasten der Stadt, das heißt von den städtischen Steuern, der Einquartierung und vor allem der städtischen Gerichtsbarkeit.
Die Freihäuser lagen zunächst vor allem in der Klosterstraße. Es handelte sich um den Ort, an dem sich der Markgraf und Kurfürst nebst seinem Hof aufhielt, wenn er in der Stadt weilte, sowie um benachbarte Häuser in der Klosterstraße und Heilig-Geist-Straße, die von Angehörigen seiner Hofhaltung bewohnt wurden. Nachdem Kurfürst Friedrich II. 1451 das neuerbaute Schloß in Berlin bezogen hatte, stiftete er eine Reihe von Burglehen, deren Besitzer im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen den Sitz des Kurfürsten zu verteidigen hatten.
Diesen Stadtbewohnern wurde die Bezeichnung »Eximierte«, Ausgenommene, Befreite, zugelegt. Sie waren ausgenommen und befreit von den städtischen Lasten. Die anderen Bewohner, die Mehrheit, waren die »Imierten«, also die in die städtischen Rechte und Lasten eingesetzten oder eingewiesenen Personen.
Solange die Zahl der zum kurfürstlichen Hofstaat gehörenden Personen klein blieb, ergaben sich wenig Probleme. Kompliziert wurden die Verhältnisse nach dem Dreißigjährigen Krieg, als die Aufstellung des stehenden Heeres, der Festungsbau und eine organisierte Einwanderung anstanden.
Der Gegensatz zwischen Eximierten und Imierten mußte zu Spannungen innerhalb der Stadt führen, denn bei vielen Streitigkeiten mußte zunächst geklärt werden, welcher Verwaltung und damit welchem Gericht der Fall zu überweisen war. Das Aufblühen der Stadt Berlin und das Anwachsen ihrer Bevölkerung waren mit der Auflösung der Verfassung der alten Stadtgemeinde verbunden, da der Rat der Stadt in seiner Funktion als Obrigkeit immer mehr eingeschränkt wurde. Einem unverhältnismäßig großen Teil der Bevölkerung hatte er nichts mehr zu sagen, er war in der Ausübung der Polizei- und Gerichtsgewalt eingeschänkt. 3 Die Anlage neuer Städte im Westen und Südwesten von Berlin komplizierte die Situation noch mehr, denn es gab zwischen diesen neuen Städten (Friedrichswerder, Dorotheenstadt und später Friedrichstadt) und den Altstädten (Berlin und Cölln) keine Beschränkungen im Verkehr, aber Unterschiede in der Unterstellung der Bewohner unter die städtische oder staatliche Verwaltung.
Vier Magistrate regierten nebeneinander, es gab eine starke Garnison, die Zahl der Eximierten und Hugenotten, die keinem der vier Magistrate Gehorsam schuldeten, wuchs. Der Landesherr war als Institution die einzige Macht, die von allen Bewohnern der Stadt Respekt fordern konnte. Folgerichtig ergingen die Verordnungen in Polizeiangelegenheiten im Namen des Kurfürsten und dann Königs. Zwar blieb die Befugnis des Magistrats, Verordnungen in Polizeisachen zu erlassen, erhalten, aber diese waren nur beschränkt wirksam. Doch auch die kurfürstlichen Verordnungen konnten nur schwer oder gar nicht durchgesetzt werden, denn die ausführenden Behörden bildeten wieder die Magistrate, denen aber ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung nicht unterstand.
Was man damals und heute mit dem Begriff der Polizeigewalt meinte beziehungsweise meint, ist nur schwer zu vergleichen. Das Wort Polizei wird vom griechischen politeía (Staat) abgeleitet, und man verstand bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die gesamte innere Verwaltung darunter – sei sie nun städtisch oder staatlich. Sie wurde mit dem Begriff res politicae erfaßt, um sich von der res ecclesiasticae, der kirchlichen Verwaltung, zu unterscheiden.
Das Wort entstand um 1500 in Frankreich und beschrieb die Gesamtheit derjenigen Behörden, die die Aufgabe hatten, Störungen der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, Wohlfahrt und Ordnung entgegenzutreten. Nach der Reichspolizeiordnung von 1530 hatten die Behörden nicht nur Sicherheit und Ordnung herzustellen, sondern auch Sittenlosigkeit und Luxus einzudämmen sowie den Volkswohlstand zu heben. Aus diesem umfassenden Aufgabenverständnis leitete sich die Auffassung ab, daß die Behörden in alle Bereiche des Lebens gewaltsam eindringen dürften. Seit dem 17. Jahrhundert, als das Heerwesen, die Justizapparate und andere Behörden aufgebaut wurden, verstand man dann unter Polizei die innere Verwaltung im weitesten Sinne. Der Bogen reichte von Markt-, Gassen-, Armen-, Gesundheits-, Veterinär- und Baupolizei bis zur Sicherheitspolizei.
Der Bau der Festung Berlin hatte eine neue Institution geschaffen, der alle Bewohner – Bürger, Soldaten, Eximierte und Kolonisten – unterstanden: den Gouverneur der Festung. Er nahm allen innerhalb der Festungsmauer wohnenden Personen gegenüber eine gebietende Stellung ein. Ihm war bereits vor dem Bau der Festung ein Teil der Baupolizei übertragen worden, denn er hatte darüber zu wachen, daß Neubauten nicht die Anlagen und die Funktion der Festung beeinträchtigen. Ihm oblag die Erteilung von Bauerlaubnissen. Dem Gouverneur wurde nach und nach die Polizeigewalt in Berlin übertragen. Damit verbunden war die Aufstellung eines Haushaltes für diese Funktion, denn die Kosten für die Ausübung der Polizeigewalt durch den Gouverneur mußte der Landesherr übernehmen, da der Gouverneur als kurfürstlicher Beamter nicht in Abhängigkeit von den Stadtmagistraten geraten durfte.
