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Duisburg Dellviertel, 23. April

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Knoop war auf sein Arbeitszimmer im Polizeipräsidium zurückgekehrt. Erfreulicherweise hatte er den Kindermord aufgeklärt. Sicherlich, es war einiges Glück im Spiel gewesen, welches bei der Aufklärung mitgewirkt hatte. Aber Glück gehörte nun mal auch zu seinem Beruf. Insofern konnte er sich voll und ganz seiner neuen Aufgabe zu wenden. Gekonnt formulierte er vorher den Abschlussbericht, steckte ihn in die Akte, die den Fall dokumentierte und legte diese in das Postfach seines Chefs.

Auf zu Neuem, dachte er. Er lehnte sich weit mit seinem Sessel zurück, atmete tief durch. Dann schnellte er nach vorne. Er griff zu einem Bogen Papier und einem Kugelschreiber. Während er überlegte, wie er an seine neue Aufgabe herangehen sollte, machte er sich Notizen. Es war kein Fahrplan, den er einzuhalten gedachte, aber er enthielt doch Gedanken, die man vielleicht vergessen könnte. Er war sich ziemlich sicher, bei der Toten konnte es sich nur um eine Prostituierte handeln. Vielleicht gab es da noch andere Möglichkeiten, aber zur Zeit hatte er keinen anderen Gedanken. Notgedrungen musste er erstmals dieser Spur folgen. In den Denkpausen klickte der Schreiber. Mikael überflog seine Notizen, dann warf er seinen Kugelschreiber in die Schale. Jawohl, zuerst sollte er zu Bruno Metaller gehen. Bruno würde ihn mit den Informationen versorgen, die er unbedingt benötigte, um weiter zu kommen. Knoop liebte diesen Aspekt, den sein Beruf ihm hier bot. Immer gab es neue Sachgebiete, immer wieder musste man sich in neue Themengebiete einarbeiten, immer wieder lernte man dabei, wie riesig und tiefgründig das Gebiet der Kapitalverbrechen eigentlich war. Er griff zum Hörer, um sein Kommen anzumelden.

Das Klopfen an der Türe war zaghaft und kaum zu hören. Knoop hielt bei dem Versuch, eine der Nummer zu wählen, inne. Er sagte nichts, weil es in der Abteilung üblich war, nach dem Anklopfen sofort den Raum zu betreten. Wieder klopfte es. Diesmal etwas energischer. Knoop zog seine Stirne kraus. Er legte den Hörer in die Schale und wollte gerade aufstehen, um nachzuschauen, wer ihn da necken wollte. Wieder die Klopfgeräusche.

Mit überlauter Stimme brüllte Knoop: „Herein! Herein zum Teufel!“

Vorsichtig öffnete sich die Türe. Ein schwarzer Lockenkopf erschien im Türspalt und suchte Blickkontakt mit ihm. Knoop hatte die Person noch nie gesehen. Instinktiv dachte er an einen Besucher, wunderte sich aber, wie dieser es ohne Begleitung bis hierher geschafft hatte. Es tat ihm leid, gebrüllt zu haben. Zu Besuchern sollte die Polizei immer höflich sein, Öffentlichkeitsarbeit hieß das heute. Er versuchte seiner Stimme einen freundlichen Klang zu geben.

„Kommen Sie doch bitte herein.“

Die Person, die nun sichtbar wurde, trug unter den krausen Haaren ein langärmliges grünes Sweatshirt, welches unter einer grauen Lederjacke teilweise verdeckt wurde. Die schwarze Jeans war an einer Stelle des Oberschenkels eingerissen, so als sei er irgendwo hängen geblieben. Die Füße steckten in schwarzen Sneakers. Nur die geringelten rot-weißen Socken wollten nicht zu recht zu der Bekleidung passen. Knoop fiel sofort die dicke, breite Nase auf. Er dachte intuitiv an typisch schwarze Gesichtszüge, aber sein Träger hatte eine helle Hautfärbung.

„Was kann ich für Sie tun?“ Knoops Stimme behielt ihren höflichen Klang.

„Ich bin... Ich heiße...“

Knoop nickte mit dem Kopf als Zeichen, ruhig fort zu fahren.

