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Cäsar und Cato

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Cäsars wirklicher Gegenpol war nicht Pompejus, der „tückischer, nicht besser gesinnt war“,19 sondern Cato d.J., ein Senator, der seine Berufung darin erblickte, die Staaten im Staat zu bekämpfen, die die Optimaten mit ihren Klienten darstellten. Den Zustand des Staates charakterisierte er mit Worten, die man auch in neuerer Zeit zur Beschreibung der Wirtschaftslage einer Gesellschaft benutzt hat: „im Staate Armut, zu Hause Üppigkeit“, und seine Mitsenatoren redete er laut Sallust folgendermaßen an: Ihr, „die ihr immer eure Häuser, Landgüter, Statuen, Bilder höher gestellt habt als das Gemeinwesen ...“.20

Sein Gedanke war, daß alle Klienten des Staats sein sollten. Cäsar zog die Konsequenz aus der Tatsache, daß der Staat sich aufgelöst hatte, und sah keine andere Lösung als den Sieg eines, nämlich seines eigenen, Willens. Cato verurteilte konsequent alle ungesetzlichen Mittel, Cäsar dagegen nutzte konsequent alle Mittel aus, die seinem einzigen Ziel dienten, und falls Søren Kierkegaard recht hat, wenn er sagt, daß die Reinheit des Herzens darin bestehe, eins zu wollen, dann konnte Sallust mit Recht sowohl Cato als auch Cäsar als Männer von „gewaltiger moralischer Kraft“ (virtus) rühmen – im Gegensatz zu Pompejus, der am liebsten mit gesetzlichen Mitteln ungesetzliche Macht erobert hätte und der im übrigen Catos „Freundschaft“ gesucht hatte und dessen Tochter hatte heiraten wollen, bevor er sich Cäsar anschloß. Plutarch meint in seiner ansonsten bewundernden Cato-Biographie,21 daß Cato in diesem einen Punkt weniger kompromißlos hätte sein sollen, um größerem Unheil vorzubeugen, doch Cato mußte als der moralische Hüter des Staates die Verbindung mit einem Mann ablehnen, der zu diesem Zeitpunkt die größte Gefahr für den Staat darstellte.

Zwischen Cato und Cäsar war es zur Konfrontation gekommen, als der Senat über Catilina zu Gericht saß, einen verarmten Aristokraten, der – im Einverständnis mit Cäsar – versucht hatte, Konsul zu werden, und, als er nicht gewählt wurde, eine Verschwörung angezettelt hatte, die der Konsul des Jahres 63, Cicero, vereitelte. Cato trat für die Todesstrafe ein, während Cäsar daran erinnerte, daß man das, was bei anderen Zorn heiße, bei Machthabern Übermut und Grausamkeit nenne,22 und behauptete, daß diejenigen, die am höchsten gestiegen seien, sich am wenigsten erlauben sollten. Bei dieser Gelegenheit konnte Cato den Senat auf seine Seite bringen, doch als Machthaber folgte Cäsar seinen Worten, ja, machte sie geradezu zu seinem Programm: „Alle andern haben ja infolge ihrer Grausamkeit dem Haß nicht zu entgehen vermocht und ihren Sieg nicht allzu lange aufrecht erhalten können, abgesehen von einem Sulla, und den möchte ich nicht nachahmen. Mit Barmherzigkeit (misericordia) und Großmut (liberalitas) wollen wir uns sichern; das sei unsere neue Art zu siegen (ratio vincendi).“23

Cäsars neue ratio vincendi, die „neue Siegesvernunft“, und seine Milde, clementia, überraschten alle. Cicero, der nach einigem Zögern sich seinen Gegnern anschloß, hatte zuvor erkannt, Cäsar sei „der einzige, bei dessen Sieg niemand das Leben verlor, es sei denn im Kampf.“24 Später behauptete er, Cäsar habe seine Gegner durch einen „Anschein von Milde“25 für sich gewonnen. Doch Cäsar selbst machte aus seiner Milde nichts anderes als das, was sie war. Er hatte – in seinem „Gallischen Krieg“ – nicht verhehlt, daß er grausam sein konnte, wenn die Situation es erforderte. Doch Cäsar war anscheinend auch psychologisch gesehen souveräner als die Männer vor ihm, nicht so persönlich nachtragend. Jedenfalls verstand er besser als sie, was der Sieg verlangte, nämlich die böse Kette der Rache zu zerreißen.

