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VI

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Senzaki war seit seinem Todesurteil von der Arbeit im Steinbruch befreit. Man war um seine Behaglichkeit bemüht. Zur Verschärfung der Strafe wurde er aus einer Gemeinschafts- in eine Einzelzelle verlegt. Obwohl das schwer für ihn war, nahm er an, dass er, umgeben von Kriminellen, Untätigkeit noch schwerer aushalten könnte. Noch während des Wartens auf seinen Prozess hatte er von ihnen solche Geschichten über Menschen gehört, die ihm so vorkamen, als wären sie gerade Büchern über unglaubliche Erscheinungen entstiegen. Am schlimmsten war, dass all diese Mörder und Räuber ihn als einen der ihren aufnahmen. Unter ihnen war er gleichberechtigt, genoss sogar die Position eines geachteten und ausgesprochen mutigen Mannes, hatte er sich doch erdreistet, die Hand gegen den Shogun zu erheben. Da halfen keinerlei Versuche, sie davon zu überzeugen, dass er unschuldig war. Für sie war er ein recht bescheidener, aber bewunderungswürdiger Gefangener. Damals verstand er, dass es zwei Wahrheiten geben kann, die einander nicht ausschließen, im Gegenteil. Als hielte er sein Leben in der Hand, die dabei war, sich zu schließen. Im besseren Fall würde er weggepustet wie ein gutmütiges Insekt, das, betäubt von der Hitze, auf dem Rastplatz eines Ungeheuers landet, welches momentan gut gelaunt ist.

Senzaki hatte in früheren Zeiten die Befehle seines Herrn ausgeführt, und zwar nicht deshalb, weil der Shogun ein untadelig gerechter Mann war, sondern weil er sich nie die Frage gestellt hatte, ob ein solcher Befehl der einzig richtige war. Jetzt fragte er sich, ob er nicht eigentlich der Vollstrecker Hunderter solcher Aufträge war. Insofern begriff er, dass Fehler möglich waren.

Er verlangte von der Wache, den Gefängniskommandanten Ishimatsu von seinem Wunsch nach einem Gespräch unter vier Augen in Kenntnis zu setzen. Dieser empfing ihn erstaunlicherweise sofort. Senzaki fürchtete sich ein wenig vor Ishimatsus Reaktion auf das, was er ihm mitteilen wollte, denn er kannte ihn persönlich. Die letzte Begegnung war nicht sehr günstig für den Gefängniskommandanten ausgefallen. Senzaki hatte im Auftrag des Shoguns in diesem Gefängnis die Umsetzung der staatlichen Gesetzgebung kontrolliert. Wie Senzaki erfuhr, sollten jenem Besuch Ishimatsus Verhaftung wegen Veruntreuung von Geld sowie eine Anzeige wegen unmenschlichen Verhaltens gegenüber den Gefangenen folgen. Die zweite Anschuldigung war denn auch gar nicht so wesentlich: Ein solches Vorgehen war eine gängige Erscheinung in Staatsgefängnissen. Der Shogun aber wollte sich mit dem Opfern von Ishimatsu neue Sympathien im Volk und unter einzelnen Daimyōs verschaffen.

»Du siehst, Senzaki, wie wandelbar Glück ist. Hättest du mir keinen Gefallen getan, säße ich jetzt so vor dir oder irgendjemandem und sänne darüber nach, wie ich meine Schuld möglichst gering halten kann. Da unser gewissenhafter Herrscher aber tot ist, bleibe ich dein Schuldner. Ich kann wenig für dich tun: Immerhin liegt dein Leben außerhalb meines Einflussbereiches, aber ich kann dir Gehör schenken, falls du, wie jetzt, mir etwas zu sagen hast.«

Senzaki versuchte mit aller Kraft, auf solch einen zynischen Empfang hin keine Reaktionen zu zeigen. Er musste sein Temperament zügeln und seinen Plan friedlich auf den Weg bringen, als hätte er die geschmacklosen Vergleiche überhört. Diesmal würden nicht einmal Schwerter den Hass besänftigen, der sich zwischen ihnen auftat, tief wie ein Ozean.

»Ishimatsu, ich bin nicht gekommen, dich um irgendetwas zu bitten. Gekommen bin ich mit einem Vorschlag.«

»Oho, da ist noch Stolz in dir. Ich befürchte, dass es nicht an dir ist, Bedingungen zu stellen.«

»Genau. Daher werde ich nur erzählen, und du sei geduldig und hör mir zu. Natürlich nur, wenn du willst.« Ishimatsu erwiderte nichts und Senzaki sprach in einem Atemzug aus, was er zu sagen hatte.