„Ich bin Carlos Laurenzo.“ Der Mann atmete tief durch.

„Ich bin Mikael Knoop. Ich bin für...“

„Ich weiß, wer Sie sind“, unterbrach ihn sein Besucher.

Es dauerte einige Sekunden, bis Knoop begriff. Der Neuzugang. Es konnte sich nur um den Neuen handeln. „Was kann ich für Sie tun?“

„Man hat mir gesagt, ich soll hier aushelfen.“

Knoop konnte sich nun ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Hatte van Gelderen nicht gesagt, er würde persönlich...? Und dieses Bübchen, das von Nichts eine Ahnung hatte, wollte hier aushelfen? Na, das war ja mal wieder eine tolle Idee. Aber im Grunde überraschte ihn das Verhalten seines Chef nicht.

„Na, dann setzten Sie sich mal dorthin.“ Er wies auf den leeren Schreibtisch von Ulf Metzler. „Der Ulf...“ Knoop räusperte sich... „ist im Moment nicht da. Wenn er wieder kommt, dann besorgen wir Ihnen einen eigenen Stuhl.“

Carlos Laurenzo setzte sich so vorsichtig an den zugewiesenen Platz, als habe er jede Menge Erfahrungen mit zusammenbrechenden Arbeitsmöbeln gemacht. Er wartete einige Minuten, in denen Knoop überlegte, wie er seine neue Kraft beschäftigen sollte. Schließlich holte Laurenzo sein Smartphone hervor und begann, mit den Daumen zu hantieren.

„Ich muss mal eben weg. In der Zwischenzeit können Sie sich ja mit der Untersuchung beschäftigen, die wir beide nun bearbeiten werden.“ Knoop stopfte einige lose Blätter von seinem Schreibtisch in die Mappe und reichte ihm diese herüber. Carlos erhob sich artig und holte die Unterlagen zu sich herüber. Knoop hatte nun Zeit, das Telefongespräch zu führen, welches er vorher führen wollte.


Bruno Metaller war der Chef des Sittendezernats, kurz Sitte genannt. So wurde es unumwunden genannt. Eigentlich hieß es Kommissariat für Sexualdelikte, Vermisste, Menschenhandel, Zuhälterei und häusliche Gewalt. Zu lang also für eine Ansprache – also Sitte. Die offizielle Kurzbezeichnung was KK1. Deren Büros lagen im anderen Flügel des Präsidiumsgebäudes. Knoop hatte das ein oder andere Mal mit Metaller zu tun gehabt, wenn es darum ging, Informationen zu erhalten. Nun sah sein Fall ganz danach aus, als müssten sie beide erstmals zusammenarbeiten. Metaller war ein wenig zu klein geraten. Aber er hatte seine Größe in einen Vorteil verwandelt. Er spielte Fußball in der Kreisliga, soweit wie Knoop dies wusste. Seine Quirligkeit, sein Spurtvermögen machten ihn zu einem gefährlichen Gegner auf dem linken Flügel. Ein solche Überlegenheit hatte ihren Preis. Manche der stämmigeren Gegenspieler konnten sich nicht anders helfen, als Metaller über ein Foul vom Ball zu trennen. Diese Erfahrung hatte den Leiter der Sitte hart gemacht, eine Eigenschaft, die er auch in seinem Beruf gebrauchen konnte.

Metaller kam freudig auf ihn zu als Knoop das Zimmer betrat.

„Kollege Knoop, wie kann ich Ihnen helfen?“ Er reichte ihm die linke Hand. „Entschuldigen Sie, ich muss meine Rechte schonen.“

„Ein Sportunfall?“, wollte Knoop wissen.

Metaller lächelte gequält. „Eigentlich darf ich das gar nicht sagen. Das würde an meinem Image als taffer Kerl rütteln. Nein, diesmal war es nicht der Sport. Ich bin auf einem nassen Boden ausgerutscht – Hausflur, Sie verstehen.“ Er stöhnte.

