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XVI

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Beschleunigen? Ja. Eigentlich durch Vorgehensweisen, die die Ereignisse beschleunigen könnten.

Sie schlich sich in Sungs Arbeitszimmer und legte ihm eine eingewickelte Handschrift ins Regal. Und wartete.

Sung betrat das Zimmer und verließ es bis zum Abend nicht mehr. Als er erschien, ganz verzückt, mit feinen Spuren der Überraschung im Gesicht, kannte Chio bereits seine Frage:

»Wer hat die Handschrift gebracht?«

In der Frage schwang auch ein wenig Angst mit.

»Niemand. Das heißt, ich.«

»Aber woher hast du das? Weißt du, was das ist?«

»Ich denke schon. Das ist mein Geschenk. Und woher ich das habe? Das ist doch unwichtig. Ich habe die Handschrift besorgt.«

Sung sah sie misstrauisch an. »Sie hat sie besorgt!«

Sie mochte ihm nicht sagen, woher sie das Material hatte. Reichte es ihr, ihm eine Freude zu machen oder verbarg sie ihre Quelle, weil sie mehr wusste, als er annahm, mehr als er wusste? Er beschloss, sie nicht zu bedrängen. Er hatte sie bereits soweit kennengelernt, dass ihm klar war, nichts aus ihr herausbekommen zu können, was sie nicht wollte.

Und er überraschte sie. Er näherte sich ihr und presste seine Lippen lange auf ihre Stirn. Sie errötete. Er ging zurück ins Zimmer und machte sich abermals an die Lektüre der Schrift.

Mein Name ist Obuto Nissan und ich bin der Hüter der Bambushaine. Ich werde versuchen, euch etwas von dem zu vermitteln, was ich über dieses Riesengras weiß. In diesem Teil werde ich über japanischen Bambus sprechen. Und dieser ist, wie auch die Menschen, anders als der im chinesischen Kaiserreich oder in Indien. Und meinen kenne ich am besten.

Bis kurz vor dem Ende meines langen Lebens, da ich dieses schreibe, habe ich sechshundertsechzig Bambussorten kennengelernt, die ich in dreizehn Hauptarten eingeteilt habe. Die meisten habe ich mit Erfolg im Hain der Insel Kyūshū gepflanzt, deren Klima dem Bambus ganz besonders bekommt. Unsere Menschen leben mit dem Bambus von Geburt bis zum Tod und bemerken dabei nicht, wie sehr sie von ihm abhängen, wie sie ihn nutzen und was sie noch aus ihm herstellen könnten. Ich bin der Ansicht, dass er bei uns stärker im Alltag genutzt wird als in China. Selbst die Häuser aus Holz und Papier haben Decken aus Bambus, schmückende Reliefs, Dachrinnen, Abflüsse und Tokonoma aus Bambus. Aus Bambus flechten wir Körbe, fertigen Pfeifen, Pfeil und Bogen, Bänke, Stühle, Liegen, Blumenampeln; glückbringende Figuren, Vogelscheuchen, Gartenzäune, Gerätschaften für die Teezeremonie und vieles mehr.

Ich hatte sogar eine Frau aus Bambus. In der Einsamkeit, in die ich mich so viele Jahre zurückgezogen hatte, erhörte ich einen chinesischen Besucher, und nach seinen Erläuterungen flocht ich einen zylinderförmigen, anderthalb Meter langen Korb, den ich in heißen Nächten umarmte und ein Bein über ihn legte. Auf diese Weise konnten die ihn durchdringenden Lüftchen mich kühlen und mir einen friedlichen Traum bescheren.

Wenn ich euch sage, dass ich auch eine Tochter aus Bambus hatte, werdet ihr mir das nicht glauben. Aber sie kam wirklich aus einem Bambus zu mir und verschwand auch wieder dorthin. Allerdings ist das eine lange weitere Geschichte.

Während ich dies am Abend schreibe, wird meine Hütte von einer Bambuskerze ausgeleuchtet. Ich fertige sie aus Wachs, den ich gewinne, wenn ich zwischen den Knoten der einjährigen Triebe den weißen Extrakt entnehme. Mit dieser Prozedur gleiche ich mein Haus an die Heimstätten der großen Herrscher an.

Den einfachsten und am meisten verbreiteten Madake-Bambus fand ich in der Umgebung des shintoistischen Schreins Iwashimizu Hachiman auf einem Hügel nahe Kyoto. Als ich begriffen hatte, was man mit ihm so alles machen kann, begann ich mich eingehend mit dieser Pflanze zu befassen. Damals meldete ich mich als Hüter der Bambushaine, denn auf einer solchen Position konnte ich mich voll und ganz dem Bambus widmen und wurde dafür auch noch entlohnt.