Ebenso charakteristisch für die moralischen Römer wie ihr Gekränktsein und ihre Rachlust war jedoch ihre Dankbarkeitsmoral. Seneca schreibt – wenn auch sicher etwas übertreibend: „Es gibt ja Mörder, Tyrannen, Diebe, Hurenknechte, Räuber, Tempelschänder, Verräter, – der Undankbare steht niedriger als sie alle.“26 In Dankbarkeit über empfangene Wohltaten war der Klient an seinen Patron gebunden. Wer einem anderen etwas schenkte, machte ihn zu seinem Schuldner, Dankesschulden waren Ehrenschulden. Indem er seinen Gegnern das Leben schenkte, machte Cäsar sie zu seinen Klienten und verwirklichte damit insofern Catos Idee: daß alle Klienten des Staates sein sollten. Nur: der Staat, das war er, Cäsar. Die begnadigten Feinde konnten sich nicht gegen ihn auflehnen, ohne in eine Kategorie mit Mördern und Verrätern zu geraten. Niemand erkannte das tiefer als Cato. Nach der Niederlage des Pompejus war er mit dem Rest des Heeres nach Afrika übergesetzt. Als Cäsar es im Jahre 46 bei Thapsus besiegt hatte, beging er in Utica Selbstmord: „Ich mag aber diesem Tyrannen für seine Übertretungen des Gesetzes nicht auch noch Dank schuldig sein. Er übertritt das Gesetz, indem er in der Form eines Gebieters Leute begnadigt, über die ihm gar keine despotische Gewalt zusteht.“27

Es gab andere, die es mit der Moral nicht ganz so genau nahmen. Doch Cato wurde durch seinen demonstrativen Selbstmord zum Märtyrer der Freiheit und zu einer moralischen Herausforderung für die Republikaner, die die neue Ordnung der Dinge akzeptiert hatten, besonders für seinen Neffen und Schwiegersohn Marcus Brutus, der bei Pharsalos an der Seite von Pompejus gekämpft und sich von Cäsar hatte begnadigen lassen. Er schrieb ein Buch über Cato, und Cäsar muß in diesem Cato-Kult eine Gefahr erblickt haben, denn er nahm sich die Zeit, einen Anti-Cato zu schreiben. Das konnte jedoch nicht verhindern, daß Cato, der sich zum Stoizismus bekannte und sich für die Senatssitzungen durch die Lektüre der stoischen Klassiker zu rüsten pflegte, zum Vorbild der späteren römischen Stoiker, zum Bild des stoischen Weisen wurde.

Der Stoizismus war in Rom um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts von Panaitios, dem Führer der stoischen Schule in Athen, eingeführt worden, der in einflußreichen Kreisen um Scipio Aemilianus, den Besieger von Karthago, großen Einfluß gewann. Panaitios vertrat in seiner Staatsphilosophie die gleiche Auffassung wie der etwas ältere Historiker Polybios, der, wie erwähnt, die römische Verfassung für die beste der Welt hielt, weil sie durch die Aufteilung der Macht unter Konsuln, Senat und Volksversammlung monarchische, aristokratische und demokratische Elemente in sich vereinte. Platon hatte in seinem großen Werk über den Staat gezeigt, wie die Regierung der Besten zur Oligarchie, diese wiederum zum Regime der Vielen und dies zur Tyrannei verfällt. Auch Polybios fand den „gesetzmäßigen Kreislauf“ der Verfassungen in der Ordnung der Natur. Doch da die Verfassung sich immer dann zum Schlechteren verändert, wenn eines der staatlichen Elemente das Übergewicht erhält, ist der beste Staat genau der „gemischte Staat“, res publica mixta, zu dem Panaitios und nach ihm Cicero sich deshalb bekannten. Eine Menschenmenge wird zur Staatsgemeinschaft durch ihre Übereinstimmung in der Auffassung von Recht und gesellschaftlichem Nutzen. Cicero wollte den Staat, die res publica, als die „Sache des Volkes“28 verstanden wissen: Ihr haben die Führer des Staates zu dienen.

