Читать книгу Der Flug des Fasans - Volker Buchloh - Страница 11

Duisburg Röttgersbach, 19. April

Оглавление

Knoop war über die A42 und A59 nach Hause gefahren. Er sah keinen Sinn mehr darin, seine Zeit nur im Präsidium abzusitzen. Er hatte dabei überhaupt kein Unrechtsgefühl, wollte er sich doch heute Nacht um vier Uhr am Tatort umsehen. Verlagerung seiner Arbeitszeit nannte er so etwas. Er parkte seinen Audi unter den Carport. Der Wagen seiner Frau war nicht da. Er würde also die nächste Zeit alleine verbringen müssen. Ein Unmutsgefühl machte sich in ihm breit. Viel lieber hätte er jetzt gerne etwas mit seiner Familie unternommen. Als er die Haustüre aufschloss, stellte er fest, sie war nicht abgeschlossen. Er wollte gerade darüber nachgrübeln, warum Christel das Haus unverschlossen zurückgelassen hatte als ihn AnnaLena ansprang. Die Umarmung war ein bisschen zärtlicher als sonst, aber Knoop dachte sich nichts dabei. Als ihm seine Tochter berichtete, nicht mit Mami einkaufen gegangen zu sein, weil sie Hausaufgaben zu erledigen hatte, da runzelte er unmerklich seine Stirn. Er dachte sich aber noch nichts dabei. Schließlich sollte man solche Initiativen nicht durch Spott oder falsch verstandene Bemerkungen abwürgen. Knoop setzte sich in seinen Fernsehsessel, kippte die Mechanik des Stuhls nach hinten und griff nach seiner Tageszeitung.

„Papi, soll ich dir eine Tasse Kaffee kochen?“

AnnaLena war also nicht zu ihren Schulaufgaben gegangen, sondern hatte ihn beobachtet. Ein solches Angebot machte seine Tochter recht selten. Jetzt war ihm langsam klar, AnnaLena hatte etwas auf ihrer Seele. Was, da war er sich sicher, würde er in absehbarer Zeit erfahren. Obwohl er keinen Kaffee wollte, nickte er. „Ja, mein Schatz. Kannst du mir einen Cappuccino bringen?“

Die Familie Knoop hatte sich mit Unterstützung seiner Schwiegermutter zu Weihnachten einen Kaffeeautomaten zugelegt. Vier oder fünf verschiedenen Kaffeesorten konnte diese Maschine aufbrühen. Die Bedienung war kinderleicht und die Tochter des Hauses hatte es als ihren Beitrag zum Familienleben deklariert, diese Dienstleistung zu erbringen.

„Kommt sofort, Pa.“

Bei jedem ihrer Sprünge wippte der rote Plisseerock auf und nieder und der Pferdeschwanz wackelte wild hin und her. Knoop hörte sie in der Küche hantieren. Knoop hatte den ersten großen Artikel in der Zeitung noch nicht zu Ende gelesen, als AnnaLena den gewünschten Kaffee servierte. Weiß der Teufel, woher es kam, auf jeden Fall lag auf der Untertasse ein Plätzchen. Alles sah so aus als befände er sich in einem Cafe.

„Bitteschön“, ertönte die lebhafte Stimme der Kleinen.

Knoop stellte sich dumm. Er nahm einen Schluck, machte eine zustimmende Kopfbewegung und hob die Zeitung in Lesestellung. Wie er vermutet hatte, blieb seine Tochter auf dem Sofa neben ihm sitzen. Vorsichtig verschob er langsam die Zeitung. So konnte er unbemerkt einen Teil des Mädchenkörpers sehen. Er verhielt sich aber weiter so, als sei er in der Lektüre dieses Papiers vertieft. AnnaLena wippte nervös mit ihren Beinen. Er hatte ein paar Kurzmeldungen gelesen, als eine zaghafte Stimme die Ruhe im Raum beendete.

„Papa!“

Knoop gab vor, sich voll auf das Lesen zu konzentrieren.

„Papa!“ Die Stimme klang jetzt energischer. Außerdem wurde er an seinem linken Knie geknufft. Er tat so als schreckte er auf.

„Ja, was ist denn, mein Schatz?“

„Papa, ich habe da eine Frage. Die Oma will sich ein neues Handy kaufen.“

Knoop zuckte mit den Schultern. Er konnte sich vorstellen, was seine Tochter wohl wollte, aber er legte Wert darauf, das AnnaLena lernte, ihre Wünsche zu formulieren. „Oma kann mit ihrem Geld kaufen, was sie möchte.“

„Das meine ich auch nicht.“ Die Kinderstimme klang hilflos. Knoop war nicht gewillt, seiner Tochter in irgendeiner Weise entgegenzukommen. Wenn sie was wollte, dann sollte sie ihren Wunsch klar und deutlich äußern. Er hob wieder das Blatt hoch. Erneut wurde er angestupst.

Seine Tochter nahm allen Mut zusammen. „Papa, ich kann das alte Handy dann bekommen.“

„Hast du Geld, um es zu bezahlen?“

„Das bekomme ich geschenkt. Es geht um die Kosten.“

Knoop war sich sicher, die ganze Wahrheit hatte er bislang noch nicht gehört. „Aber du hast doch seit einem Jahr mein altes Handy. Da konntest du doch die Telefonkosten vom Taschengeld bezahlen. Wo ist denn das Problem?“ Knoop musste ihr entgegenkommen.