Seit ich hier bin, gibt es nur einen Bambus, dessen Geheimnis ich nicht völlig lüften konnte, und das ist der Kikko-chiku, der Schildkrötenbambus. Ich habe ihm seinen Namen nach den kreuzgefächerten Mustern der Stämme gegeben, wodurch jedes Segment einem Schildkrötenpanzer ähnelt. Seltsam ist, dass diese Merkmale manchmal verschwinden, sodass der Stamm wieder ein normales Aussehen erhält. Die Ursache für diesen eigenwilligen Abstecher habe ich nie herausfinden können. Als diese seine Angewohnheit bekannt wurde, haben gierige Menschen ihm natürlich größere Aufmerksamkeit gewidmet. Überall entstanden Plantagen mit Schildkrötenbambus, doch ein jeder erlebte eine Enttäuschung: Wer ihn pflanzte, um daraus Nutzen zu ziehen, dem gelang es nicht, aus ihm eine »Schildkröte« zu machen. Er wuchs wie jeder andere gewöhnliche Bambus und gab seinen Prunk nicht preis. Ich habe im Hain des Herrschers nicht mit solchen Dingen gehandelt. Neugierigen erlaubte ich, ihn zu besichtigen. Für sie war er dennoch nur eine Kostbarkeit.

Mit zwei Bambusarten habe ich, lange Jahre experimentierend, große Erfolge erzielt. Vom Madake züchtete ich eine Unterart, die ich schnell wachsenden Bambus nannte. Die besten Exemplare waren sage und schreibe imstande, innerhalb von vierundzwanzig Stunden einhundertundzwanzig Zentimeter zu wachsen. Aber auch mit dieser wie mit jeder weiteren Art, mit der ich etwas erreichte, geschahen seltsame Dinge. Das eine oder andere Exemplar kam mir abhanden, ohne dass ich es jemals wiederfand. Mit der Zeit begann ich meine Notizen zu verstecken, die ich bei der Beobachtung der Veränderungen und Neuheiten an den Exemplaren machte.

Hier hielt Sung ein. Daher stammte also das von den Daimyōs mitgebrachte Folterinstrument für den Shogun. Wegen dieser Entdeckung war ihm gar nicht wohl. Obuto Nissan schien mit ihm ein unsichtbares Gespräch zu führen. Die folgenden Sätze bestätigten das.

Mir kamen auch mehrere Triebe des Riesenbambus abhanden, den ich durch Kreuzung von Grünem mit birmanischem Bambus gezüchtet hatte. Das waren Triebe einer Art, die eine Höhe von über sechsunddreißig Metern und einen Durchmesser von dreißig Zentimeter erreichen kann. Während ich diese Pflanze erforschte, kam mir nie das menschliche Böse in den Sinn, diese Saat, die schneller als auch dieser Bambus aufging. Als ich begriff, dass eine bestimmte Anzahl von Arten, die an der Stammoberfläche einen Flaum aufweist, schädlich für denjenigen sein kann, der ihn in die Haut einreibt, wodurch die Härchen ins Blut gelangen und dafür sorgen, dass er unter größten Qualen zugrunde geht, ohne dass ihm geholfen werden kann, habe ich alle Aufzeichnungen dazu tief in der Erde vergraben, damit sie auch für mich in Vergessenheit geraten. Bei der Erforschung aller möglichen Eigenschaften einzelner Arten konnte ich allerdings die vernichtenden Erkenntnisse, zu denen ich gelangt war, nicht beiseitelassen. Ich konnte mir nur denken, was einem Menschen passieren würde, der diese feinen Härchen, die der Pflanze zum Schutz dienen, unter die Haut bekäme, und wenn diese ihre naive Schlacht begännen, mit einem zunächst schwachen und dann immer stärkeren Juckreiz. Und ein beabsichtigter Mord erst! Dieser Flaum ließe sich mit Nahrung vermischen und könnte so direkt und schnell in die Organe gelangen. Einem solchen Tod zuzusehen wäre schlimmer als ihn selbst zu erleben. Die Ursache für solch einen Tod könnte niemals aufgedeckt werden, es sei denn, der Mörder gäbe sein Verbrechen selbst zu. Und die Frage ist, ob selbst dann das Verbrechen zu beweisen wäre.

Es ist ein Glück, dass ich weitaus weniger an derartigen Entdeckungen machte als all die anderen, die den Menschen von Nutzen waren. Also, ich will fortsetzen mit …

Hier brach die Handschrift ab. Oder, besser gesagt, weitere Seiten waren nicht in Sungs Besitz. Sollte der Text vor Nissans Tod vollendet worden sein, konnte sich Sung vorstellen, was sein Inhalt war. Irgendwo in seiner Hütte oder in den Bambushainen oder bei irgendjemandem mussten weitere mit Wundern gefüllte Seiten vorhanden sein. Natürlich war Sung überglücklich auch über die wenigen Sätze, deren Aussagen die Anzahl weit übertrafen.

Das Buch vom Bambus

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