„Und, können Sie damit denn Fußball spielen?“

Metaller setzte sich in seinen Sessel. „Ich werde mich doch durch so eine Prellung nicht aufhalten lassen. Keiner weiß davon, auch der Trainer nicht. Nur hier schone ich ihn. Sind ja noch ein paar Tage bis zum nächsten Spiel.“ Er legte den lädierten Arm vorsichtig auf die Tischplatte.

Knoop informierte ihn, über das was er bereits erfahren hatte. Die Ergebnisse der Gerichtsmedizin deuteten darauf hin, die tote Frau musste wohl eine Prostituierte gewesen sein.

„Sie brauchen sich hier nicht so gewählt ausdrücken.“ Metaller grinste. „Hier können Sie ruhig Nutte sagen.“ Er zeigte auf einen einfachen Stoffsessel. „Schieben Sie den ruhig heran. Kaffee?“

Knoop schüttelte den Kopf.

„Na, was kann ich für Sie tun, Herr Kollege? Soll ich Ihnen den Mörder präsentieren?“ Er lächelte. Zwei unruhige kleine Augen waren auf Knoop gerichtet. Sie blieben aber nicht lange bei ihm, sondern wanderten fortwährend durch den Raum, um dann seinen Besucher erneut zu fixieren.

Knoop lächelte. Er lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Die Sache ist die. Ich kenn mich im Rotlichtbereich gar nicht aus. Es ist meine erste Ermittlung in dieser Sache.“

Die Oberlippe von Metaller bekam ein Eigenleben. Er fuhr mit seinen Fingernägeln entlang der Kammfurchen durch seine blonden Haare. Diese waren kurz geschnitten und nach vorne gekämmt. „Gut. Fangen wir mit einer Einführung an. Das ein oder andere kann man ja dann ergänzen.“ Die Oberlippe bewegte sich erneut. „Beginnen wir mit einer groben Anordnung: Duisburg wird ja durch den Rhein geteilt. Auf unserer Seite wird der Norden – und auch ein bisschen von Dinslaken – durch die Türken kontrolliert. Sie nennen sich Assassin. Meiderich, Beek und die Innenstadt gehört den Russen. Die sind aber nicht so ganz etabliert. Der Süden unserer schönen Stadt und Teile von Oberhausen werden von den Satan kontrolliert. Zu ihrem Gebiet...“

Knoop lehnte sich nach vorne. „Entschuldigen Sie, aber ich muss Sie unterbrechen. Was sind die Satan für Brüder?“

„Fragen Sie ruhig, wenn Ihnen was unklar ist. Also, die Satan heißen richtigerweise Satan Sons. Sie sind eine Motorradgang, die sich allerdings den Anschein gibt, als gehe es ihr um die Freiheit des Motorradfahrens. In Wirklichkeit machen sie in Dirnen und Drogen, auch im Waffengeschäft mischen sie mit. Die Waffenlinien laufen über die Niederlande. Das ist die rechte Seite. Auf der linken Rheinseite haben wir im Norden keine durchgängigen Bordelle. Das liegt wohl an der mittelständischen Struktur der Wohngebiete. Hier wird auch gekifft und gehurt, aber es gibt intakte Bürgerkomitees, die jede Ansiedlung dieses Gewerbe verhindern. Bisher jedenfalls.“ Ein gutturaler Ton kam aus seinem Hals. „Der südliche Teil – also Rheinhausen – ist das Einflussgebiet der White Sculls. Das ist auch ein sogenannter Motorradclub, der offiziell von Freiheit schwafelt, in Wirklichkeit aber keinen Deut besser ist als die Satan. Das, was ich bis jetzt gesagt habe, gilt für den Straßenstrich. Daneben gibt es aber auch noch privatwirtschaftlich betriebene Sexschuppen. Diese zu schützen –Sie wissen, das Leben kann so gemein sein - übernehmen unsere Motorradfreunde. Ja und dann sind da noch jede Menge Freischaffende. Ich müsste sagen Freiberuflerinnen. Diese bessern sich ihre Hartz IV-Apanage durch Matratzensport auf. Sie sehen, Herr Knoop, eine sehr diffuse Gemengelage. Sie ist eigentlich noch schwieriger, aber Sie wollen ja erst einmal einen Überblick.“

Knoop winkte ab und schüttelte den Kopf. „Ich will ja nicht bei Ihnen anheuern, sondern nur die Lage überblicken.“

„Sie sagten, Ihre Tote war eine Nutte? Ist das zweifelsfrei?“ Metaller trank einen Schluck von dem, was in seiner Tasse war. „Bevor es kalt wird.“ Er lächelte.

