Читать книгу Verraten - Vanessa S. Kleinwächter - Страница 12

Sieben

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„Verwunschene dreimal bei Halbmond gequirlte Ziegenscheiße!“, fluchte ich viel zu laut. Waren wir doch entdeckt worden?! Hatte uns wer verraten? War tatsächlich irgendwer spontan auf die Idee gekommen, einfach mal auf gut Glück einen Kontrollgang zu machen? War Haxxley entgegen aller Erwartungen der goldene Verlust in seinem Büro bereits aufgefallen? Bedeutete das, dass ich von der Schule fliegen würde - gerade jetzt, wo meine Adoptiveltern es mir wirklich nicht mehr verbieten konnten? Mein Herz hämmerte, als wollte es an meiner Stelle davonlaufen, während ich nur wie versteinert dastehen und panisch Richtung Tür starren konnte. Aus den Augenwinkeln machte ich aus, dass die Anderen völlig unbeeindruckt wirkten. Keine Spur von Angst – ganz in Gegenteil. „Komm halt rein, du weißt doch, dass wir hier sind!“, rief Nathan lachend. Verwirrt schaute ich erst ihn an, dann zurück zur Tür, die inzwischen geöffnet worden war. Im Rahmen stand Jake und lächelte breit.


„Jake!“, rief ich, weil mir vor Überraschung nichts Sinnvolleres einfiel. „‘Tschuldigung, dass ich zu spät komme“, antwortete der und lachte über mein irritiertes Gesicht. „Und alles, alles Gute, Ella!“, fügte er hinzu und drückte mich an sich. „Danke! Schön, dass du da bist! Ich dachte, du schaffst es nicht!?“ „Das dachte ich auch… aber ich lasse mich doch nicht davon abhalten, bei deinem zweihundertzweiundzwanzigsten Vollmond dabei zu sein!“, gab Jake zurück und stemmte in gespielter Entrüstung die Hände in die Seiten. Er und Nathan tauschten ein verschwörerisches Zwinkern aus. Ein Leuchten flutete durch meine Seele und vertrieb die Anspannung, die mich wenige Momente zuvor noch gequält hatte. Jetzt war die Party endlich doch noch komplett! „Willst du Kuchen?“, fragte ich. „Klar, ich bin am Verhungern! Diese beschissenen Sicherheitszonen, ne? Als ob ich nicht in der Lage wäre, sicher über das Vetmia-Gebirge zu schweben! Aber nein, natürlich musste ich wieder einmal den ganzen Weg hierher laufen. Mitten in der Nacht auch überhaupt nicht gefährlicher, als einfach über die ganzen Schluchten und Gerölle hinweg zu segeln…“ „Nein, das wäre zu einfach“, erwiderte ich seinen Sarkasmus und reichte ihm ein Stück lila Torte. „Andererseits muss ich zugeben, dass so eine nächtliche Bergwanderung auch ihre guten Seiten hat. Der Sternenhimmel ist wirklich unheimlich schön heute Nacht! Fast, als hätte er sich extra schick für deine Mondfeier gemacht“, zwinkerte er und fing an, sein Tortenstück zu verdrücken. Ganze drei Stücke Torte genehmigte sich Jake, aber das war okay, denn wir hatten schließlich alle bereits ordentlich zugelangt und bisher noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Dann wandte er sich seiner Umhängetasche zu. Es dauerte nicht lange, bis er ein kleines rechteckiges Päckchen ans Licht beförderte und mir überreichte: „Alles Gute zu deinem zweihundertzweiundzwanzigsten Vollmond nochmal, Ella!“ Seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten so aufgeregt, dass ich gar nicht die Geduld hatte, das Papier sorgfältig zu entfernen. Vielmehr zerfetzte ich es einfach und ließ es achtlos fallen. Im nächsten Moment blickte ich auf den feuerroten, leicht brüchigen Umschlag eines Buches, das älter sein musste als ich selbst. „Du verarschst mich doch!“, entfuhr es mir - nun ebenfalls schon zum zweiten Mal in dieser Nacht. Das alles war fast zu gut, um wahr zu sein. Jake legte den Kopf schief und schaute mich mit großen Augen an. „Gefällt es dir etwa nicht?“, fragte er mit gespielter Enttäuschung. „Nee. Find ich total scheiße. Wie kamst du denn auf die Idee?“, gab ich trocken zurück. Lange hielt ich es jedoch nicht aus, bevor ich ihm so stürmisch um den Hals fiel, dass mir das Buch aus der Hand rutschte. Kurz bevor mein neuer Schatz zu Boden krachen konnte, fing Liz ihn auf und las vor: „Der Steinerne Turm. Erstausgabe.“ „Wo hast du das denn aufgetrieben?!“, fragte ich und ließ Jake dann doch mal los, bevor ich ihn noch erstickte. „Ich hab halt so meine Wege…“, antwortete er grinsend. Zur Antwort streckte ich ihm die Zunge heraus. „Eines Tages bringt mich deine verdammte Geheimnis-krämerei noch um den Verstand!“ „Welcher Verstand denn noch?“ „Auch wieder wahr.“ Ich zuckte mit den Achseln und wir brachen beide in Gelächter aus. Dann angelte ich mir das Buch von Zoé zurück, um es genauer zu betrachten. Noch immer konnte ich nicht so richtig glauben, dass Jake es geschafft hatte, an diese Ausgabe dieses Buches zu kommen. Des Buches, das mein Leben komplett verändert hatte, wegen dem ich überhaupt nur hier war. Ein gedankenvolleres Geschenk, als ich von meinen Adoptiveltern jemals bekommen hatte. Ich schob die Erinnerung an meine schmerzhafte Vergangenheit zur Seite und schlug das Buch vorsichtig auf:

Dort schwebten sie nun, Evan und Aala Lumtur. Die sieben Dorfältesten standen um sie herum und reckten die Hände gen Himmel, als trügen sie die beiden, ohne sie wirklich zu berühren. Von ihren Handflächen strahlten farbige Lichter empor, die sich um die Körper meiner Eltern herum ineinander verschlangen. Der Regenbogen, das Symbol für das Alles: Das Lachen, das sie uns im Laufe ihres Lebens geschenkt hatten, und die Tränen, die wir nun vergossen. Die Sonne und der Regen. Der Morgen und der Abend. Der Anfang und das Ende. In diesem Fall vor allem das Ende. Und die Einsamkeit. Wer hatte sich das überhaupt ausgedacht, diese bunten Farben, wenn in mir doch nur noch Dunkelheit herrschte? Das war doch nicht fair, das ergab doch nicht mal Sinn! „Möchtest du mit uns kommen, Annabelle?”, fragte eine der Dorfältesten. Keine Ahnung, wer es war. War aber auch egal. Und nein, ich wollte nicht mitkommen. Aber die beiden allein lassen konnte ich ja auch schlecht. Also nickte ich mit zusammengepressten Lippen. Wie auf ein Zeichen setzte sich die Prozession in Bewegung -

„Huhu, Nana? Bist du noch bei uns?” Zoés Hand tanzte vor meinem Gesicht auf und ab wie eine lästige Fliege. „Oh. Äh.“ Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick klappte ich das Buch zu. „Ja.“ Schon gut, dies hier war eine Feier des Lebens, keine Beerdigung. Das hatte den Vorteil, dass ich nicht so traurig sein musste wie Annabelle zu Beginn der Geschichte – gleichzeitig aber auch den Nachteil, dass ich mich nicht einfach verkriechen und zum ungefähr tausendsten Mal in ihrer Erzählung versinken konnte. Innerlich seufzte ich. Aber zum Lesen würde mir auch später noch genug Zeit bleiben. Und dieses Kunstwerk von einem Buch gehörte ja jetzt mir.

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