Читать книгу Das Buch vom Bambus - Vladislav Bajac - Страница 16

XI

Оглавление

Senzaki bat Chio, ihm weiterhin den Haushalt zu führen. Er durfte ihr nicht sagen, dass er sich vor der Einsamkeit fürchtete, die sein vorheriges Leben in seine Gedanken brächte. Das Mädchen bediente ihn ohne große Worte. Es sah so aus, als ob Chio ihn von früher kennen würde. Allerdings hatte sie ihr heiteres Gemüt verloren. Nach einigen Tagen, als er es nicht mehr aushielt, fragte Senzaki Chio nach dem Grund ihres Schweigens.

»Herr, du trägst ein großes Geheimnis in dir. Das hält dich davon ab, sorglos zu sein. Vergrab es irgendwo, wenn du es mit niemandem teilen willst. Bis dahin wird mein Lächeln dir nicht helfen.«

Diese Worte machten Senzaki betroffen. Er war davon ausgegangen, sein mangelndes Angepasstsein an das neue Leben gut verborgen zu haben, doch offensichtlich war dem nicht so. Ihre Worte halfen ihm zu begreifen, dass es nichts bringt, wenn er seinen Schmerz noch mehr verbirgt.

Er hatte noch nicht entschieden, was er aus seinem »neuen Leben« machen wollte. Es galt mit etwas zu beginnen, was nicht die Handhabung eines japanischen Schwerts und Gehorsam bis zum Tod hieß. Es tat ihm gut, das Dorf zu verlassen, zum Meeresufer zu gehen und Kiki mitzunehmen. Ihm gegenüber war er nicht zu Erklärungen darüber verpflichtet, was in seinem Kopf vor sich ging. Kiki spürte die charakteristischen Stimmungslagen seines neuen Herrn (Herr deshalb, weil er ihm gern gehorchte) und reagierte einzig darauf. Wenn Senzaki gut gelaunt war, strahlte der Affe vor Glück und führte ihm seine Tollkühnheiten vor. War er schlecht gelaunt, mühte sich Kiki sehr, ihn mit einem ähnlichen Gebaren in Stimmung zu bringen. In beiden Fällen endete ihr Zusammensein gewöhnlich in allgemeiner Ausgelassenheit, die mitunter heimlich auch Chio beobachtete. Auf ihre Stimmung reagierte auch sie; sie vollführte kleine Tricks, wer weiß, woher sie die hatte, und sie ersann kleine Wohltaten. Manchmal, wenn Senzaki dennoch in düstere Gedanken verfiel, verlor sich Chios Heiterkeit und sie entschwand wie ein Geist, lediglich körperlich anwesend und ihren Pflichten nachgehend. Auf diese Weise wurden die Gesetze im vorwiegend fröhlichen Haus von Kung Shan unkompliziert und sehr klar.

Eines Nachmittags besuchte ihn der Dorfälteste Kung, mit ernstem Gesichtsausdruck. Als sie allein waren, teilte der alte Mann ihm mit:

»Heute sind Nachrichten über den Grund deiner Rückkehr ins Dorf zu mir gedrungen. Sei unbesorgt, hier wird niemand nach dir suchen. Hier bist du Herr Sung und das wird auch so bleiben. Senzaki ist, wie im Nachbarreich verkündet wurde, zum Tode verurteilt worden. Es heißt, dass die Strafe vor wenigen Tagen vollstreckt wurde.«

»Lieber Kung, lass mich erklären …«

»Nein, du wirst mir gar nichts erklären. Ich weiß, wer du bist, von wem du abstammst und was für einer du bist, und du hast nichts Schlechtes getan. Vergiss alles, was ich dir gesagt habe, denn ich erinnere mich schon an gar nichts mehr. Lass uns vielmehr zu wichtigeren Dingen übergehen. Hast du dich entschieden, was du in Angriff nehmen willst? Du bist ein sehr gelehrter Mann, und so geht es nicht an, dass du Tätigkeiten verrichtest, bei denen dein Wissen ungenügend zum Tragen kommt. Hier im Dorf könntest du Schreiber für einen der Reicheren werden, aber sicher erlaubt dir dein Stolz nicht, eine solche Beschäftigung aufzunehmen. Am besten wäre, du hättest genug Geld, dann brauchtest du nicht etwas zu tun, was du nicht möchtest.«

»Danke, Kung, für das kurz vorher und für das eben. Ich habe noch etwas Geld, für mich und zur Bezahlung von Chio. Irgendetwas werde ich tun. Sollte mir das nicht gelingen, werde ich das Mädchen auszahlen und den Haushalt selbst führen. Wenngleich das niemand so kann wie sie.«

Sich dem Zimmer nähernd, in dem das Gespräch stattfand, hörte Chio die letzten Sätze von Sung Shan. Sie machte sich bemerkbar und brachte Wildkirschentee, goss ihnen ein und verschwand wieder. Sie setzte sich hinter das Haus und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Kiki jagte zu ihr hin und fing an, ihr stumm über das Haar zu streichen.