AnnaLena verzog ihren Mund. „Ja, weiß du, dies ist kein normales Handy.“

Knoop juckte es, zu bemerken, es gäbe keine anormalen Handys, aber er wollte das Gespräch nicht auf die Spitze treiben. „Hat die Oma nicht ein Smartphone?“

„Genau, und dieses kostet aber etwas mehr im Monat als du vielleicht denkst.“

Nun war es heraus. Knoop strengte sich an, nicht lächeln zu müssen. „Und was sagt Mama dazu?“

„Mama hat nichts dagegen. Du sollst entscheiden.“

Knoop kannte seine Tochter und die filigrane Fähigkeit, die beiden Elternteile gegeneinander auszuspielen. Außerdem war es höchst unwahrscheinlich, dass Christel keine Meinung zu einer Entscheidung hatte und sie ihm einfach überließ. „Du weißt, ich werde deine Mutter fragen.“

AnnaLena druckste herum. „Na, ja, so ganz war sie nicht dafür.“ Um das Gesagte quasi in Vergessenheit zu bringen, beschrieb seine Tochter nun, was das neue Gebrauchte alles für Funktionen hatte. Knoop ließ sie berichten, um festzustellen, ob sie die Funktionen des Gerätes auch verstand. Er musste neidvoll anerkennen, wie informiert seine Tochter war. Er hatte auch so ein Gerät. Dabei hatte er lange gebraucht, bis er damit zu Rande kam.

Ein Schlüssel drehte sich im Türschloss. „Na gut. Dann können wir sie ja gleich fragen.“

Das Ehepaar Knoop küsste sich zur Begrüßung. „Was wolltet ihr mich fragen?“ Christel Knoop zog einen dreiviertellangen Mantel aus, legte den Schlüsselbund auf den Wohnzimmertisch und kehrte ohne Mantel zurück. Sie zündete sich eine Zigarette an. Während sie den Rauch tief inhalierte, lehnte sie sich in die Polster der Sitzgarnitur zurück. „Ich warte.“

„Es geht um das Smartphon deiner Mutter“, begann Mikael die Aussprache. AnnaLena ergriff den Schlüsselbund und räumte das Feld. Nach wenigen Minuten hörte man sie in der Küche hantieren. Sie räumte die Lebensmittel weg, die Christel gerade eingekauft hatte.

„Hat sie dir gesagt, dass ich strikt dagegen bin?“ Christels Augen funkelten vor Zorn.

Mikael ging auf die Fangfrage gar nicht erst ein. „Meinst du wegen der Kosten?“

„Natürlich! Die sind viel zu hoch.“

„Es gibt Flatrates“, versuchte Knoop die Wogen zu glätten.

„Das dachte ich mir doch. Immer stehst du auf ihrer Seite.“ Sie zog die Haut über ihrer Nase zusammen und inhalierte den Rauch sehr tief, bevor sie diesen mit Wucht ausstieß.

„Ich stehe nicht auf ihrer Seite. Möchtest du darüber nicht reden?“

„Trotzdem.“ Christels Stimme nahm einen versöhnlicheren Zug an.

„Siehst mal, mein Schatz. Die Rechnung bekommen wir. Wir können also sofort gegenrudern, wenn AnnaLena die Sache zu intensiv nutzt. Außerdem hat sie in zwei Wochen Geburtstag. Was hältst du davon, wenn wir ihr die Wahl lassen zwischen Smartphon und dem neuen Sommerkleid. Du hast das doch noch nicht gekauft?“

„Dies sollte doch eine Überraschung sein.“ Ihre Stimme klang enttäuscht. Sie zog an ihrer Zigarette. „Nein, hab´ ich nicht.“

„Ich möchte viel lieber das Handy“, kam der Bescheid aus der Küche. Annalena hatte trotz der Einräumgeräusche genau hingehört, was im Wohnzimmer besprochen wurde. Ein Kinderkopf erschien in der Wohnzimmeröffnung. „Ich habe doch noch zwei Sommerkleider. Ich meckere bestimmt nicht, wenn ich die mehrmals tragen muss.“ Zwei bittende Kinderaugen schauten ihre Eltern an.

„Sie bekommt dann von uns drei Monate die Flatrate geschenkt.“ Mikael schaute seine Frau an.

„Ihr habt Euch gegen mich verschworen.“ Christels Stimme spiegelte ihre Enttäuschung wider.

„Nein, nein“, wandte Knoop ein. „Wenn du jetzt Nein sagst, dann bleibt alles so, wie du es willst.“

Christel zog in den letzten Tabak die Glut, bevor sie den Zigarettenrest im Aschenbecher ausdrückte. „Na gut, in drei Monaten entscheiden wir dann darüber, ob die Sache rund ist oder nicht.“

Mit einem Jubelgeschrei stürzte AnnaLena auf ihre Mutter zu und drückte sie mit all ihrer Kraft in die Polster. Danke, Mami, danke. Ich verspreche...“ Christel hielt ihr den Mund zu. „Versprechen ist Nichts. Sich richtig verhalten ist besser. Dir muss klar sein, ich nehme dir das Ding weg, wenn das dein Taschengeld überschreitet.“

„Oma hat mir gesagt, ich bekomme Geld, wenn ich bei ihr spüle oder Staub sauge.“

Christel richtete sich abrupt auf. „Das kannst du vergessen. Zu Hause wirst du für diese Tätigkeiten nicht bezahlt. Ist das deutlich?“

AnnaLena nickte wie ein körnerpickendes Huhn.

Knoop konnte nun in Ruhe seine Zeitung lesen. In der Entfernung bekam er mit, wie die Enkelin am Telefon ihre Oma darüber informierte, was der Familienrat gerade beschlossen hatte.

Der Flug des Fasans

Подняться наверх