„Doch, doch, dies hat die Gerichtsmedizin einwandfrei herausgefunden.“ Knoop erzählte von dem Zustand der Vagina. „Oder haben Sie eine andere Erklärung?“

„Das ist nicht schlecht“, schmunzelte Metaller und schüttelte gleichzeitig mit dem Kopf. „Das kann eigentlich nur auf dem Bulgarenstrich geschehen sein. Ich bin mir da sicher. Die Sculls arbeiten mit bulgarischen Zuhältern und Schleusern zusammen. Ihre Tote kommt bestimmt daher. Ich würde darauf sogar wetten.“

Knopp schwenkte seine Hand energisch hin und her. „Kein Bedarf, nein, danke.“

„Was mich noch interessiert, wo hat man die Leiche gefunden?“ Metaller griff zu einem Bonbon und packte es aus. „Entschuldigung. Auch eines?“ Er warf seinem Gast eine grüne Verpackung zu.

Während Knoop das Papier entfernte, erzählte er von Fundort und dem Zustand der Toten.

Metaller hörte mit dem Lutschen der Süßigkeit auf. „Das ist nun wirklich nicht die Handschrift der Sculls. Für die haben ausgelutschte Nutten nicht mehr Wert als geleerte Konservendosen. Wenn von denen eine Nutte krepiert, dann landet diese auf dem Müll oder im Rhein. Das mit dem Friedhof muss ein anderer gewesen sein. Das können Sie mir glauben.“

„Ich wollte eh über die Tote an den Mörder kommen.“ Knoop wechselte die Beinstellung.

„Dann suchen Sie im Bulgarenstrich, wenn Sie meine Meinung hören wollen.“

Knoop war klar, dies bedeutete die Kontaktaufnahme mit den Rockern. „Und wo finde ich diese... Sculls, sagten Sie?“

Metaller gab ihm Namen und die Adresse und Ratschläge, wie man mit dieser Klientel umgehen sollte.

Knoop hatte sich schon erhoben und Metaller war ihm gefolgt als er stockte. Übrigens, die Tote hatte eine komische Tätowierung am Innenfuß. SYBIL Können Sie damit was anfangen?

Metaller runzelte die Stirn. „Nee, ist mir noch nicht untergekommen. Scheint mir aber eher etwas Privates zu sein. In diesem Gewerbe werden die Frauen nicht gebrannt wie die Kühe auf der Weide.“


Knoop hatte sich auf seinem Rückweg zu seinem Zimmer vorgenommen, nicht alleine diesen Besuch zu wagen. Aber Spannhof war außer Haus. So weit, wie die Befragten wussten, hatte van Gelderen ihn mit einigen anderen Kollegen mitgenommen. Wohin es ging, wusste jedoch keiner zu berichten. Weil er aber keine Lust hatte zu warten, bis Dirk irgendwann eintrudelte, wollte er sicherheitshalber um Polizeiunterstützung bitten.

Laurenzo saß über der geöffneten Mappe und wischte über den Kommunikator, so als bekäme er den Schmutz nicht von der Oberfläche weg. Knoop hatte den neuen Kollegen überrascht. Dieser hatte mit dem Studium der Unterlagen aufgehört, ohne fertig zu sein. Eigentlich hatte er vor, den Neuen behutsam in seinen neuen Arbeitsbereich einzuführen, aber ihn störte diese Arbeitseinstellung. Wenn der Anwärter glaubte, die Zeit bei ihm im Zimmer herunterwischen zu können, dann sollte sich dieser gewaltig irren. Van Gelderen hatte ihn ja nicht eingewiesen, wie er mit dem Lehrling verfahren sollte. Also war es Zeit, ihn der Praxis auszusetzen.

„So, dann kommen Sie mal mit. Haben Sie ´nen Mantel?“

Carlos schüttelte den Kopf.

Na gut, dann würde der Neue eben frieren müssen.

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