Die Einrichtung der Garnison und die Zuwanderung hatten das städtische Armenwesen belastet. Soldatenfamilien, Invaliden und verarmte Einwanderer vermehrten die Zahl der Armen und trieben die Kosten in die Höhe. 1670 beantragte der Magistrat für derartige Aufgaben einen Zuschuß aus den kurfürstlichen Kassen. Der Kurfürst erkannte die Forderung an und übergab dem Gouverneur mit den Geldmitteln auch die Aufsicht. Ähnliches vollzog sich im Bereich des Wachtwesens. Dieses wurde vollständig dem Gouverneur unterstellt. Die Stadt hatte dafür die Kosten zu tragen. Immer weniger Bürger kamen ihrer Pflicht zur persönlichen Dienstleistung nach, sie stellten vielmehr Ersatzgelder, die der Magistrat einzog und von denen er die Mannschaft bezahlte. Die Unterbringung der Soldaten der Garnison war zunächst Sache des Magistrats gewesen, der die notwendigen Gelder – den Servis – einzog und die belegbaren Grundstücke angab. Auch dies wurde nach und nach dem Gouverneur übertragen. Ab 1680 flossen dem Gouverneur jährlich etwa 2000 Taler für Straßenreinigung, Pflasterweg, öffentliche Brunnen, Beleuchtung, Feuerlöschwesen und ähnliches zu. Damit erhielt er die Aufsicht über die Polizeigebiete. 4
Am 17. Januar 1709 erging das königliche »Rescript von Kombinierung der rathäuslichen Kollegien«, mit dem die Vereinigung der vier Magistrate zu einer Stadt befohlen wurde. Das alte Stadtrecht, wie es nach Herkommen und Rechtstiteln bestand, wurde beseitigt. Ohne Befragung oder Beratung setzte sich damit die unbeschränkte landesherrliche Gewalt gegenüber der Stadtgemeinde Berlin durch. In der Folgezeit wurden die Bereiche festgelegt, für die die Stadtgemeinde verantwortlich war: Kirchenwesen, Hospitäler, Schulen, städtische Gerichtspflege und Kämmereiverwaltung. Offen blieb beziehungsweise nicht eindeutig festgelegt wurde die Ausübung der Polizeigewalt und das Verhältnis zum Gouvernement sowie zur Hausvogtei (Gefängnis und Rechtsprechungsstätte).
1733 fing eine Kommission der kurmärkischen Kammer an, die städtischen Finanzen zu untersuchen, wobei sie sich vor allem mit dem Polizeiwesen befaßte. Sie stellte fest, daß es in der Stadt noch nicht einmal ein einheitliches Maß und Gewicht gäbe und keine Aufsicht über das Marktwesen ausgeübt würde. Daraufhin wurde am 16. Juli 1735 das »Patent über die Jurisdiktion in Polizeisachen in der Residenz« erlassen, das die Polizeigewalt des Magistrats auch auf die Eximierten und Soldaten ausdehnte. Das führte zur Trennung von Polizei- und Gerichtswesen und zur Ausformung der Polizeiverfassung. Zu den Aufgaben der Polizei rechnete man die Aufsicht über das Marktwesen einschließlich der Aufsicht über Maß und Gewicht, Vorkäuferei und Wirtshäuser. Hinzu kamen die Aufsicht über das Gesindewesen, das Feuerlösch- und Brunnenwesen, Pflaster und Brücken, Reinhaltung, Beleuchtung und Sicherheit auf den Straßen sowie die Sorge für die Sonntagsruhe.
Gegen diesen Schritt gab es Einwände des Gouvernements und aus den Kreisen der Eximierten, die sich nicht der Polizeibefugnis des Magistrats beugen wollten. Das Generaldirektorium, die 1723 gegründete oberste Innenbehörde des Staates, deren Mitglieder vom König ernannt wurden, entwarf deshalb eine Polizeiordnung, die am 20. Februar 1742 veröffentlicht wurde. Sie schuf die Behörde eines Polizeidirektors, der zugleich Stadtpräsident und wirkliches (nicht ehrenamtliches) Mitglied des Magistrats war. So war zwar die Verbindung zu den städtischen Behörden gewährleistet, aber dieser Polizeidirektor stand faktisch über dem Magistrat, denn er wurde vom König ernannt, also nicht gewählt, und seine vorgesetzte Behörde war das Generaldirektorium. Außerdem wurde der Sonderstatus der Eximierten aufgehoben. Hergestellt war damit die Einheitlichkeit bei der Ausübung der Polizeigewalt. Doch dem Magistrat war die Ausübung der Polizeigewalt genommen, denn der Polizeidirektor war Königlicher Beamter und beaufsichtigte den Magistrat. Dies Vorgehen war der entscheidende Schritt im Prozeß der Umwandlung zur Residenz. Die Polizei stellte die Einheitlichkeit des Handelns des Staates gegenüber den verschiedenen Rechtsgruppen dar, und sie war zum verbindenden Glied geworden.
Erster Polizeidirektor wurde Carl David Kircheisen, der in seiner Amtszeit zahlreiche Widerstände der Eximierten, die an ihren Privilegien festhalten wollten, beseitigte. Waren in Streitfälle aber Soldaten verwickelt, behielt der Gouverneur das Bestrafungsrecht bei polizeilichen Übertretungen. Was das bedeutete, soll ein Blick auf die Einwohnerzahlen Berlins erweisen: Im Jahre 1795 lebten 156 218 Menschen in Berlin, von denen 10 742 Bürger waren; unter den 183 960 Einwohnern im Jahre 1799 befanden sich 45 745 Militärpersonen.
