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Vier

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„Wie krass! Die schneidern hier jedem von uns die Uniform per Hand direkt auf den Leib! Und diese Drachenschuppen, mit denen sie unsere Initialen auf die Brust nähen, wie die schillern! Ich glaube, ich habe noch nie im Leben ein so wunderschönes Kleidungsstück getragen, und dabei habe ich damals diesen unfassbar teuren Anzug zur Hochzeit meiner Tante bekommen! Wie geht‘s dir?“, erklang Jakes Stimme in meinem Kopf. Nun kam uns zugute, dass wir in den vergangenen Monden so eifrig die Kunst der Telepathie geübt hatten. Diese Technik begeisterte mich total: Endlich konnte ich es mal zu etwas Sinnvollem nutzen, dass ich so oft in meinem eigenen Kopf festhing! Hatten wir keine Lust, Briefe zu schreiben, uns etwas Dringenderes zu sagen oder wollten einfach mal wieder die Stimme voneinander hören, konnten wir unsere Gedanken bewusst verbinden und uns so unterhalten. Bonuspunkte dafür, dass das natürlich von außen weder zu hören noch zu sehen war. „Witzig, da hab ich noch nie drauf geachtet. Für mich sehen diese Scherben-Umhänge alle gleich aus und ausgesprochen gruselig noch dazu. Ansonsten: Die Ruhe vor dem Sturm eben. Sei froh, dass du diese Prüfungen nicht mitschreiben musst! Ich hab jetzt schon Angst davor.“ „Boarr ja, bin ich auch! Perfekter Zeitpunkt, um zu gehen“, gab Jake zurück und kicherte zufrieden, „Aber das schaffst du schon. Falls du Hilfe beim Lernen brauchst, sag bescheid. Dann treffen wir uns einfach in der Bücherei oder so.“ „Danke. Du, ich muss jetzt auch los. Ich bin mit Nathan am Kleinen Torbogen verabredet.“ „Ah, wie früher. Grüß ihn von mir!“ „Früher - das ist gerade mal vier Tage her!“ „Und du fehlst mir jetzt schon“, dachte ich, hoffte aber, dass das nicht bei ihm ankam. Da war ich mir bei telepathischen Gesprächen nie so richtig sicher. „Stimmt, aber es fühlt sich alles so weit weg an – die Akademie des Cabrysz ist echt eine komplett andere Welt! Ich muss dir das bei Gelegenheit unbedingt mal ausführlicher erzählen.“ „Gerne. Und ich richte Nathan deine Grüße aus. Bis bald!“ „Bis dann!“ Bis dann. Irgendwie fühlte sich das deutlich vager an als „bis bald“. „Du sollst dir doch nicht immer so viele Sorgen machen!“, ging Annabelle in meinem Kopf dazwischen. „Ist ja gut“, gab ich zurück und schob den Gedanken beiseite. ~~~ „Fühlt sich das für dich auch so seltsam an? Dass ausgerechnet Jake in die Stählerne Burg gegangen ist?“, fragte ich wenig später, als die Sonne langsam im Torbogen versank. „Ja…“, antwortete Nathan, die onyxschwarzen Augen nachdenklich in die Ferne gerichtet. So gut wie Jake kannte ich ihn zwar nicht, aber ganz gut reden konnte ich mit ihm auch. „Andererseits wundert es mich halt auch nicht. Hier interessiert sich doch kein Mensch für sein Zeichentalent!“, fuhr Nathan fort. „Genau das hab ich auch schon gedacht“, gab ich zurück und seufzte frustriert, „Ich hoffe mal, dass es sich für ihn wenigstens auch lohnt.“ Nathan nickte, sagte aber nichts weiter. „Wollen wir Flusssterne zählen gehen?“, durchbrach ich nach einer Weile das Schweigen. „Mhm“, brummte er wenig überzeugt, „das war ja eher so euer Ding.“ Damit hatte er recht, das war eher ein Zeitvertreib von Jake und mir gewesen. Erneut entwich mir ein Seufzer. Ohne Jake war es einfach nicht dasselbe. Zumal er alle seine Schaukelpferd-Kristallscheiben mit neutralen Hüllen versehen und sie samt seines Kristallscheibenspielers in die Stählerne Burg mitgenommen hatte. Wenn ich so drüber nachdachte, war es wirklich das allererste Mal seit Jake und ich uns kannten, dass ich hier draußen am Kleinen Torbogen saß und keine Musik lief. Stille: Die passende Hintergrundmusik zu der Lücke, die Jake am Kullë Guri hinterlassen hatte. ~~~ „Hallohallo! Ich hab was für dich!