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Duisburg Rheinhausen, 20. April

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Es war kurz nach vier Uhr in der Frühe. Die Straßenlaterne spendete Licht. Es verblieben aber die meisten Gegenstände im Dunkeln, wenn sie nur weit genug davon entfernt waren, oder nahm nur schemenhafte Konturen an. Knoop drückte die Beleuchtungstaste seiner Armbanduhr. Er war über eine Stunde vor dem vermeintlichen Zeitpunkt des Mordes am Tatort erschienen, den der Gerichtsmediziner bestimmt hatte. Knoop hatte die Gittertore des Friedhofs kontrolliert. Heute zumindest waren sie verschlossen. Er hatte gar nicht vorgehabt, über die Wege des Friedhofs zu schleichen. Er war sich sicher, hier sowieso keinen Zeugen antreffen zu können. Die Gegend war um diese Zeit absolut ruhig. Er war sich nicht sicher, ob er der einzige Mensch war, der sich hier aufhielt. Um das entscheiden zu können, war die Beleuchtung nicht ausreichend genug. Die Bewohner der umliegenden Häuser schliefen wohl, wenn man den dunklen Fenstern ihrer Wohnungen vertraute. Ob der Mörder gewusst hatte, wie günstig er hier seiner Absicht nachkommen konnte?

In der dritten Etage eines Mehrfamilienhauses wurde ein Licht angeschaltet. Knoop richtete sein Interesse in diese Richtung. Nach einigen Minuten verlosch die Lichtquelle wieder. Wahrscheinlich ein Toilettenbesucher, den die gefüllte Blase zum Verlassen der Lagerstatt zwang. In der Ferne hörte er Motorengeräusche. Aber keine Fahrlichter suchten den Weg durch die Dunkelheit des Friedhofareals. Auch der Kiosk hob sich von den in sich zusammengefallenen Konturen nicht hervor. Knoop glaubte, die Richtung auszumachen. Er würde geöffnet werden, wenn es keines künstlichen Lichtes bedurfte.

Das beleuchtete Zifferblatt gab nun den Zeitpunkt an, zu dem der Mord geschehen sein musste. Die Lichter eines am Straßenrand parkenden Wagens wurden eingeschaltet. Bevor Knoop zur Stelle sein konnte, wurde das Fahrzeug beschleunigt. Es verließ die Friedhofsgegend in Richtung Norden. Er notierte sich den Wagentyp, ein heller oder silberfarbiger Ford Focus. Auch die Hausnummer, wo der Wagen geparkt hatte, trug er in sein Notizbuch ein. Da hier kein Licht angegangen war, war zu vermuten, der Fahrer bewohnte die rückwärtige Seite des Gebäudes. Bei der eintretenden Stille fühlte sich der Kriminalist wieder alleine. In einer Wohnung am Ende der Lohstraße wurde es hell. Es blieb an. Kurze Zeit später wurde ein Raum daneben ebenfalls beleuchtet. Hier war man wohl aufgestanden, um sich für den Weg zur Arbeit bereit zu machen. Knoop zählte inzwischen zwei weitere Wohnungen, in denen ihre Bewohner den Tagesablauf begannen. Knoop verlegte seinen Standort in diese Richtung.

Es war eine halbe Stunde des Wartens vergangen als er Stimmen hörte, ohne irgend etwas wahrzunehmen. Er versuchte, in der vermuteten Richtung Bewegungen auszumachen. Kein Erfolg. Er hörte, wie sich eine Wagentüre öffnete. Die automatische Einschaltung der Innenbeleuchtung wies ihm den Weg. Es waren zwei Männer. Ihre Arbeitsbekleidung wies sie als Monteure einer Installationsfirma aus. Knoop schaltete sein Diktiergerät ein, bevor er sich zu erkennen gab. Mit einer Stablampe beleuchtete er seinen Dienstausweis. Die beiden Männer waren skeptisch. Der Brillenträger mit kurzgeschorenem Haar hielt seine Tasche auf Brusthöhe, so als befürchtete er einen Messerangriff oder den Diebstahl seines Pausenbrotes. Der etwas größere von den beiden trat einen Schritt zur Seite, so als suche er in der Dunkelheit Schutz. Erst als Knoop ihnen erklärte, weshalb er sie ansprach, kamen sie näher und zeigten Interesse. Sie nannten ihre Namen. Natürlich hatten sie von dem Verbrechen gehört. Sie waren entrüstet. Noch nicht einmal so eine ehrwürdige Stätte wie ein Friedhof hielt solche Ganoven von ihrem Tun ab. Aber gesehen hatten sie nichts. Sie hatten alles, was sie wussten, aus der Zeitung erfahren. Dabei waren sie entsetzt, wie nah sie einem solchen Verbrechen gewesen waren. Als Knoop ihnen mitteilte, der Mord müsste um diesen Zeitpunkt etwa erfolgt sein, machte sich Angst in ihren Gesichtern breit. Jeden Tag zu dieser Zeit machten sie sich auf dem Weg zur Arbeit. Sie waren sichtlich froh, der Stätte des Unheils entfliehen zu können. Sonst konnte Mikael sich die hohen Drehzahlen des Motors nicht erklären. Knoop ließ sie fahren. Auf ihrer Fahrt würden sie eine Menge Gesprächsstoff haben. Knoop notierte sich sicherheitshalber das Kennzeichen.