Am 21. Februar 1747 trat eine Neuordnung der Verfassung der Stadt in Kraft, das »Rathäusliche Reglement der Residenzien Berlin«. Vorgesetzter des Magistrats wurde der Königliche Polizeidirektor, der zugleich Bürgermeister war. Er wurde vom König ernannt, während die anderen Mitglieder des Magistratskollegiums durch Wahl ergänzt wurden. Allerdings mußte der König die Wahl bestätigen. Das Wahlrecht blieb zwar unangetastet, aber der König behielt sich die Zuteilung der Ressorts, ja sogar die Bestätigung der Höhe des Gehaltes der Magistratsmitglieder vor.
Kompliziert blieb die Unterstellung unter die Behörden, die die Staatsaufsicht über die Stadt Berlin ausübten. Der Stadtpräsident – zugleich Polizeidirektor – unterstand dem Generaldirektorium, das die entscheidende Position in allen Finanzangelegenheiten der Stadt behielt. Die übrigen Amtsgeschäfte beaufsichtigte die Kurmärkische Kammer, die sich nach und nach in alle Angelegenheiten der Stadt einmischte und den »Magistrat selbständiger Handlungen entwöhnte«. 5
Über diese Struktur mischte sich der König immer stärker und häufiger direkt in die Angelegenheiten der Stadt ein; der Stadtpräsident hielt als Polizeidirektor beim König Vortrag über die Geschäfte der Berliner Stadtverwaltung. So verschwand einerseits jede selbständige Mitwirkung der Bürger Berlins an ihren ureigensten Geschäften, und andererseits nahm die Stadt mehr und mehr den Charakter einer königlich verwalteten und vom Hofe abhängigen Gemeinde an.
Bei den gewählten und bestätigten Mitgliedern des Magistratskollegiums verblieben das Stadtgericht, das Patronat über die Kirchen und das Innungswesen. Das Armenwesen der Stadt verwaltete die Königliche Armendirektion, während die gesamte Polizeiverwaltung aus der Verantwortung des Magistrats völlig ausschied. Diese Struktur von Polizeiverwaltung und Verfassung der Stadt Berlin hielt sich bis zum Jahre 1806.
Entsprechend ihrem Selbstverständnis als Sicherheitsbehörde hatte die Polizei einerseits Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung vorzubeugen, Straftaten zu verfolgen und Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit zu beseitigen sowie Gefahren für den einzelnen und die Gesamtheit abzuwenden und andererseits zur Förderung des Gemeinwohls und der Wohlfahrt mit Zwang in das Recht des einzelnen einzugreifen. Aus dieser Vorgehensweise leitete sich die Bezeichnung Polizeistaat ab. Sie wurde gegen den mittelalterlichen Rechtsbewahrungsstaat gesetzt, und man verstand darunter eine umfassende Tätigkeit auf dem Gebiet der inneren Verwaltung sowie eine umfassende Fürsorge für die irdische Glückseligkeit der Untertanen. Dies entsprang den Auffassungen der Zeit, daß der Landesherr durch die Reformation die Befugnis und die Pflicht hatte, für das Seelenheil und die Existenz seiner Untertanen zu sorgen. Insofern stellte die Tätigkeit der Polizei das weltliche Gegenstück zur kirchlichen Tätigkeit dar. Um dieses Ziel zu erreichen, übertrug man den Behörden das Recht einer umfangreichen Verwaltungsaktivität, die auch das Recht und die Pflicht umfaßten, starke Eingriffe in den Privatbereich der Untertanen vornehmen zu dürfen.
Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 änderte die Aufgaben der Polizei und beschränkte sie im Teil II, Titel 11, Paragraph 10 auf die mit Zwang ausgestattete Staatstätigkeit, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung sowie zur Abwehr von Gefahren angewendet werden mußte. 6 Eindeutig festgelegt wurde in den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts (Teil II, Titel 17, § 12), daß die Polizeibehörde in jedem Fall, durch den die öffentliche Ruhe und Sicherheit gestört wurde, das Recht und die Pflicht des ersten Angriffs und der vorläufigen Untersuchung hatte. Gemäß Paragraph 13 mußte der Fall dann der öffentlichen Gerichtsbarkeit übertragen werden. Dieses rechtsstaatliche Verfahren ermöglichte es der Polizei, ihre Aufgaben wahrzunehmen, sicherte zugleich aber auch den einzelnen Bürger gegen mögliche Willkür ab. Hier läßt sich die Entwicklung vom Polizeistaat zum Rechtsstaat ablesen. Das Allgemeine Landrecht änderte aber nicht die Verfassung der Stadt Berlin, hier behielt der Polizeidirektor seine überragende Stellung.
Nach der Niederlage des preußischen Staates im Krieg gegen Frankreich und nach dem Einzug Napoleons in Berlin am 27. Oktober 1806 bekam die Stadt einen französischen General als Stadtkommandanten und erhielt eine besondere Verfassung. Zunächst wurde jede Unterordnung unter die Kurmärkische Kammer aufgehoben. Am 7. November 1806 wurde ein Comité administratif eingesetzt, das die alleinige Stadtverwaltung und Stadtobrigkeit war und die Verwaltung der Stadt übernahm. Zum Tätigkeitsbereich dieses Komitees gehörte auch das Polizeiwesen. Für diesen Zweck wurde eine Bürgergarde geschaffen, die dem ehemaligen Bürgermeister Büsching unterstand.
Nach der Niederlage von 1806 setzte eine Reform des preußischen Staates ein. Vor allem das Oktoberedikt, das am 9. Oktober 1807 in Kraft trat und die ständischen Beschränkungen für Handel, Gewerbe und Grundbesitz sowie die Beschränkungen der persönlichen Freiheit aufhob, sowie die Städteordnung vom 19. November 1808 bewirkten weitreichende Veränderungen. Die Städteordnung erweiterte die Aufgaben der städtischen Organe. Die verwickelten Verfassungsgesetze für Berlin wurden beseitigt und durch die Städteordnung ersetzt.
