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Bürgerkrieg um Ehre – und Heere

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Den Römern fehlte eine Fortschrittsidee, und schon das macht die Unterscheidung zwischen progressiven und konservativen römischen Politikern schwierig. Das Reformprogramm der Brüder Gracchus war bei Lichte besehen konservativ, da es in letzter Konsequenz eine Rückkehr zu einer Stadtstaatdemokratie bedeutet hätte, mit der man kein Weltreich hätte regieren können. Das schließt nicht aus, daß ihre Kolonisierungsidee weitblickend war, was auch andere einflußreiche Römer erkannten. Doch je größer ihr Einfluß war, um so mehr mußten sie fürchten, daß der Einfluß anderer ihren eigenen übersteigen würde. Da Einfluß auf der Anzahl an Anhängern, Klienten, beruhte, mußte jeder weitblickende Staatsmann, der die Lebensbedingungen des Volkes zu verbessern suchte, in den Verdacht geraten, das Volk auf seine Seite ziehen zu wollen – und deshalb bekämpft werden. Das war das Schicksal der Brüder Gracchus; 133 bzw. 121 wurden sie von den Männern des Senats ermordet.

Es kam zum Gegensatz zwischen denen, die den Senat stärken, und denen, die seine Macht brechen wollten. Die letzteren wurden populares, d. h. Demagogen, genannt, von den ersteren, die sich selbst als optimates, d. h. die Besten, bezeichneten. Die Begriffe lassen sich auch durch Volks- und Senatspartei „übersetzen“, doch in Wirklichkeit ging es bei dem Streit ebenso wenig um Parteien wie um Klassen oder Programme. Vielmehr ging es um die Ehre und den Einfluß von Heerführern und um das Heer, ohne das selbst ein Heerführer nicht auskommen kann.

Ein Römer hatte sich niemals kraft seiner politischen Ideen für ein politisches Amt qualifiziert, sondern immer kraft seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht und durch seine Beziehungen, euphemistisch „Freundschaften“ genannt, sowie durch seine moralischen Qualitäten. Es war ein Dogma, daß die Besten regieren sollten (deshalb nannten die Regierenden sich die Besten) und daß Erfolg der Lohn der Tugend sei – wie erwähnt stand das Glück dem Kühnen bei. Die Tugend, virtus, war die Kühnheit, die sich für einen Mann, den vir, ziemte, und der Erfolg, der Lohn der Tugend, war der Ruhm, die gloria, den er im Felde, auf dem Feld der Ehre erntete. Doch bezeichnenderweise erhält gloria, das ursprünglich „bekannt für Ruhmestaten“ bedeutete, allmählich die Nebenbedeutung von „Ruhmsucht“ und schließlich die negative Bedeutung von „Ehrgeiz“, so beispielsweise bei Seneca, der von der „grauenhaften, aber bei großen Befehlsgewalten häufig zu findenden Ruhmsucht, die Macht durch Schrekken zur Schau zu tragen“,17 spricht. Dies spiegelt eine sozialpsychologische Entwicklung wider: Die guten alten Römer waren in den Krieg gezogen, um Ruhm im Dienste des Staates zu ernten, jetzt begann die Oberschicht aus reinen Profitgründen einen Krieg nach dem anderen, und die Heerführer, die die Kriege führten, strebten nicht nur nach Ruhm und Kriegsbeute, sondern wollten mit der Kriegsbeute auch das Heer für sich gewinnen. Der Anlaß zum Bürgerkrieg war ein Streit darüber, wer einen Feldzug nach Osten anführen sollte, Gajus Marius, der Kandidat der Volkspartei, oder Cornelius Sulla, der Kandidat des Senats.

Gajus Marius war ein „neuer Mann“, der seinen Weg gemacht hatte, indem er als „Zöllner“ ein Vermögen verdient und in eines der herrschenden Geschlechter, nämlich das julische, eingeheiratet hatte. Er hatte als Heerführer in Afrika Ruhm geerntet, und als die Kimbern aus Jütland und die Teutonen aus Norddeutschland Rom bedrohten, sah sich der Senat genötigt, ihn mehrere aufeinanderfolgende Jahre hindurch als Konsul zu akzeptieren. Marius wehrte den Angriff der Germanen ab, aber nicht mit einem Heer, das wie die alten römischen Heere aus Grundbesitzern bestand. Er zog die Konsequenz aus der Tatsache, daß diese nicht mehr zahlreich genug waren, um das Heer zu stellen. Er rief das Proletariat zu den Waffen, indem er ihnen Lohn und Landzuteilung nach beendeter Dienstzeit versprach. Durch die Ironie des Schicksals sollten ehemalige Soldaten, Veteranen, die Kolonien bevölkern, die die Gracchen gerade zur Vermeidung dieser Entwicklung hatten anlegen wollen. Sie erwies sich als unausweichlich und fatal: die Soldaten waren nun die Klienten des Heerführers, solidarischer mit ihm als mit dem Staat verbunden.