Wieder war er allein. Die Anzahl der Lichter stieg an. Er hörte auf sie zu zählen. Flexibel drehte er sich laufend in verschiedene Richtungen. Aber auf der Straße tat sich nichts, wenn man den Verkehr in der Ferne außer Acht ließ. Die Kälte kroch langsam über seine Beine in seinen Körper. Natürlich hatte er sich entsprechend der Tagesstunde warm angezogen, aber die Kälte aus dem Boden hatte er unterschätzt. Tagsüber hatte die Sonne, wenn sie denn schien, schon Kraft genug, um angenehme Wärme zu verbreiten, aber die Nächte waren doch noch empfindlich kalt. Knoop machte ein paar Bewegungen mit Beinen und Armen, um den Kreislauf zu beschleunigen. Nach einigen Minuten hörte er damit auf. Zuerst wusste er nicht, was ihn störte. Richtig, er machte keine Bewegungen mehr und trotzdem gab es Geräusche von Füßen auf dem festen Boden. Wieder versuchten seine Augen, in den verwaschenen Konturen die Figur eines Menschen auszumachen. Es war vergeblich.

„Kalt heute morgen, nicht?“

Knoop versuchte verzweifelt, den Standort des Sprechers auszumachen. Die Figur des Plauderers bewegte sich wohl unerkennbar. Zwischen zwei parkenden Autos stand ein dunkelgekleideter Mann.

„Werden Sie auch abgeholt? Ich hab´ Sie hier noch nie gesehen. Neu hier?“

„Ich habe Sie überhaupt nicht bemerkt. Stehen Sie jeden Morgen hier?“ Knoop wechselte die Straßenseite.

„Ja, jeden Morgen, bis auf Sonntag. Da schlafe ich mich aus. Warum wollen Sie dieses wissen?“ Der Mann trug einen dunklen Parka, der allerdings vorn nicht geschlossen war. Unter der Nase lag ein breiter Schatten. Als Knoop näher heran kam, sah er einen Oberlippenbart. Das Haar wurde von einer Baseballkappe verdeckt. „Ich habe Sie die ganze Zeit schon beobachtet und mich gewundert, was Sie da so machen. Wissen Sie, meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Ich sehe mehr als andere.“

Knoop schaltete den Sprachaufzeichner ein, bevor er seinen Ausweis im Strahl seiner Taschenlampe präsentierte. Auch dieser Wartende hatte von dem Mord gehört. Er gab Norbert Wehrmeister als seinen Namen an. Es schien ihm aber ziemlich bedeutungslos. „Wissen Sie, ich arbeite als Vertreter. Ich verkaufe Zeitungsabonnements. Sie können sich nicht vorstellen, was da so abläuft. Das Beste, was mir passieren kann, neben dem Verkauf eines Abos...“ Er lächelte. „... ist das Zuschlagen von Türen. Schlimmer noch sind die Beschimpfungen, die man sich anhören muss. Bis vor kurzem habe ich sogar Prügel einstecken müssen. Nun habe ich gelernt, den Leuten in die Augen zu schauen. Wissen Sie, kurz bevor man zuschlägt, zucken die mit den Augen. Dann bleibt nicht mehr viel Zeit zurückzuspringen. Aber mir reicht der Augenblick, um mich in Sicherheit zu bringen.“

Knoop hatte mit dem Kopf genickt als sein Gegenüber erzählte. „Aber Prügeln ist doch nicht so schlimm, wie Mord?“

„Meinen Sie? Wenn es kurz und schmerzlos geschieht, sicherlich nicht. Bei einem Mord merkt man hinterher nichts, die blauen Flecken schmerzen viele Tage lang.“

Knoop musste zum Kern seines Hierseins kommen. „Haben Sie gestern so um diese Zeit etwas bemerkt?“

„Ach, ist da der Mord passiert?“

Knoop nickte bestätigend.

„Gestern, gestern?“ Er zwirbelte an seinem Lippenbart. „Jetzt, wo Sie fragen. Da war was.“

Knoop schwieg, um den Redefluss nicht zu unterbrechen.

„Ja, genau. Da ging gestern einer über den Parkplatz. Ich habe mich noch gewundert. Warum ist die Innenbeleuchtung kaputt, wenn er seinen Wagen öffnet?“

Knoops Kreislauf setzte sich in Bewegung. „Einer? Sind Sie sicher. Es handelte sich um eine Person?“ Er betonte dabei >eine< so deutlich. Es sollte kein Zweifel an dem Gefragten aufkommen.

Der Schnauzbart nickte gelangweilt. Er schaute auf seine Uhr, was die Wartezeit nicht verkürzte.

„Haben Sie ihn erkannt?“

Der Kopf wurde geschüttelt. „Nein, das nicht. Dazu war es doch zu dunkel. Sogar für mich.“ Wieder zog ein Lächeln den Schnauzer zur Nase hoch. „Nein. Am Gang habe ich ihn erkannt. So geht keine Frau.“

Ein Kleinbus näherte sich. Mit der Lichthupe machte der Fahrer auf sich aufmerksam. Der Wagen hielt bei den beiden Männern. Eine Schiebetüre wurde zurück gezogen. Der Lärm der Insassen drang nach außen. Der Mann hob grüßend die Hand und wollte einsteigen.

Knoop berührte ihn am Arm. „Eine Frage habe ich da noch. Haben Sie gesehen, woher der Mann kam?“

Mit einem Fuß im Wageninnern drehte sich die Baseballkappe Knoop zu. „Aber klar doch. Von da nach da.“

Knoop folgte der Handbewegung. Er sah nichts, außer Dunkelheit. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Ein Blinker wurde betätigt, dann verschwanden die Rücklichter in der Dunkelheit. Die Drückerkolonne machte sich auf dem Weg zu ihrem Einsatzgebiet. Knoop ging in Richtung der Handbewegung, die das „von da“ angedeutet hatte. Noch konnte er nichts erkennen. Er stolperte über eine Rasenkante und musste einen Busch umrunden. Kurz darauf stand er vor dem Haupttor des Friedhofs.

Der Flug des Fasans

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