»Das heißt, dass du mit ihr zufrieden bist?«, fuhr Kung fort.

»Ich weiß nicht, von wem sie all das gelernt hat, sie kann einfach alles.«

»Niemand weiß das. Sie ist neulich mit ihrem Äffchen ins Dorf gekommen; ihren Lebensunterhalt hat sie mit Arbeit in fremden Häusern verdient. Alle waren zufrieden, nur sie war es scheinbar nicht. Gewöhnlich blieb sie nur kurz in einem Haus. Jedes Mal, wenn sie wegging, trauerten ihr die Hausherren nach. Wenn du sie entlässt, wird sie leicht einen anderen Herrn finden.«

Sung Shan indes war sich nicht sicher, ob er sie entlassen wollte. Chio bot ihm mehr als die Erledigung der Pflichten. Ihm stand der Sinn nicht danach, neue Menschen kennenzulernen und besonders nicht solche, die täglich in seinem Haus wären.

Als Kung gegangen war, suchte Sung nach Chio. Sie saß im Hof und unterhielt sich mit Kiki. Doch in welcher Sprache? Sung bemühte sich, besser zu verstehen. Sie sprach Japanisch! Sung hatte ohnehin Zweifel an ihrer dörflichen Herkunft, er hatte sich davon überzeugt, dass sie die Schule besucht hatte und gebildet war.

»Chio, es wird Zeit, dass du mir sagst, wer du eigentlich bist!«

Sie geriet wegen seiner Anwesenheit und seiner Frage nicht im Geringsten aus der Fassung, drehte sich um und sah ihn mit weit geöffneten Augen an.

»Auch ich habe im Nachbarland gelebt. Als mein Vater starb, kam ich hierher. Nichts davon ist interessant und deshalb möchte ich auch nicht darüber sprechen. Übrigens, warum auch, wenn du mich bald fortschickst? Mein Herr, besser ist, wenn wir uns nicht kennen.«

»Chio, als erstes wirst du mich von nun an nicht Herr nennen, und zweitens, von Entlassung habe ich zu deinem Wohl gesprochen. Welches Recht hätte ich, dich bei mir zu behalten, damit du unentgeltlich für mich arbeitest? Noch ist Zeit. Wenn ich eine neue Tätigkeit aufnehme, werde ich vermutlich Geld haben und wir werden darüber gar nicht sprechen müssen.«

»Aber du verstehst nicht! Ich will hier bleiben, auch wenn du kein Geld hast, mich zu bezahlen. Ich würde nämlich unentgeltlich arbeiten.«

»Wie das nun? Kung hat mir gesagt, dass du so häufig die Haushalte gewechselt hast, obwohl dir niemand etwas angetan hat, und jetzt würdest du auch ohne Bezahlung hier bleiben?«

»Nun, sagen wir mal, ich habe die Freiheit der Wahl. Immer hat der Wille in meinem Leben bestimmt, was ich mache. So auch jetzt. Freilich, stärker als mein Wille kann dein Wunsch sein, mich loszuwerden. In dem Fall kann ich mich nicht widersetzen.«

»Du weißt, dass das nicht der Grund für dein Fortgehen sein könnte.«

»Na gut. Dann bleibe ich. Wenn du entschieden hast, was du tun willst, hoffe ich, dass du auch mich davon in Kenntnis setzt. Vielleicht werde ich dir auch dabei helfen können.«

Sung kehrte ins Haus zurück, verdutzt von dem, was er von dem Mädchen gehört hatte. War es möglich, dass Chio ihm gefiel und dass er sie überhaupt nicht verstand? Immer mehr kam es ihm so vor, als trüge auch sie irgendein Geheimnis in sich. Er hätte es gern, dass dieses Geheimnis sie selbst ist, und nicht etwas außerhalb von ihr.

Das Buch vom Bambus

Подняться наверх