Das Königliche Polizeipräsidium entstand am 16. Dezember 1808. Am 5. Januar 1809 bestätigte König Friedrich Wilhelm III. das Polizei-Reglement von Berlin. 7
Darin wurde eine direkte Unterstellung der Behörde unter den preußischen Minister des Innern angeordnet – eine Regelung, die bis nach dem 30. Januar 1933 beibehalten wurde. Der erste Polizeipräsident von Berlin, Justus von Gruner, leitete die Einführung der Städteordnung und ordnete die Verhältnisse derart, daß dem Polizeipräsidium »Befugnisse über die städtische Verwaltung« 8 eingeräumt wurden. Gruner machte am 6. April 1809 in den Zeitungen publik, daß ihm der König die Sorge für Ordnung, Ruhe und Sicherheit in der Stadt übertragen habe. Als Polizeipräsident wurde er unmittelbar dem Minister des Innern unterstellt. Gruners Aktivitäten liefen wegen des Residenzcharakters der Stadt darauf hinaus, städtische Einflußnahmen im Bereich des Polizeiwesens auszuschalten. Das Gouvernement verlor seine Verwaltungsaufgaben für Berlin, die ausnahmslos auf den Polizeipräsidenten übergingen. 1810 wurde ein engerer Polizeibezirk geschaffen, der die Stadt selbst und das Weichbild umfaßte, sowie ein weiterer Polizeibezirk, zu dem die Stadt Charlottenburg und eine Reihe von Orten im Kreis Teltow und Niederbarnim gehörten. In diesem Raum sollte nach Paragraph 3 der Polizeipräsident für die »öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung« sowie »die Vorbeugung und Stillung von Aufläufen, Ausmittlung und Ergreifung von Verbrechern und Veranlassung von General-Visitation« verantwortlich sein. 9 Maßgebend war dabei die Erkenntnis, daß Täter und Tätergruppen aus Berlin im Umland beziehungsweise umgekehrt aus dem Umland in der Stadt agierten.
Die neue Kompetenzverteilung wurde für kurze Zeit aufgehoben, als Berlin am 20. April 1815 eine Regierung bekam, die besondere Befugnisse erhielt, die weit über die anderer Regierungen hinausgingen. Insbesondere wurde ihr das gesamte Polizeiwesen unterstellt. Regierungspräsident wurde Paul Ludwig le Coq, unter dessen Leitung ein Polizeidirektor die Aufgaben der Ortspolizei versah. Am 21. Dezember 1821 hob eine Kabinettsorder diese Regierung wieder auf und schuf die Behörde des Polizeipräsidenten neu. Die Stadt Berlin und der Polizeipräsident wurden direkt dem Minister des Innern unterstellt, beide waren zwar gleichrangig, aber der Polizeipräsident erhielt die Staatsaufsicht über den Magistrat. 10
Das erweiterte Polizei-Reglement vom 18. September 1822 bestimmte, daß das »Polizeipräsidium eine in sich vereinigte Behörde« sei, das heißt zugleich Landesund Ortspolizeibehörde. Paragraph 2 erläuterte die Festlegung mit den Worten, daß das Präsidium »in der Regel sowohl alle diejenigen Befugnisse und Verpflichtungen, welche den Regierungen als Provinzial-Behörden zustehen und obliegen, als auch diejenigen auszuüben und zu erfüllen habe, welche den Lokalpolizei-Obrigkeiten« übertragen worden waren oder noch zu übertragen seien. Im Zusammenhang mit der direkten Unterstellung unter den Innenminister, die hier wiederholt und durch die Unterstellung sowohl des Präsidenten als auch der Angehörigen des Präsidiums unter die Disziplinargewalt des Innenministers bekräftigt wurde, zeichnete sich die besondere Stellung der Behörde ab. Dem Berliner Magistrat – so wird in Paragraph 29 erklärt – steht »zufolge der eigentümlichen Stellung des Polizei-Präsidiums in der Verwaltung der dieser Behörde zugewiesenen polizeilichen Geschäftsgegenstände und Fonds in keiner Art eine Einmischung oder Kontrolle zu«. 11 Ein derartiges einmaliges Vorgehen erklärte sich aus der Stellung Berlins, das Hauptstadt des preußischen Staates und Residenz war. Da sich immer mehr Menschen in der Stadt zusammenballten, bekam die Frage nach der Beherrschbarkeit des Regierungssitzes eine große Bedeutung. Die Einzelheiten, die das Polizei-Reglement festhielt, belegen, daß das Polizeipräsidium die entscheidende Verwaltungsbehörde der Stadt geworden war. Es gab kein kollegiales Verfahren der Verwaltung, die Haftung für sämtliche Geschäfte übernahm der Polizeipräsident in persönlicher Verantwortung.
Zugleich orientierte sich die räumliche Zuständigkeit des Präsidiums wieder an der Bestimmung des Jahres 1810. Die 1810 zum weiteren Polizeibezirk gehörenden Orte kamen in den sechziger Jahren zum Territorium von Berlin. Eine erneute Ausdehnung der Befugnisse des Polizeipräsidenten auf die Umgebung von Berlin erfolgte mit dem Gesetz vom 12. Juni 1889, das bestimmte, daß die Stadtkreise Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf einen Landespolizeibezirk Berlin bilden. 12 Weiterhin gehörten folgende Orte dazu: Deutsch-Wilmersdorf, Lichtenberg, Reinikkendorf, Weißensee, Stralau und Rummelsburg. 1901 wurden diesem Bezirk noch Tempelhof, Treptow, Britz, Pankow und Tegel hinzugefügt.
