Читать книгу Nervennahrung - Verena Lugert - Страница 16
KROSSES
BRATHÄHNCHEN
ОглавлениеBRATHÄHNCHEN, direkt aus dem Ofen, mit knuspriger, glänzender Haut. So ein Hähnchen weckt viele Erinnerungen bei mir: Das Brathähnchen meiner Oma sonntagmittags, das wir vier Kinder begeistert aßen. Oder das Trost-Hähnchen, das man beim Wienerwald geholt hatte, nachdem die Nachbarsfreundin und ich beide vom Rad gefallen waren – beim ersten Mal ohne Stützräder. Oder das Grillhähnchen, das ich viele Jahre später nach einer verhagelten Prüfung zur Aufrichtung verspeiste. In einem Grillhähnchenimbiss neben der Uni, allein, in Tränen aufgelöst. Eine Freundin erzählte mir einmal, dass sie, als sie noch ein kleines Kind von drei, vier Jahren war, über Wochen mit den Eltern ihre kranke große Schwester im Krankenhaus besucht hatte. Ob das alles sehr traurig gewesen sei, habe ich sie dann gefragt. Sie bejahte es. Aber, sagte sie, sie erinnere sich auch daran: „Danach gab es immer Hähnchen.“
VOR KURZEM WAR ICH WIEDER AN EINEM HÄHNCHENSTAND, EINER MOBILEN GRILLSTATION VOR DEM SUPERMARKT. DIESMAL WAREN TROST UND STÄRKUNG DEM URALTEN KATER MEINER ELTERN ZUGEDACHT. WENZEL WAR ÜBER 18 JAHRE ALT, SEHR SCHWACH, UND MAN KONNTE NICHT MEHR VIEL FÜR IHN TUN.
Die Tierärztin empfahl, ihm sein Lieblingsessen zu geben: Brathähnchen. Wir fütterten das greise Tier stückchenweise mit der Hand. In Zeitlupe leckte Wenzel danach unsere fettigen Finger ab.
So viel Tröstlichkeit steckt in einem Brathähnchen, so viel Freude. Und am besten ist es, wenn man es daheim gebraten hat, mit extra krosser Haut, unter die für die besondere Knusprigkeit noch Butter geschoben wurde. So hat es mir mein Souschef in London beigebracht, und so mache ich es immer noch: Weiche Butter wird aromatisiert – bei uns in der Restaurantküche mit Estragon, ich mag es daheim aber lieber noch kräftiger, mit Knoblauch und etwas Zitronenabrieb. Die Würzbutter wird dann in ein zur Tasche gefaltetes Pergamentpapier gegeben. Dann geht man mit einem Nudelholz darüber, die Butter wird so zu einem dünnen Rechteck gestrichen, das man noch kurz im Tiefkühlfach hart werden lässt. Geht man dann mit den Fingern vorsichtig zwischen die Haut und das Fleisch des Hähnchens, kann man die formatierte Würzbutter einschieben. Auf diese Weise wird die Hähnchenhaut knusprig, aber das Fleisch bleibt herrlich zart. Durch das Geheimnis der Butter. Die ja ein noch größeres Geheimnis in sich trägt, wie es uns Gérard Depardieu als Chefkoch im Film „Last Holiday“ verrät: „Do you know about-ähh the secret of life?“ – „What is it?“ – „Bötter!“