»Du weißt vom Handel mit dem Horn des Rhinozeros. Falls du dich ohne große Anstrengung bereichern willst, kann ich dir dabei helfen. Ich weiß, wo sich die geheimen Speicher des assamesischen Bambus befinden, aus dem die Hörner gefertigt werden. Es gibt ihrer derart viele, dass all deine Wächter zusammen sie nicht mit Wagen transportieren könnten. Im Gegenzug dazu verlange ich von dir meine Freilassung. Tot kann ich dir keinen großen Nutzen bringen.«

Ishimatsus Augen begannen zu glänzen. Sich seiner Gier bewusst, senkte er den Blick und fragte wie geistesabwesend:

»Welche Garantie habe ich, dass du die Wahrheit sagst?«

»Pass auf. Du wirst einen deiner Männer an einen in der Nähe befindlichen Ort schicken, damit er einige Hörner an sich nimmt, und wenn du dich vom Wahrheitsgehalt meiner Aussagen überzeugt hast, können wir weiterreden. Ich bitte dich lediglich um Eile. Mir bleiben nur noch wenige Tage. Aber auch dir.«

»Wie meinst du das – auch mir?«

»Nun, ich habe angenommen, dass du dich schon gegen die gefährliche Hand des neuen Shoguns absicherst. Er hat mit einem Schlag alle Daimyōs umbringen lassen. Denkst du etwa, dass er jemanden wie dich auf einer solchen Position belassen wird? Selbst wenn du ihm gegenüber bekennst, wie du den ehemaligen bestohlen hast, wird dir das beim Katzbuckeln nicht viel helfen. Dann würdest du erst recht seine Gerechtigkeit spüren. Und einfach abzuwarten, ob du noch lange Befehlshaber sein kannst, halte ich nicht für sehr klug.«

Ishimatsu schwieg. Nachdem er mitgeteilt hatte, wie man zu einem Exemplar des Horns kommen könne, kehrte Senzaki in sein Verließ zurück.

Der Kommandant war ein Mann schneller Entschlüsse. Schon am folgenden Tag holten die Wächter Senzaki ab.

»Du hast die Wahrheit gesagt. Der Bambus ist von guter Qualität und ausgezeichnet bearbeitet. Niemand hat den Betrug gemerkt. Ich stimme weiteren Abmachungen zu. Bin ganz Ohr.«

Senzaki atmete durch, tief und schnell, soweit die Situation das zuließ. Er musste eine ebenbürtige Position wahren. Seine Freude verbergend, fuhr Senzaki mit der Offenlegung des restlichen Plans fort.

»Der Speicher ist eine Nacht Fußmarsch und Schiffsweg entfernt von hier, in Richtung der chinesischen Küste. Mögen einige deiner Leute mit mir gehen, und auch du, falls du das willst. Deine Aufgabe wird es sein, meine Flucht glaubhaft erscheinen zu lassen. Nachdem du dich von der Existenz des Schatzes überzeugt hast, den ich dir anbiete, verspreche ich dir, dass mich niemand jemals wieder in diesem Land sehen wird. Ich werde für immer in China bleiben. Du sorg dafür, dass du für meine Flucht nicht zur Verantwortung gezogen wirst. Ob du deine Position behältst oder nicht, solltest du besser selbst entscheiden, als dass das andere an deiner Stelle tun.«

»Gut. Ich werde mich darum kümmern, dass drei Tage niemand deine Abwesenheit bemerkt. Nur für den Fall, dass deine Geschichte nicht der Wahrheit entspricht. Dann werden wir dich erneut in Ketten legen. Um meine Pläne mach dir keine Sorgen. Ich weiß, was ich tue.«

Senzaki musste sich eingestehen, dass dieser Rivale wirklich wusste, was er tat.

»Heute Abend wird dir jener Wächter das Essen bringen, der sich schon darauf vorbereitet, der Liebling des neuen Shoguns zu werden. Du wirst bereits eine Waffe bei dir haben. Du wirst ihn umbringen. Falls nicht, ist die Absprache hinfällig. Seine Leiche wird nach den vereinbarten drei Tagen gefunden werden. Alles Weitere ist meine Sache. Das war’s.«

Senzaki war klar, dass er sich nicht fragen durfte, ob er einen solch schlimmen Mord ausführen sollte oder nicht. Als er sich auf Verhandlungen mit Ishimatsu einließ, wusste er, dass er damit auf alles einzugehen hat. In einem Dilemma war er daher nur für kurze Zeit.

Senzaki schlüpfte in die Rolle des blinden Auftragsausführers und erledigte im Gefängnis seinen Teil des Vereinbarten. Draußen waren Ishimatsus Leute. Sie trieben die Pferde zum Galopp an und erreichten das Ufer, wo Ishimatsu, die Mannschaft, der Kapitän und ein Schiff ohne Flagge einsatzbereit warteten. Sie fuhren auf das nächtliche Meer hinaus. Die Morgenröte ertappte sie in ihrem Versteck in einer der Buchten des mandschurischen Meerbusens. Senzaki zeigte ihnen die überreichlich mit Hörnern aus assamesischem Bambus gefüllte Höhle. Während Ishimatsu und sein Gefolge verzückt ihre künftige Fracht begutachteten, schlich sich Senzaki durch einen geheimen Ausgang auf die andere Seite des Bergs und verschwand in den Wäldern der Provinz Qingdao. Er war umsichtig genug, rechtzeitig aus dem Blickfeld der vor Gier nach Reichtum blutunterlaufenen Augen zu verschwinden, die keine Zeugen mögen.

Das Buch vom Bambus

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