1844/45 geriet Preußen in eine Agrarbeziehungsweise Wirtschaftskrise, aus der sich eine politische Krise entwickelte. Ihre tiefere Ursache lag in der Verweigerung politischer Reformen und einer demokratischen Modernisierung. Der Staat wollte zunächst nicht eingreifen, und als er es doch tat, geschah es in einer Art und Weise, die das Heraufziehen der Katastrophe eher beschleunigte, statt ihr gegenzusteuern.
Die Verweigerung von Reformen lag am Festhalten an überholten Strukturen; die Eliten (Krone, Adel, Militär) waren nicht in der Lage, die Veränderungen wahrzunehmen, die die industrielle Revolution mit sich brachte. Berlin war auf dem Wege, die größte Industriestadt Preußens und eine der wichtigsten in Europa zu werden, und hatte sich in der ersten Phase der europäischen Eisenbahnentwicklung zu einem Verkehrsknotenpunkt entwickelt Neue Schichten, das Bürgertum und vereinzelt auch schon die Arbeiterschaft, drängten nach vorn und verlangten politische Mitsprache. Die Forderungen nach politischer Gleichstellung aller und einer konstitutionellen Verfassung lösten im Februar und März 1848 im Deutschen Reich – und auch in Berlin – eine Revolution aus, die jedoch 1848/49 niedergeschlagen wurde.
In dieser spannungsgeladenen Situation kam der im November 1848 ernannte Polizeipräsident Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey zum Zuge, der konservative mit modernen Vorstellungen verband. Er zeigte sich zunächst als Politiker, der auf die Restitution der königlichen Macht zielte, und stand auf der Seite von General von Wrangel, der im November 1848 das Stadtzentrum Berlins besetzte und die Nationalversammlung auflöste. Bezeugt ist jedoch auch, daß er den Sinngehalt einiger, allerdings nicht genuin politischer Forderungen der Barrikadenkämpfer des Jahres 1848 anerkannte. Er wollte seine Möglichkeiten nutzen, schob alles Hinderliche beiseite und begann in seinem Tätigkeitsbereich – eben Polizei nach damaligem Begriff –, die notwendigen Veränderungen, sprich kommunale Verbesserungen, herbeizuführen. Er organisierte die gesamte Polizeiverwaltung Berlins um, damit ein Beispiel für andere größere Städte gebend.
Der erste Schritt war bereits mit der Bildung der Schutzmannschaft (23. Juni 1848) getan worden. 13
Hinckeldey reorganisierte sie und richtete die Exekutive militärisch aus, um ein schlagkräftiges Instrument gegen mögliche Unruhestifter zu haben. Dann aber folgten die ersten Schritte zur Modernisierung der städtischen Infrastruktur: reorganisierte Straßenreinigung, Einrichtung von öffentlichen Speise-, Wasch- und Badeanstalten, Eröffnung der ersten Herberge für stellungslose weibliche Dienstboten, Reform der Gefängnisse in Berlin, Aufbau der Wasserversorgung von Berlin, Vorantreiben der öffentlichen Beleuchtung der Stadt, Aufbau einer Feuerwehr, die dann in Berlin als besonders mustergültig galt, Vernetzung – um den modernen Begriff zu gebrauchen – der Polizeistationen und der Feuerwehr durch Telegraphie, Einführung des Kooperationszwanges für die Berliner Fabrikarbeiter (1853), allerdings mit dem Verbot der politischen Betätigung, und Vorbereitung der Fluchtliniengesetzgebung.
Dem gegenüber stand die Bildung der Geheimpolizei, aus der später die Politische Polizei hervorging. Ein Netz polizeilicher Überwachung, von Spitzeln unterstützt, überzog ganz Berlin, und das Ziel der Politischen Polizei war es nicht nur, politische Gegner zu verfolgen, sondern sie zu vernichten. Es soll hier nicht der Vorwurf erhoben werden, daß eine Politische Polizei aufgebaut wurde, sondern daß sie versuchte, menschliche Existenzen zu zerstören, und daß Unschuldige eingesperrt oder aus dem Lande vertrieben wurden. Derartige Verfolgungen trafen insbesondere während der Zeit des Sozialistengesetzes (Versammlungs-, Organisations- und Publikationsverbot für die Sozialdemokratie 1878-90) viele Menschen.
Mit den von Hinckeldey eingeleiteten Veränderungen begann ein Prozeß der Umgestaltung der Stadt, die sie zu einer der modernsten Europas machte. Der Verwaltungsorganismus konnte auf alle kommunalen Anforderungen meisterhaft reagieren. Wer die drei Verwaltungsberichte des Berliner Polizeipräsidenten aus der Zeit zwischen 1871 und 1914 zur Kenntnis nimmt, wird dem zustimmen können. Alles war für den Bürger in die Wege geleitet, alles klappte wie am Schnürchen – von der Sauberkeit der Straßen bis zur medizinischen Versorgung. Alles war überschaubar geworden und konnte nur noch besser werden. Auch Hinckeldey frönte – wie viele zu seiner Zeit – einem unbedingten Fortschrittsglauben, meinte aber, daß nur die königliche Verwaltung ihn wirklich durchsetzen könne.
Vom 18. Jahrhundert bis zur Revolution von 1918/19 war das politische Denken in Deutschland von einem angenommenen Gegensatz zwischen »Staat« und »Gesellschaft« bestimmt. 14 Mit der Reform der Stadtverfassung hatte Freiherr vom und zum Stein im Jahre 1808 beabsichtigt, diese strikte Antimonie von Staat und Gesellschaft aufzulockern und die im städtischen Bürgertum vorhandenen Kräfte für die preußische Monarchie nutzbar zu machen.
