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KÖNIGSBERGER
KLOPSE
ОглавлениеKÖNIGSBERGER KLOPSE, diese weichen, weißen Kalbfleischklößchen mit der Samtsoße aus Butter, Kalbsfond, Mehl und Sahne, dazu eine Spur Zitrone und die Säure der zartherben Kapern – köstlich! Doch da ist noch etwas, ein Geschmack, der ganz tief in den Bällchen steckt, verhalten, aber wahrnehmbar, der sie viel intensiver, herzhafter, irritierend dichter schmecken lässt, als man dies vom milden Kalbfleisch kennt. In den Königsberger Klopsen steckt ein Geschmack, den man kaum zuordnen kann: Nicht salzig, nicht süß, nicht bitter, nicht sauer – was ist es, das diese runde Fleischigkeit, diesen ganz eigenen Charakter in die Klößchen bringt?
Es ist Umami, der fünfte Geschmack, hervorgerufen durch Glutaminsäure, die freigesetzt wird aus dem einen, winzigen fermentierten Sardellenfilet, das im Klopsteig steckt und ein solches Charisma entfaltet.
GLUTAMINSÄURE KANNTEN SCHON DIE ALTEN RÖMER. SIE LIEBTEN IHR GARUM, „DAS EDLE, DIE KOSTBARE GABE“, DIESE ESSENZ AUS VERGORENEM FISCH.
Eine winzige Menge nur, und den Gourmets in Toga und Sandalen stand die Verzückung ins Gesicht geschrieben, kaum ein römischer Koch kam ohne sein Garumamphörchen aus, der reichste Mann Pompejis war damals ein Garumhändler. In den antiken Fabriken wurden die Fische samt ihrer Innereien mit Meersalz in Tongefäße geschichtet und dann monatelang unter der heißen Sonne der Fermentation überlassen. Der Gestank dort muss zum Davonlaufen gewesen sein, der Geschmack der mit Garum gewürzten Speisen aber unwiderstehlich. Ähnlich wie das römische Garum bestehen auch die Fischsoßen Südostasiens hauptsächlich aus dem Sud vergorener Fischchen. Der, tröpfchenweise eingesetzt, den Speisen Tiefe gibt, Mundfülle, Dichte.
Beim Garen, Trocknen oder Fermentieren wird aus Proteinen Glutaminsäure freigesetzt, dieses Geschmackswunder, von dem wir nicht genug bekommen können. Nicht verwunderlich, dass die Lebensmittelindustrie bald die Salze aus der sich vollkommen natürlich bildenden Glutaminsäure künstlich isolierte – und damit das Glutamat erschuf, den hässlichen Bruder der Glutaminsäure. Den Frankenstein unter den Würzmitteln, der, in Chips und minderwertiges Fastfood eingebracht, uns kaum mehr aufhören lässt zu essen. Kein Mensch braucht Glutamat. Sind wir doch mit so vielen Gelegenheiten gesegnet, bei denen Glutaminsäure entsteht, wie bei der Fleisch- und Käsereifung, beim langsamen Trocknen von Tomaten, beim stundenlangen Köcheln eines Fonds. Und in besonders starkem Maße bei der Fermentation von Fisch.
Und so schafft es bei den wunderbaren Königsberger Klopsen eine einzige Sardelle, die allerhöchstens fünf Gramm wiegt, der hundertfachen Menge Kalbfleisch ihren Willen aufzupfropfen, jedoch subtil und raffiniert, und so die hellen Klopse mit dem zu erfüllen, was das Wort Umami im Japanischen bedeutet: mit köstlichem Wohlgeschmack.