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Acht

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„Ich hab einen Rekord aufgestellt! Und das nach so kurzer Zeit!“ Aufgeregt rannte Jake mir entgegen. „Klasse! Worum geht‘s? Die meisten Schaukelpferd-Lieder summen, ohne erwischt zu werden?“ Er kicherte. „Nee. Das kann ich mir bei Cabrysz nicht erlauben. Aber ich habe es am längsten von allen im Raum der Entwicklung ausgehalten!“ „Dem was?“ „Dort trainieren wir unsere Ausdauer. Cabrysz sagt, das ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines Akademie-Magiers.“ „Und was genau tut ihr dann in diesem Raum der… wie nochmal?“ „Entwicklung! Das ist ein Saal in der Akademie, der mit einem Spruch belegt ist, sodass es in ihm niemals dunkel wird. Wer es die längste Zeit am Stück in ihm aushält, hat gewonnen. Alle Tricks sind erlaubt, du darfst nur nichts essen oder einschlafen.“ „Klingt wie Folter“, meinte ich skeptisch und zog die Augenbrauen zusammen. „Ach Quatsch! Ist doch nur ein Wettbewerb! Den ich, um das nochmal zu betonen, gewonnen habe! Vier ganze Tage habe ich geschafft!“ Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich meine Augenbrauen noch weiter zusammen gezogen. „Was?! Bei uns in der Schule warst du doch schon grantig, wenn du einmal nicht zur gewohnten Zeit ins Bett gehen konntest.“ „Tja, der Raum hat eben seinen Zweck erfüllt! Ich habe mich entwickelt!“ „Mhm. Trotzdem gruselig“, murmelte ich. „Wie steht es eigentlich mit deinen Überlegungen, wieder ans Kullë Guri zu wechseln?“ Jake lachte. „Die hab ich längst aufgegeben. Entschuldige, aber ich geh doch nicht freiwillig zurück an eine Schule, an der ich für das kleinste bisschen eigene Meinung kritisiert werde und wo mein Talent nicht gewürdigt wird. An der Akademie des Cabrysz bin ich Teil einer Gemeinschaft. Alle finden meine Zeichenkünste total klasse! Und weißt du was? Auf meinen Vorschlag hin haben wir dort nun sogar doch endlich einen Kristallscheibenspieler!“ „Wie cool!“ Ich sparte mir die Vermutung, dass er in der Stählernen Burg deshalb nicht für seine Meinung kritisiert wurde, weil er sie dort gar nicht erst wagte, zu äußern. Nicht verkneifen konnte ich mir allerdings den Kommentar: „Und was hört ihr da dann so? Hundert Loblieder auf den Großen Cabrysz?“ „Pffff“, gab Jake zurück, konnte ein Grinsen aber doch nicht unterdrücken. „Wie auch immer. Was wollen wir denn jetzt machen? Planlos durch Siguri ziehen wie immer?“, fragte ich. „Nein, dafür hab ich heute keine Zeit. Ich muss noch was für Cabrysz besorgen und dann auch schon bald wieder los.“ „Jake!“ „Was denn?“ „Das hättest du mir auch früher sagen können.“ „Trifft sich doch gut. So sehen wir uns wenigstens kurz.“ Ich seufzte. „Hast ja recht. Trotzdem wäre ich gerne vorgewarnt gewesen, dass das heute nicht so ein entspanntes Treffen wird wie sonst.“ „Ist ja gut, versteh ich. Kommst du trotzdem mit?“ Wenn ich ehrlich war, hatte ich wenig Lust, mit Jake irgendwelche Aufträge von Cabrysz zu erledigen und dann schon gleich wieder im Stress zu sein. Andererseits hatten wir uns auch schon wieder eine ganze Weile nicht gesehen. Missmutig willigte ich also ein. Meine Laune wurde nicht gerade besser, als ich feststellte, dass Jake nicht nur im Auftrag Cabrysz‘ unterwegs war – sondern dass das auch bedeutete: Er durfte mir nicht einmal verraten, was genau er da eigentlich tat. Zielstrebig führte er mich in eine enge Gasse, in der wir trotz unseren ausgiebigen Erkundungstouren noch nie gewesen waren. Offen gestanden hatte ich aber auch nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Alle Häuser hier sahen verlassen und verfallen aus. Das allein wäre ja vielleicht sogar noch recht interessant gewesen - doch irgendwie lag eine ungute Ausstrahlung über der Gasse. Ich konnte es gar nicht so recht greifen, fand keine Worte dafür, zu beschreiben, was falsch war. Aber es fühlte sich nicht richtig an, an diesem Ort zu sein. Ich konnte mir sogar vorstellen, dass wir diese Straße bisher instinktiv gemieden hatten. Jake jedoch schien genau zu wissen, was er nun hier tat. Konzentriert vor sich hin murmelnd lief er das Kopfsteinpflaster entlang, schien etwas Bestimmtes zu suchen. Schließlich meinte er: „Hier muss es sein. Warte kurz draußen“, und verschwand in einem der baufälligen Gebäude. Halb irritiert, halb besorgt schaute ich ihm nach. Ich grübelte noch, was zum Drachenzahn bitte in dieser Ruine verborgen sein mochte, als er auch schon wieder auftauchte. In der Hand hielt er einen Ledersack, der mit irgendwelchen kleinen, runden Gegenständen gefüllt zu sein schien. „Was bitte ist das?