Somit entwickelte sich die kommunale Selbstverwaltung zu einem politischen Emanzipationsforum der auf staatlicher Ebene zunächst machtlos bleibenden gesellschaftlichen Kräfte. In seinem Stadtregiment sah das liberale Bürgertum über Jahrzehnte hin ein Unterpfand seiner Opposition gegen den Obrigkeitsstaat. Auch in Berlin nahmen die alteingesessenen liberalen Bürger die Selbstverwaltung als Möglichkeit wahr, bürgerlich-genossenschaftliches Selbstbewußtsein zu entwickeln und sich damit gegenüber dem zentralstaatlichen Absolutheitsanspruch abzugrenzen. Als mit der Reichsgründung von 1871 die Städte von bloßer Hoheits- und Vermögensverwaltung zur Leistungsverwaltung übergingen, war damit auch ein gesamtgesellschaftlicher Wandel verbunden. Mit dem neuen Selbstverständnis, Dienstleistungseinrichtung für die Bürger zu sein, übernahm die städtische Verwaltung – wie der Staat – zunehmend vorsorgende Aufgaben. Weil Staat und Gemeinde somit das gleiche Ziel – die Fürsorge für den Bürger – verfolgten, entschärfte sich der krasse Gegensatz zwischen beiden öffentlichen Verwaltungen; die Selbstverwaltung löste sich mehr und mehr aus der Oppositionsrolle, in die sie sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts begeben hatte.
Das Verhältnis zwischen den beiden Machtfaktoren blieb in Berlin dennoch angespannt, hatte die Stadt doch die besondere Funktion einer Haupt- und Residenzstadt. Auseinandersetzungen zwischen städtischen Gremien und dem Herrscherhaus hatten bereits eine lange Tradition. Die preußische Regierung und das »Rote Rathaus« bildeten die beiden Kräfte, die in Widerstreit miteinander gerieten. Konservativer Politik auf der einen Seite standen bürgerliche Eliten, im linken Flügel des Liberalismus organisiert, gegenüber. Der König war bestrebt, über den Polizeipräsidenten großen Einfluß auf die städtische Politik zu behalten und sich Geltung in der Stadt zu bewahren. Von daher wurde die staatliche Aufsicht über die städtische Politik in Berlin sehr streng gehandhabt.
Die kommunale Verwaltung befand sich in ständiger Auseinandersetzung mit staatlichen Behörden, so mit der Ministerial-, Militär- und Baukommission, der die fiskalischen Gebäude, Grünflächen und Wasserstraßen im Stadtbereich unterstanden. Angelpunkt des schwierigen Verhältnisses war die starke Stellung des Polizeipräsidenten. Er hatte die Polizeigewalt und besaß die Befugnisse eines Regierungspräsidenten. Als Vertreter der bürokratisch-konservativen Staatsgewalt natürlicher Gegner des Liberalismus der Selbstverwaltungsorgane, wirkte er als ein starker Rivale des Magistrats, mit dem er sich über Zuständigkeiten und seine Amtsführung stritt.
Als erstes Beispiel für diese Auseinandersetzungen sei auf die Verwaltung der Straßen der Stadt verwiesen, die ja seit 1442 im Besitz des Landesherrn waren. Eine Königliche Kabinettsordre aus dem Jahre 1838 bestimmte, daß die vor dem 1. Januar 1837 innerhalb der Stadtmauer neu errichteten Straßen und Brücken weiter dem Fiskus gehörten und von ihm zu unterhalten seien. Alle nach diesem Zeitpunkt neu angelegten Straßen sollten von der Stadt unterhalten werden. Der Fiskus sicherte sich aber die Eigentumsrechte, das heißt, die Stadt trug die Kosten und die Verantwortung, das Verfügungsrecht indes blieb ihr versagt. Nach langen Verhandlungen kam es im Dezember 1875 zu einer neuen Einigung, laut der die Verwaltung und der Unterhalt aller öffentlichen Straßen, Plätze und Brücken in die Hände der Stadt übergingen.
Als »spektakulärste Form staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten« auf die städtische Selbstverwaltung galt das Recht des Königs, die kommunalen Spitzenbeamten, den Oberbürgermeister, zu bestätigen. 15 In der preußischen Haupt- und Residenzstadt wurde dieses Genehmigungsverfahren zur Kraftprobe zwischen König und städtischem Selbstbewußtsein; überliefert sind die geduldigen Worte des Berliner Oberbürgermeisters Martin Kirschner, dem der König lange Zeit die Bestätigung vorenthielt: »Ich kann warten!« 16
Der Kirchbaulaststreit am Ende des 19. Jahrhunderts zeigte dann das gewonnene Selbstbewußtsein der Kommune, dokumentierte zugleich aber auch, daß es um mehr als eine Auseinandersetzung zwischen Magistrat und Polizeipräsidium ging. Der Streitpunkt war die Finanzierung des Neubaus von evangelischen Kirchen in der immer größer werdenden Stadt. Die Stadt war fest entschlossen, sich nicht den kirchlichen Forderungen nach Finanzierung des Kirchenbaus zu fügen, zog vor die Gerichte und bekam sowohl vom Kammergericht (13. März 1903) als auch vor dem Reichsgericht (13. Juni 1904) Recht. Damit war die anstehende Trennung allgemein-öffentlicher und kirchlicher Belange, die sich im Zuge der Modernisierung in der gesamten deutschen Gesellschaft herauskristallisierte, frühzeitig und punktuell für die Stadt Berlin vollzogen.
