Читать книгу Das Buch vom Bambus - Vladislav Bajac - Страница 17

XII

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Das, was Meno über sich nicht wusste, erwies sich als verhängnisvoll für ihn. Sein ganzes Leben hatte er als Diener verbracht und er wusste nicht, dass kein Reichtum dieser Welt die Seligkeit selbständiger Entscheidungen wettmachen kann. Die Täuschung, deren Opfer er geworden war, ohne dies erkannt zu haben, machte ihn erneut zu einem Diener – weniger zu einem Diener neuer Herren, als vielmehr zu einem Diener neuer Ereignisse. Ereignisse, die er abermals nicht beeinflussen konnte. Er nahm an, dass wenigstens der Schatz, den er sich gesichert hatte, ihm die Stärke zu entscheiden bieten würde, und damit auch die höchste Stärke – Macht.

Die Ereignisse im Land entwickelten sich in einem schwindelerregenden Tempo. Nach einjähriger erfolgloser Brautwerbung war Osson der Jüngere, nunmehr ohne Unterstützung des Vaters, gezwungen, die Hauptstadt mit der Waffe vor den erneut unzufriedenen Daimyōs zu verteidigen. Unterhalb der Stadtmauern befanden sich die Armeen aller Provinzen. Osson begriff, leider zu spät, dass seine Abwesenheit aus dem Palast auch jemand, der ihm nahe stand, gut genutzt hatte, denn selbst die Einheiten, die ihm bis vor kurzer Zeit besonders treu ergeben waren, begannen sich von ihm abzuwenden. Der Aufstand innerhalb der Mauern war sehr heimtückisch geplant; gegen Osson erhoben sich nicht die Heerführer, wie das ansonsten üblich war, sondern auch die Soldaten. Das hieß, dass jemand, der sehr raffiniert war, um sie geworben hatte, jemand, der ein guter Kenner von Motiven einfacher Soldaten war.

Nur von den Gardeeinheiten umgeben, die aus den besten Samurai bestanden, und von seinen Offizieren, gab Osson einen letzten Befehl. Alle hatten ohne Widerrede durch geheime unterirdische Gänge den Palast zu verlassen. Nachdem er seinen Heerführern versprochen hatte, dass auch er ihnen unmittelbar folgen werde, entband er die Samurai von ihrem Eid des Dienens bis in den Tod. Sehr bald blieb er allein in der Halle zurück.

Ossons Gemächer standen in Flammen. Meno, der herbeigeeilt war, um ihn vom Einfall der aufrührerischen Truppen in die Festungsanlagen zu unterrichten, konnte lediglich die Silhouette seines Herrn ausmachen, der auf der anderen Seite der Feuerbarriere gegen die brennenden Balken kämpfte. Den Schrei, den er dann vernahm, konnte er nicht zweifelsfrei seinem Herrn zuordnen, denn er vermochte ihn nicht von zahlreichen weiteren zu unterscheiden, die durch den Palast drangen. Er rannte ins Freie, sah gerade noch, wie die Privatgemächer ein Opfer der Flammen wurden. Neben ihm stand der Daimyō Bonzon, einer der ältesten noch lebenden Herrscher aus der Ära von Osson dem Älteren, der von Osson dem Jüngeren im vorangegangenen Gemetzel nicht liquidiert worden war. Bonzon war jetzt einer der Anführer der Aufständischen. Sein Heer wurde vom Samurai Ishi geführt, dem einstigen Militäraufseher der Bambushaine.

Der Aufstand war gut organisiert. Noch am selben Tag setzten die Statthalter und Familienmitglieder der in Ossons Gemetzel ermordeten Daimyōs dessen Heerführer in ihren Provinzen ab und rückten an der Spitze der Heere bis zu den Mauern der Residenzstadt vor. Meno fragte sich, wie es sein konnte, dass Aufstände schneller Erfolg hatten als friedliches Regieren. Weil sie kürzer dauern oder weil sie ein Ausdruck angestauter Energie sind? Wie konnte es sein, dass in einem Aufstand die Interessenunterschiede und überhaupt alle Unterschiede aufgehoben werden? Ist es nicht das Böse, das einend wirkt, selbst wenn es nur für kurze Zeit ist? Er wusste, dass kluge und sehr durchtriebene, üble Herrscher auch die Vereinigung mit anderen nutzen, um ihre Ziele zu erreichen, sich jedoch schnell wieder auf ihr einsames Böses zurückziehen. Fühlt der Mensch sich größer, wenn er Böses allein anrichtet, ohne jegliche Hilfe? Meno war dabei, vermittels der eigenen Taten auf diese Fragen eine Antwort zu finden.

Am Tag darauf, als der Siegestaumel abgeklungen war, wählte der Rat der Shogune den Daimyō Bonzon zum neuen Shogun. Kommandeur seiner Garde wurde der Samurai Ishi, zum persönlichen Berater wurde Meno ernannt.

In seiner Seele noch immer ein Diener, war sich Meno seines schnellen Aufstiegs wohl bewusst, allerdings war er nicht über alle Maßen beglückt über die erlangte Position. Ihn interessierten weitaus praktischere Dinge als Titel: Nunmehr eröffnete sich ihm ein neuer Kanal für den ständigen Handel mit assamesischem Bambus, der Käufern als Horn von Nashörnern angeboten wird. Obwohl sich das Geschehen so entwickelte, wie es ihm genehm war, sorgten ihn viele Fragen, von denen er selbst nicht wusste, warum sie sich ihm aufdrängten. Doch er wehrte sie mit einer sehr rationalen Erklärung ab: Noch hatte er sich nicht genügend Zeit nehmen können, die er gebraucht hätte, um sich redlich in der neu entstandenen Situation zurechtzufinden.

Das Buch vom Bambus

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