“, fragte ich. „Das ist eine Sache des Cabrysz, die nicht außerhalb der Akademie an jede beliebige Person ausgeplaudert werden sollte“, gab er zurück. „Ich bin nicht jede beliebige Person!?“ Jake zuckte zusammen, als habe er etwas sehr Wichtiges total vergessen und ich hätte ihn gerade daran erinnert. Einen Moment lang schien er mit sich zu ringen, dann sagte er langsam, als müsse er über jedes Wort noch einmal nachdenken, bevor er es aussprach: „Stimmt. Natürlich bist du das nicht. Aber es ist trotzdem besser, wenn du das hier nicht erfährst.“ „Jake, was ist das?!“ Er besorgte für Cabrysz etwas in Siguri, durfte aber nicht einmal mir verraten, was es war?! Und hielt sich daran auch noch, weil… weil Cabrysz das eben so wollte?! Puh. „Es ist nichts Schlimmes, Ella, versprochen. Es ist nur… Cabrysz kann ein wenig eigenwillig sein.“ „Das beruhigt mich jetzt ehrlich gesagt nicht im Geringsten. Bedroht er dich?!“ „So würde ich es nicht nennen. Er legt nur eben großen Wert darauf, dass die Regeln seiner Akademie eingehalten werden.“ Mein Herz begann, wie wild zu rasen. Was zum -? Dass die Stählerne Burg eine heile Traumwelt war, hatte ich ja gar nicht erwartet – ganz im Gegenteil. Doch was bitte ging dort vor sich?! Wie große Sorgen musste ich mir machen? „Sooo“, wechselte Jake das Thema. „Schauen wir noch bei Sethaal vorbei?“ Eigentlich wollte ich mich darauf ja nicht gerne einlassen. Aber es war mehr als deutlich, dass Jake zum vorherigen Thema heute nichts mehr weiter sagen würde. Und Sethaal besuchen lohnte sich immer. Also rang ich mich widerwillig dazu durch, zu nicken: „Okay!“ Wenig später standen wir bei Sethaal vor der Tür. Er musste uns kommen gesehen haben, denn kaum, dass wir geklopft hatten, riss er die Tür auch schon auf und bat uns freudestrahlend ins Haus. „Da seid ihr ja endlich mal wieder! Kommt herein, kommt herein! Ich habe gerade Tee gekocht!“ Begeistert wollte ich eintreten, doch Jake lehnte ab: „Tut mir leid, Sethaal, aber dafür haben wir heute keine Zeit.“ Irritiert schaute ich ihn an: „Nicht mal auf ‘ne Tasse Tee? Wir müssen ja nicht ewig bleiben.“ Schließlich war es doch sein Vorschlag gewesen, herzukommen! „Nein, wirklich nicht. Jedenfalls nicht mehr heute. Ein andermal gerne.“ „‘Tschuldigung“, fügte er mit Blick auf unsere beiden enttäuschten Gesichter hinzu. „Ich muss ja gleich wieder weiter.“ „Nun gut“, grummelte Sethaal, „dann nehmt ihr aber eine Schale getrocknete Früchte mit!“ Die Gesichter von Jake und mir leuchten auf. „Danke!“, jubelten wir beide, als Sethaal in der Speisekammer verschwand. Kurz darauf war er wieder da und drückte uns jeweils eine großzügige Schale mit einer Mischung verschiedenster selbst getrockneter Früchte in die Hand. Dann tauschten wir noch ein paar Worte mit dem Alten aus, und Annabelle und ich schoben uns in meinem Kopf ein paarmal die Sätze „Wenn wir jetzt gleich wieder gehen, nachdem er uns was geschenkt hat, denkt der doch, wir wären nur deshalb gekommen!“ und „Quatsch, du kannst doch nichts dafür, wenn Jake es eilig hat!“ hin und her. Schließlich war es für Jake dann tatsächlich Zeit, zu gehen. „Bis bald!“, versicherten wir Sethaal. „Ich hoffe doch!“, erwiderte dieser mit einem breiten Lächeln und winkte uns hinterher. Ich brachte Jake bis zum Rande des Vetmia-Gebirges, dort verabschiedete ich mich von ihm. Es tat mir immer noch etwas leid, dass immer er es war, der die weite Strecke zwischen der Stählernen Burg und Siguri auf sich nahm. Sich in der Burg zu treffen, war aber auch nicht gerade das, was wir uns unter einem entspannten Tag vorstellten. Mal davon abgesehen, dass es ohnehin verboten war, Gäste dorthin mitzubringen. So lief es doch immer wieder darauf hinaus, dass wir uns in Siguri trafen – zumal Jake ja sonst nicht allzu viel Gelegenheit bekam, hier zu sein. „Pass auf dich auf“, sagte ich, als ich ihn zum Abschied umarmte. Er zwinkerte mir zu: „Keine Sorge, Ella!“ Dann zog er los; in einer Hand die Schale von Sethaal, in der anderen den Lederbeutel von Cabrysz. Ihn gehen zu sehen, tat weh. Als würde sich ein eisiger Dorn in meinen Kopf bohren, nur eben nicht von außen, sondern von innen. Annabelle hätte jetzt wieder gesagt, dass ich nicht in alles so viel reininterpretieren sollte - doch der Anblick, den Jake bot, ließ es einfach so wirken, als sei er zwischen der Stählernen Burg und dem friedlichen Leben in Siguri hin- und hergerissen. Dafür war er dann aber doch recht schnell im Gebirge verschwunden, ohne sich noch einmal umzudrehen.

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