Sulla hatte den von römischen Bundesgenossen in Italien begonnenen Krieg beendet. Sie waren erbittert darüber, daß sie die Pflicht hatten, für Rom zu kämpfen, aber kein römisches Bürgerrecht erhielten. Sie bekamen schließlich ihr Bürgerrecht, doch ohne realen Einfluß. Ein Volksstamm, die Samniten, wollte die Bedingungen nicht akzeptieren und kämpfte während des Bürgerkriegs auf der Seite von Marius. Als Sulla gesiegt hatte, lockte er mit dem Versprechen des freien Geleits 7000 Samniten nach Rom. Seneca berichtet über ihr Schicksal: „Als er in der Nähe ... sitzend, das Geschrei so vieler Tausende unter dem Schwert Stöhnender hörte, sagte er, als der Senat entsetzt war: Kommen wir zur Sache, Senatoren und Beigeordnete, einige wenige Aufrührer werden auf meinen Befehl hingerichtet. Das log er nicht; Sulla schienen es wenige.“18

Beide Parteien gingen so grausam vor, daß sie gleich viel zu rächen hatten, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab, und das war der Fall, als erst Sulla, dann Marius, dann wieder Sulla in Rom an die Macht kamen. Sulla machte sich durch die Einführung von „Proskriptionen“ verdient, Listen von Leuten, die jedermann töten durfte. Doch er war auch hochherzig, er ließ Tausende der gegnerischen Sklaven frei und machte sie zu seinen eigenen Klienten. Er verzichtete als einziger römischer Machthaber freiwillig auf die Macht und gab sie an den Senat zurück, nachdem er die Macht der Volksversammlung und der Ritter gebrochen hatte. Doch die Macht des Senats beruhte auf dem Heer, und das Heer gehörte nicht mehr dem Staat, sondern den Heerführern. Sullas Ordnung wurde von den beiden Generälen Crassus und Pompejus gestürzt, die auf Sullas Seite gekämpft hatten und deren Macht der Senat fürchtete. Deshalb verbündeten sie sich im Jahre 70 v. Chr. mit den Rittern und der Volkspartei, um Konsuln zu werden.

Pompejus hatte als junger Mann ein Heer aus seinen eigenen Klienten aufgestellt. In den sechziger Jahren bekam er mit Hilfe der Volkstribunen und der Ritter eine ganze Reihe außerordentlicher militärischer Befugnisse. In Kleinasien errichtete er zwei neue Provinzen und mehrere Vasallenstaaten. Die Ritter waren mit seinem Vorgänger Lucullus höchst unzufrieden gewesen, dessen Amtsführung als Statthalter zu redlich gewesen war. Pompejus erschloß ihrer Ausbeutung und den Plünderungen der Soldaten weite Gebiete. Als er 62 aus dem Osten heimkehrte, fürchtete der Senat, er werde sich diktatorische Gewalt anmaßen, doch Pompejus zog in Rom als Privatmann ein. Offenbar erwartete er, daß diese Geste ihm von allen Seiten Vertrauen einbringen und man ihm die Macht übertragen werde, die er sich nicht hatte anmaßen wollen. Aber sowohl Senats- als auch Volkspartei begegneten ihm mit Mißtrauen.

In Rom trat Julius Cäsar, in dessen julisches Geschlecht Marius eingeheiratet hatte, als Erbe von dessen Klienten auf. Er versuchte das Volk durch so üppige Veranstaltungen für sich zu gewinnen, daß der Senat ihre Üppigkeit durch Gesetz begrenzen mußte. Auf diese Weise lud er sich gewaltige Schulden auf, die Crassus, Roms reichster Mann, bezahlte. Crassus war zwar Pompejus’ „Freund“, neidete ihm jedoch seinen Erfolg. Er selbst hatte keinen Ruhm mehr geerntet, seit er im Jahre 71 den letzten großen Sklavenaufstand, den Spartacusaufstand, niedergeschlagen hatte und 6000 Sklaven entlang der Via Appia hatte kreuzigen lassen. Da Pompejus sich vom Senat zurückgewiesen fühlte, suchte er sich mit Cäsar zu verständigen und besiegelte die „Freundschaft“ durch seine Heirat mit Cäsars Tochter Julia. Crassus konnte nun nicht anders, als beide großen Männer zu unterstützen. Im Jahre 60 schlossen sie den privaten Bund, den man das erste Triumvirat nennt, und beherrschten so den Staat, doch nicht einander.

Cäsar ließ sich 59 zum Konsul wählen und sicherte sich im darauffolgenden Jahr die Statthalterschaft von Gallien, und damit ein Heer. Mit diesem Heer errang er eine lange Reihe von Siegen über Gallier und Germanen, die er selbst in seinen Berichten über den Gallischen Krieg verewigte. In Rom war das Entsetzen über seinen Erfolg bei Feinden und „Freunden“ gleich groß. Crassus versuchte Ähnliches zu leisten und zog gegen die Parther, ein in Persien regierendes persisches Volk. Er erlitt eine schmähliche Niederlage und einen jämmerlichen Tod. Pompejus wagte, obgleich Statthalter von Spanien, Rom nicht zu verlassen, wo die totale Anarchie herrschte. Im Jahre 52 sah sich der Senat schließlich gezwungen, ihm diktatorische Gewalt zu übertragen, um Ruhe und Ordnung herzustellen. Pompejus ließ sein Heer in Rom einrücken, das noch nie in Friedenszeiten die Besetzung durch ein Heer erlebt hatte. Im Vertrauen auf das Heer des Pompejus wagte der Senat, Cäsar herauszufordern, und berief ihn zurück, doch Cäsar wollte sein Heer nur dann abgeben, wenn Pompejus das gleiche tue. Pompejus wollte sich wie gewöhnlich am liebsten gut mit beiden Parteien stehen und beteuerte Cäsar, der Staat sei ihm immer wichtiger gewesen als private Beziehungen. Im ürigen war die private Beziehung zwischen ihnen geschwächt, da Julia 54 gestorben war. Cäsar hatte jedoch das Gefühl, daß man seine großen Verdienste nicht anerkenne. Aus Rücksicht auf seine Würde und die Freiheit des Volkes zog er im Jahre 49 gen Rom. Im Jahr darauf wurde Pompejus bei Pharsalos in Griechenland geschlagen und in Ägypten, wo er Zuflucht gesucht hatte, ermordet. Darauf herrschte Cäsar in Rom als unumschränkter Diktator.

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