All diese Entwicklungen vollzogen sich schrittweise und waren von Konflikten zwischen Magistrat und Polizeipräsidium begleitet. Die Novemberrevolution von 1918 beziehungsweise die Ausrufung der Republik hatte eine Entschärfung des Konflikts zur Folge. Denn die einstigen Streitpunkte wurden unbedeutend, da die Sicherung der königlichen/kaiserlichen Macht als Aufgabe wegfiel und die Widersprüche der Gesellschaft sich in andere Bereiche verlagerten. Gegenüber der Stadt behielt das Polizeipräsidium als Staatsaufsichtsbehörde zwar die überragende Stellung, aber das Präsidium beschränkte sich immer mehr darauf, nur Aufsichtsbehörde zu sein. Zahlreiche Aufgaben gingen in die städtische Verwaltung über, wie die Baupolizei, die nun unter der Bezeichnung Bauaufsicht zur städtischen Aufgabe wurde.
Nach dem Abflauen der politischen Kämpfe in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg traten Bestrebungen hervor, den Polizeikörper zu zentralisieren. Das führte zur Schaffung einer eigenen Polizeibehörde auf Landesebene sowie zu einer Trennung der Kriminalpolizei und der Politischen Polizei von den anderen Polizeiorganen. Zugleich verlagerte sich damit auf kriminalpolizeilichem und politisch-polizeilichem Gebiet der Schwerpunkt nach Berlin in das Polizeipräsidium, wo alle Fäden zusammenliefen.
Das Militär hatte durch den Versailler Vertrag von 1919, gemäß dem es auf 100 000 Mann verkleinert worden war, seine überragende Position bei der Wahrung der inneren Sicherheit verloren. 1919 dachte man zunächst daran, eine militärisch gegliederte, straff geführte Sicherheitspolizei aufzubauen, doch das verboten die Alliierten 1920.
Ausdruck dieser Zentralisierungstendenzen war der Erlaß des preußischen Innenministers vom 20. Mai 1925 über die Bildung eines Landeskriminalpolizeiamtes: »Die Regierungspräsidenten und der Polizeipräsident von Berlin haben bei den in der Anlage 1 ersichtlichen staatlichen Polizeiverwaltungen ihrer Bezirke ›Landeskriminalpolizeistellen‹ einzurichten...«, und »bei dem Polizeipräsidium in Berlin wird ein Landeskriminalpolizeiamt eingerichtet«. 17 Dieser Landeskriminalpolizeistelle (Lkst.) beziehungsweise dem Landeskriminalpolizeiamt (LKPA) mußte von den Ortspolizeibehörden in folgenden Fällen Anzeige erstattet werden: Verbrechen und Vergehen, die sich gegen den Bestand und die Sicherheit des Staates richten, zum Beispiel Hochverrat, Landesverrat, Verrat militärischer Geheimnisse, Verbrechen und Vergehen gegen das Gesetz zum Schutz der Republik sowie alle strafbaren Handlungen, die auf einen politischen Beweggrund zurückzuführen waren. Im eigentlichen Sinne wurden die bestehenden kriminalpolizeilichen Stellen des Polizeipräsidiums zum Landeskriminalpolizeiamt umgebildet und das Präsidium mit den notwendigen kriminaltechnischen Ausrüstungen versehen.
Mit der »Centrale der Staatspolizei«, der politischen Polizei, besaß das Polizeipräsidium ein im ganzen Reichsgebiet operierendes Organ. Das Handbuch der preußischen Verwaltung schrieb 1928: »Eine einheitliche Organisation besteht jedoch für die Bekämpfung des Landesverrats (Spionage). Für diese Straftaten ist das Pol. Präs. (Landeskriminalamt) als Zentralstelle bestimmt. Die Geschäfte werden erledigt durch die Staatspolizei-Zentralstelle (C.St.), eine Unterabteilung der Abteilung I A.« 18 Polizeirat Hennig teilte 1925 mit, daß diese Zentralstelle an allen Ermittlungen beteiligt war, die im Zusammenhang mit den 318 Personen durchgeführt wurden, die im Jahre 1924 wegen Landesverrat im Deutschen Reich verurteilt worden waren. 19
Mit dieser Ausweitung der Zuständigkeit erfolgte eine wesentliche Akzentverschiebung der Tätigkeit des Polizeipräsidiums von der Stadt weg hin auf die Tätigkeit für das Land Preußen. Der alte Konflikt zwischen Stadt und Staat hatte sich entschärft, andere politische Konflikte bestimmten die Tätigkeit des Präsidiums.
Am 20. Juli 1932 setzte Reichskanzler Franz von Papen durch Notverordnungen die geschäftsführende Regierung von Preußen ab und ließ die preußische Polizeiführung in Berlin durch Reichswehr verhaften. Dieser sogenannte Preußen-Schlag vernichtete unter anderem die Möglichkeit, die Demokratie von Weimar mit Hilfe der Polizei zu verteidigen, entfernte demokratische Politiker von ihren Positionen und spielte den mächtigen Apparat der Berliner Polizei in die Hände der Kräfte, die diesem Staat feindlich gegenüberstanden und eine Diktatur errichten wollten.
Nach dem 30. Januar 1933, nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, verlor das Berliner Polizeipräsidium seine überragende Position in der Verwaltung und in der Exekutive. Zunächst wurde mit dem Gesetz vom 26. April 1933 die Abteilung I (vormals I A), die Politische Polizei, zum Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) umgebildet und dem preußischen Ministerium des Innern unterstellt. Im Präsidium entstand – ebenso wie an den anderen Sitzen der Regierungspräsidenten – eine Gestapostelle mit Außenstellen (Gestapo). Diese waren noch lose mit der regionalen staatlichen Verwaltung verbunden. Alles zielte darauf, die Außenstellen direkt und unmittelbar dem Gestapa zu unterstellen, sie zu nachgeordneten Behörden der Zentrale zu machen. Mit dem Erlaß Hitlers vom 17. Juni 1936, der den »Reichsführer SS« Heinrich Himmler als Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern einsetzte, wurde die Polizei »verreichlicht«, das heißt, das bisher für die Polizei geltende Landesrecht verlor seine Bedeutung. Die folgende grundlegende Neuorganisation der Polizei löste die Gestapo als Politische Polizei aus den letzten Zusammenhängen mit den Ländern und machte die regionalen Organe zu nachgeordneten Vollzugsorganen der Reichsbehörden.