Ein klassischer stoischer, erstmals von König Antigonos von Makedonien (276–239), einem Schüler Zenons, formulierter Gedanke ist, daß der Größte den Geringsten dienen soll, daß Herrschaft „erhabene Knechtschaft“ ist. Panaitios zeichnete ein Fürstenideal, das sich durch Gerechtigkeit, Großmut und Milde gegenüber besiegten Feinden auszeichnete. Da Cäsar mit seiner „neuen Siegesvernunft“ eben ein solches Programm entworfen hatte, kann man es nur als blutige Ironie bezeichnen, daß sich der „Ideologe“ der Verschwörung gegen ihn, Marcus Brutus, zur Stoa bekannte.

Doch das natürliche Recht des Volkes zum Tyrannenmord gehörte ebenfalls zum Gedankengut der Stoa. Für die Verschwörer, die allerdings nicht dem Volk, sondern dem beleidigten Senatsadel angehörten und von zwei Prätoren, nämlich Brutus und Cassius, geführt wurden, war Cäsar nicht der Diener des Volkes, sondern dessen Tyrann. Daß sie nach dem Mord an ihm, an den Iden des März 44, nichts unternahmen, um selbst die Macht zu ergreifen, zeigt, daß sie – jedenfalls Brutus – nicht die Absicht hatten, in Cäsars Fußstapfen zu treten, es zeigt aber auch, daß sie – jedenfalls Brutus – nicht eingesehen hatten, daß die Republik nicht erst durch Cäsar, sondern durch die Staaten im Staat in Auflösung geraten war. Brutus, der sich der Sache des Pompejus angenommen hatte, übernahm auch dessen Inkonsequenz: Es lag ein Widerspruch darin, den Tyrannen zu stürzen und seine Maßnahmen weiterhin gelten zu lassen, so als seien sie nicht tyrannisch, sondern gesellschaftlich nützlich gewesen.

Seit den Iden des März 44 hat man leidenschaftlich diskutiert, ob Cäsar eine große politische Vision gehabt habe, deren Verwirklichung ihm nicht mehr vergönnt gewesen sei. Erik Wistrand hat sehr treffend gesagt, daß Cäsar, wenn er denn eine solche Vision gehabt habe, dies mit keinem Wort verraten habe, obgleich er seine Sache sonst so energisch kommentierte: „Alles deutet darauf hin, daß das Ziel seiner Politik seine eigene dignitas und gloria waren, die traditionellen Ziele des Strebens römischer Aristokraten.“29 Doch selbst wenn Cäsars Politik im übrigen nur ein Mittel zu diesem Zweck war, so mußte sie doch darauf abzielen, den Staat wieder funktionsfähig zu machen. Cäsar mußte in erster Linie die Macht des Senatsadels brechen, was er im Prinzip dadurch tat, daß er allen Bürgern Zugang zum Senat gab, die Ausbeutung der Provinzen begrenzte, die Grenzen sicherte sowie den Soldaten und dem Proletariat Land verschaffte. Cäsars Maßnahmen waren zum großen Teil das, was die Situation, und nicht nur der Tyrann, verlangte. Die Cäsarmörder mußten bald einsehen, was ihr Sympathisant Cicero in einem Brief vom 9. April 44 ausdrückte, nämlich daß die Wiedergewinnung der Freiheit nicht automatisch die Wiederaufrichtung der Republik bedeutet habe – es bedeutete in der Tat erneute Anarchie.

Brutus suchte zu einer Verständigung mit Cäsars Mitkonsul Marcus Antonius zu gelangen, der anfangs auch versöhnlich schien. Da trat Cäsars Adoptivsohn und Haupterbe, der achtzehnjährige Octavian, auf den Plan und meldete seinen Anspruch auf Cäsars Vermögen an, das Antonius sich zum Teil angeeignet hatte. Cicero, der sich in der kritischen Epoche, als Brutus und Cassius Rom hatten verlassen müssen, zum Führer des Senats gemacht und Antonius in einer Reihe von Reden angegriffen hatte, meinte, der Senat könne Octavian gegen Antonius ausspielen, doch Octavian durchschaute das Spiel und suchte eine Verständigung mit Antonius, so wie seinerzeit Pompejus mit Cäsar. Im Jahre 43 bildeten sie, zusammen mit Lepidus, einem von Cäsars Offizieren, das zweite Triumvirat und griffen zu den von Sulla eingeführten Proskriptionen. Unter den vielen Opfern war Cicero.

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