“, tönte es mir am nächsten Morgen entgegen, als ich durchs Foyer der Schule in Richtung Essenssaal tapste. Neugierig beugte ich mich zu dem Postzicklein herunter, um den Brief an der Schnur um seinen Hals entgegen zu nehmen. Zum Dank kraulte ich es eine Weile am Kinn. Wie weich sein Fell war! Es strahlte eine angenehme Ruhe aus. Für einen Moment vergaß ich geradezu meine Sorgen, während die kleine Ziege zufrieden meckerte. Wirklich schade, dass es am Kullë Guri keine Tiere gab! Genug Platz war auf dem Außengelände allemal. Doch schließlich verschwand auch das schwarze Postzicklein mit einem Hopser wieder ins Freie. Dafür hatte ich endlich Gelegenheit, den Brief zu begutachten. Die Handschrift kam mir sofort bekannt vor, doch ich brauchte in meiner morgendlichen Müdigkeit einen Moment, bis mir klar wurde, von wem der Brief war: „Ella Ënderruës, 2. Semester, Kullë Guri, Siguri“ , stand in Jakes geschwungener Handschrift auf dem Umschlag. Die Freude schaffte es, die Müdigkeit etwas zurückzudrängen: Wieder einmal fühlte sich dieser Spitzname, den nur Jake benutzte, wie eine kleine Bestätigung an, dass wir etwas Besonderes hatten. Voller Vorfreude riss ich den Brief auf und hatte im nächsten Moment einen ganzen Stapel Zeichnungen in der Hand. Natürlich. Ich musste grinsen und nahm den Brief mit an den Esstisch, um ihn mir dort in Ruhe anschauen zu können. Wie gewohnt bewegte ich mich auf Nathan zu, der auch oft bei uns gesessen hatte, als Jake noch mit ihm ein Zimmer geteilt hatte. Dann konnte ich ihm auch gleich die Bilder zeigen, die der mir geschickt hatte! Doch beim Näherkommen stellte ich fest, dass Nathan selbst einen Brief in der Hand hielt, der mit einem schwungvollen „Jake“ unterschrieben war. Okay, klar, was hatte ich auch erwartet. Somit war ich dann ja wohl überflüssig. Suchend schaute ich mich nach Zoé und den Anderen aus unserer Lerngruppe um, denn die waren oft schon viel früher wach als ich und mussten dementsprechend schon hier sein. Doch dann sah ich Cara und Zeraphine lachend die Köpfe zusammen stecken, und stellte fest, dass ich gerade gar keine Lust auf ihre Gesellschaft hatte. Also setzte ich mich irgendwo in die Mitte zwischen meinen beiden anvisierten Plätzen. Das bedrückende Gefühl, mich selbst auszuschließen, beschlich mich, doch das konnte und wollte ich gerade nicht ändern. Als ich saß, blätterte ich durch die Zeichnungen: Der neue stahlgraue Umhang, auf dem vorne über der Brust ein „JB“ für „Jake Breshkë“ prangte, umrundet von einem großen „C“, das laut einer Anmerkung für „Cabrysz“ stand. Jakes Schlafsaal in der Stählernen Burg, den er mit fünf Anderen teilte – zum Ausgleich durfte er darin jedoch ein großes Himmelbett genießen, an das die Betten im Kullë Guri längst nicht heranreichten. Die Aussicht aus einem der Fenster, von dem aus sich ein großartiger Blick aufs Vetmia-Gebirge bot – so weit oben war ich noch nie gewesen, sodass ich diesen Teil des Gebirges gar nicht kannte, wurde mir bewusst. Jakes Kristallscheiben-Sammlung, fein säuberlich nach dem Prinzip „Was mir zuerst in die Finger kam“ in einem Regal aus dunklem Holz aufgereiht, auf dem in feiner Gravur ebenfalls das Emblem des Cabrysz prangte. Ich erkannte, dass die Bilder in Eile hingekritzelt worden sein mussten, doch dafür waren sie immer noch beeindruckend realitätsnah. Das war schön, denn dadurch, einen Einblick in sein neues Leben zu bekommen, fühlte ich mich Jake gleich wieder etwas näher.

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