Das Landeskriminalpolizeiamt des Berliner Polizeipräsidiums wurde noch 1933 aus dem bisherigen organisatorischen und rechtlichen Rahmen gelöst und ebenfalls dem Innenminister unterstellt. Als regionale Stelle erhielt das Präsidium eine Kriminalpolizeistelle, die nur noch lose mit dem Präsidium in Verbindung stand. Mit Erlaß vom 26. Juni 1936 kam das Landeskriminalpolizeiamt zum Hauptamt »Sicherheitspolizei« beim Chef der Deutschen Polizei. Am 20. September 1936 erging die Weisung des Reichsinnenministers Wilhelm Frick zur Neugliederung der Kriminalpolizei. Das preußische Landeskriminalpolizeiamt wurde zum Reichskriminalpolizeiamt mit 15 Zentralstellen umgebildet (16. Juli 1937), dem zunächst 13 Kriminalpolizeileitstellen und fünfzig Kriminalpolizeistellen unterstellt waren. Die Kriminalpolizeileitstelle in Berlin war nun nicht mehr dem Polizeipräsidium unterstellt. Es bestanden arbeitsmäßige Beziehungen.
Räumlich blieb die Kriminalpolizei im Präsidium am Alexanderplatz, war dem Polizeipräsidenten aber nur indirekt unterstellt. Die Zentralbehörde als vorgesetzte Dienststelle griff wegen der Funktion und Position Berlins als Reichshauptstadt immer wieder und immer öfter in die Geschäfte des Präsidiums ein, das faktisch eine nachfolgende Behörde der zentralisierten Reichsbehörden geworden war.
Aufgrund des Gesetzes zum Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 gingen die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich über. Das hatte weitere Folgen für die Polizei in Berlin. Die Landespolizei Preußen erhielt zahlreiches Personal und technische Ausrüstungen von der Berliner Polizei. Nur ältere Beamte blieben bei der Schutzpolizei, deren Stärke Ende 1934 bei rund 4000 Mann lag. 1935 ging die Landespolizei in die Wehrmacht über, woraufhin der Wiederaufbau der Schutz- und Revierpolizei erforderlich wurde. Im Zuge der »Verreichlichung« und Zentralisierung der Polizei kam es zur Bildung eines Hauptamtes Ordnungspolizei, dem Ende 1936 erneut rund 14 000 Beamte in Berlin unterstanden. Dazu gehörten zum Beispiel die Berufsfeuerwehren – nun unter der Bezeichnung Feuerschutzpolizei –, die Wasserschutzpolizei sowie die Verwaltungspolizei. Über sie gebot der Polizeipräsident aber nur eingeschränkt, er war Zwischen- oder Mittelinstanz gworden. Die Verwaltungspolizei, die die Einheitlichkeit des inneren Dienstes zu gewährleisten hatte, geriet immer stärker in die Hände der Gestapo.
Die Staatsaufsicht über Berlin, die der Polizeipräsident bisher innehatte, wurde mit der Einsetzung des Stadtpräsidenten am 31. Mai 1933 eingeschränkt. Über verschiedene Stufen gingen dann die Aufsichtsrechte bis zum 1. Januar 1936, dem Tag des Erlasses einer neuen Verfassung für Berlin, völlig verloren. Als Aufsichtsbehörde fungierte nunmehr ein Staatskommissar für Berlin. Nur über die Fremdenpolizei gebot das Präsidium noch voll, war aber dabei fest an Weisungen der Gestapo gebunden. Hinzu kamen Verkehrsund Gewerbepolizei sowie die Aufsicht über das Gesundheits- und Veterinärwesen.
Der Polizeipräsident in Berlin war Ortspolizeibehörde geworden, alle landespolizeilichen Befugnisse und die Aufgabe der Staatsaufsicht waren verloren. Das Präsidium blieb aktiver Teil der zentralen Reichspolizei, griff aber selbst nicht mehr gestaltend ein. Es war ausführendes Organ der auf Terror und auf Vernichtung von Menschenleben ausgerichteten menschenverachtenden Politik der Nazis.
Mit der Bildung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) war die nationalsozialistische Zentralisierung der Polizeiorgane vollzogen; das Berliner Präsidium stand räumlich mit der Zentrale und den regionalen Behörden dieser Terrorzentrale in Verbindung. Auch hier galt die Sicherung des Regierungssitzes als oberstes Gebot, und das Präsidium hatte seinen Anteil an der Umsetzung der Gewaltkonzepte der NS-Herrschaft, bestimmte aber nicht mehr.
Am 5. August 1944 wurde durch Reichsgesetz die Dienststelle des Stadtpräsidenten unter Erweiterung der Kompetenzen zum »Regierungspräsidenten von Berlin« umgewandelt. Dieser Dienststelle wurden unter anderem die Preußische Bau- und Finanzdirektion und das Polizeipräsidium von Berlin unterstellt. Die Funktion des Regierungspräsidenten übernahm Propagandaminister Joseph Goebbels, sein Stellvertreter war Dr. Maretzky.
Anfang April 1945 begann im Berliner Präsidium die Vernichtung der Personalakten, der Strafakten und anderer belastender Unterlagen. Am 27. April räumten die letzten Angehörigen die Ruine der »Zwingburg« am Alexanderplatz; das einst so mächtige Berliner Polizeipräsidium gab es nicht mehr.